Die katholische Position

13. Februar 2013


Der Kirche wird in der Frage „Abtreibung im Falle einer Vergewaltigung“ vorgeworfen, „menschen- und frauenfeindlich“ zu sein (offenbar muss man hier eine Differenzierung vornehmen, was man an anderen Stellen gerne mal ausspart). In der Tat: Es geht der Kirche nicht nur um die Frau, sondern auch um das ungeborene Kind, das für die Kirche ebenfalls ein Mensch ist. Die Kirche hat Respekt vor jedem Menschen. Gerade das macht die Sache für die Kirche so schwierig: Dass es ihr eben unmöglich ist, das Leben des Kindes, auch wenn es aus einer Vergewaltigung entstanden ist, völlig auszublenden, wie es im Diskurs immer wieder gefordert wird – zumindest implizit, wenn man die Haltung der Kirche als „völlig realitätsfremd“ beschreibt, so, als sei das Leben des Kindes kein Teil der ethisch zu bewertenden Wirklichkeit. Das Leben des Kindes ist ein Faktor im moralischen Kalkül der Kirche, auch, wenn sie damit der Gesellschaft einen Strich durch die Rechnung macht. Denn das Leben des Kindes ist an sich wertvoll und schützenswert.

Steht die Kirche mit ihrer „Menschenverachtung“ (selten zuvor ist ein Begriff so auf den Kopf gestellt worden, achtet doch gerade die Kirche beide Menschen: Frau und Kind) eigentlich allein? Man könnte den Eindruck gewinnen! Wahr ist: Die Kirche steht mit beiden Beinen auf unserer Verfassung, weil das Grundgesetz das „Recht auf Leben [..] jedem gewährleistet, der ,lebt’; zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden“ (so in einem Urteil des BVG), denn das Grundgesetz enthalte gerade keine „dem Entwicklungsprozess der Schwangerschaft folgenden Abstufungen des Lebensrechts“ (so in einem anderen Urteil des BVG). Die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt auf die Achtung und den Schutz der Würde des Menschen (Art. 1 GG) gilt mithin auch für jedes menschliche Leben, das geborene und das ungeborene. Deswegen sind Abtreibungen in Deutschland auch immer Straftaten (§ 218 StGB), die nur unter bestimmten Bedingungen nicht verfolgt werden. Viele machen daraus ein „Recht auf Abtreibung“. Das ist aber grundfalsch, wie ein Blick auf die normative Lage in Deutschland zeigt.

Und die Frau, die Opfer einer Vergewaltigung wurde? Was ist mit ihr? Die Kirche wünscht sich von ihr, dass sie das Kind nicht töten lässt. Sie wünscht sich das deshalb, weil sie es für moralisch richtig hält. Sie findet es gut, dass der neu entstandene Mensch lebt und dass er weiterlebt – unabhängig von den Bedingungen seiner Zeugung. Dem einen Unrecht (der Vergewaltigung) soll kein zweites Unrecht (die Abtreibung) folgen. Die Kirche weiß aber auch, dass die psychische Belastung des Opfers hoch ist, extrem hoch. Doch die durch das Verbrechen der Vergewaltigung belastete Beziehung der Frau zu ihrem Kind ist nur ein Aspekt der Problematik, ein anderer ist das Lebensrecht des Kindes, das absolut gilt. Es kann nicht einfach so aufgehoben werden, auch wenn die Belastung für die Frau schier unerträglich ist. Das Kind ist nun einmal da, es lebt und es ist unschuldig. Es ist der Kirche nach ihrem Bild vom Menschen unmöglich, den Anspruch des Kindes auf Achtung seiner Würde qua Existenz und damit sein unbedingtes Lebensrecht zu ignorieren, auch wenn sie den Konflikt der Frau als schwerwiegend miterleben muss.

Die Frau wird andererseits infolge des grausamen Verbrechens der Vergewaltigung überhaupt erst in die Lage versetzt, über Leben und Tod entscheiden zu müssen. Es drängt sich der Gedanke der „Schuldausweitung“ auf, bei dem das Kind zu einer Art „Folgeschaden“ der Vergewaltigung wird und seine Tötung moralisch dem Handeln des Täters zugeschrieben werden muss und nicht dem der Frau, die daher die aufgenötigte Schwangerschaft in einem Akt der zulässigen Notwehr beenden darf. Diese Idee, die Eberhard Schockenhoff kürzlich formulierte, vernachlässigt jedoch die Tatsache, dass die Abtreibung keine zwingende Konsequenz ist, sich nicht notwendig ergibt, sondern dass eine neue Lage entstanden ist, in der eine Entscheidung getroffen werden kann und muss und dass diese immer die Entscheidung der Frau ist und bleibt, eine ethisch eigenständige Entscheidung, die als solche moralisch zu bewerten ist. Die Frau darf daher in dieser Entscheidungssituation, mit dieser überwältigenden Aufgabe nicht allein gelassen werden, sie braucht statt dessen verständnisvolle Begleitung und Beratung. Möglichkeiten müssen aufgezeigt werden, die dem Lebensrecht des Kindes und dem Recht der Frau, das Verbrechen – so weit dies überhaupt möglich ist – zu verarbeiten, gleichermaßen gerecht werden.

Die Kirche bringt der Frau gegenüber insoweit Toleranz auf, als sie ihre Entscheidung letztlich ihrem Gewissen zuschreibt, sich jedoch zugleich vorbehält, dieses Gewissen zu beraten – zum Beispiel dadurch, dass sie auch das ungeborene Leben als menschliches Leben mit einem eigenen Anspruch auf Lebensrecht in den Horizont der Entscheidung rückt. Das Gewissen kann auch dann zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen, mit unterschiedlichen Folgen für die Frau. Es gibt Frauen, die das Kind ihres Peinigers nicht töten lassen – und darüber schließlich glücklich sind. Ebenso gibt es Frauen, die das Kind ihres Peinigers haben töten lassen – und darüber hinterher nicht glücklich sind. Solche Fälle finden in den Medien aber keine Aufmerksamkeit. Das ist schade, weil sie den Blick weiten würden, in einer Debatte, die extrem verengt ist, auf eine angeblich „menschenfeindlichen“ Kirche.

(Josef Bordat)

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