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Priesterausbildung: "Du sollst nicht darüber sprechen"

Buch über Priesterausbildung Hölle auf Erden

Priesteramtsanwärter Daniel Bühling traf im Seminar junge Männer, die sich wegen sexueller Verfehlungen geißelten. Aber auch solche, die Orgien feierten und ein Doppelleben führten. Die Kirchenoberen interessierte das wenig - es regierte "das elfte Gebot".

Es hat ihn gegeben, den fast perfekten Moment. Daniel Bühling war noch in der Ausbildung zum Priester, als er nach den Ferien seine Religionsschüler wiedertraf. Eine Horde Drittklässler, aufgeweckte, fröhliche Kinder, die lachend auf ihn zustürmten, ihn umringten und mit Fragen bombardierten. "Genau so habe ich mir das Priestersein immer vorgestellt - mittendrin, ein Pfarrer bei die Leit", erinnert sich der Augsburger. "Ich habe immer davon geträumt, ein offenes Pfarrhaus zu haben."

Doch es sollte anders kommen. Wie, hat Bühling, der mittlerweile als freier Theologe arbeitet, in einem Buch aufgeschrieben. Er berichtet, wie er im Herbst 2000 als 22-Jähriger ins Spätberufenen-Seminar St. Matthias in Wolfratshausen-Waldram kommt. Der ehemalige Verkäufer hat kein Abitur. Hier kann er es nachholen und dann die Priesterlaufbahn einschlagen. Bühling betritt eine ihm fremde Welt.

Da ist sein hagerer Zimmernachbar, der nachts im Innenhof des Seminars Scheiterhaufen brennen sieht und sich zu Tode fürchtet vor den Teufeln, die drumherum tanzen. Da sind die erzkonservativen Glaubensbrüder, die gegen die Liberalen intrigieren. Sie machen den Alltag zu einem Minenfeld, in dem es gilt, keinen Vorwand zu liefern für Erpressungsversuche und Demütigungen.

Und da ist die Sauna im Keller. Der Ort, an dem es laut einem Mitbruder von Bühling zu einvernehmlichem Gruppensex kommt - aber auch zu sexuellen Avancen, die keineswegs gewollt sind.

"Sahneschnittchen" und "Frischfleisch"

Bühling selbst weiß zu diesem Zeitpunkt schon lange, dass er homosexuell ist. "Ich war gar nicht so sehr entsetzt über die Zustände als über die Unverfrorenheit, mit der meine Mitbrüder sich in der Doppelmoral eingerichtet hatten." Sprach er die Betroffenen darauf an, wieso sie sich mit Strichern einließen oder in der nächstgrößeren Stadt "Sahneschnittchen" und "Frischfleisch" aufrissen, stieß er auf Unverständnis: "Stell dich nicht so an, mach es dir nett und rede nicht drüber." Diese Haltung zog sich laut Bühling bis in die Führungsebenen hinein, wo kein Interesse bestand, psychisch labilen Studenten Halt zu geben oder dem Treiben im Keller Einhalt zu gebieten.

"Ich weiß nichts von einer Sauna im Keller", sagt der ab 2002 als Leiter des Seminars tätige Franz Haringer auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE. "Zu meiner Zeit hat es keine Skandale gegeben." Bühling schreibt, er habe sich bei Haringer über die angespannte Situation zwischen katholischen Hardlinern und Liberalen beschwert und damals die Antwort erhalten, wenn ihm etwas nicht passe, müsse er eben gehen. "Es gab theologische Diskussionen, jugendlichen Übereifer, aber keine Grabenkämpfe", sagt Haringer heute. Bühling nennt dies das elfte Gebot innerhalb der katholischen Kirche: "Du sollst nicht darüber reden."

Pfarrer Josef Riedl war von 1992 bis 2002 Leiter des Spätberufenen-Seminars. Er sieht die Dinge im Rückblick differenzierter: "Es gab immer wieder Gerüchte über Ausschweifungen, aber sobald man versucht hat, von den Seminaristen Genaueres zu erfahren, wurde gemauert. Es war ein Stochern im Nebel", sagt er SPIEGEL ONLINE. Er habe auch mit Vorgesetzten über die Gerüchte gesprochen, rechtlich aber keine Handhabe gehabt, schließlich seien die Studenten volljährig gewesen. Riedl bestätigt, dass es einen jungen Mann gegeben habe, der unter Wahnvorstellungen litt. Dieser habe sich aber auf sein Anraten hin in therapeutische Behandlung begeben.

Männlichkeitswahn und Frauenhass

Bühling verliebt sich, führt eine heimliche Beziehung, hadert und zerbricht fast an der Scheinheiligkeit. Er verlässt St. Matthias, macht eine Ausbildung zum Gemeindereferenten, versucht es im Herbst 2004 noch einmal mit dem Priesterwerden - im Spätberufenen-Seminar St. Lambert in Lantershofen in der Eifel. Hier erlebt er eine Frauenfeindlichkeit, die ihm Angst macht: Das "Weibsvolk" gilt den Seminaristen als teuflisch und nur gut genug für niedere Arbeiten. Ein Kommilitone habe "ein mittelalterliches Frauenbild gehabt, das geradezu psychopathisch war".

Für Bühling haben viele Probleme der katholischen Kirche mit übersteigertem Männlichkeitsgebaren zu tun. "Das sture Festhalten an Positionen und Dogmen ist ein maskulines Prinzip. Man gesteht sich keine Fehler ein und ändert nicht seine Meinung." Das würde als Schwäche interpretiert werden.

"Im Grunde müsste man jeden Priesteranwärter vorher psychologisch begutachten, aber die Kirche ist ja heilfroh über jeden, der kommt", sagt Bühling. Die Katholiken haben Nachwuchsprobleme. Von 2011 auf 2012 sank die Zahl der neu geweihten Priester um knapp 19 Prozent auf 128.

"Schon im Priesterseminar sollten sich viele Dinge grundlegend ändern", sagt Bühling. Die Anwärter seien komplett unselbständig: "Wer nie über eigenes Geld verfügt, sich nie mit existentiellen Dingen auseinandersetzen muss, keine Beziehungen hat - wie soll so jemand für die Leute draußen ein verständnisvoller Seelsorger sein?"

Inzwischen wohnt Bühling bescheiden mit seinem Gatten in einer Vier-Zimmer-Wohnung nahe Augsburg. An der Wand hängen selbstgefertigte Materialbilder, ein Flugsaurier-Skelett, eine archaisch anmutende Riesenschlange, in der Bibel Symbol für Teufel und Versuchung, in anderen Kulturkreisen für Häutung, Wandel oder Neubeginn. Genau der hat sich vollzogen im Leben des Mannes, der so sehr Priester werden wollte.

"Ich brauche die Kirche nicht mehr. Sie hat mich fallengelassen und enttäuscht. Heute bin ich Seelsorger, wie ich es immer sein wollte." Bühling vollzieht Trauungs-Rituale, begleitet Sterbende und ihre Angehörigen, hält Grabreden. Es sind von der Kirche Enttäuschte, die der Institution abgeschworen haben. Aber nicht dem Glauben.