Am Weihnachtsabend des Jahres 1979 gleicht der sonst eher ruhige Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul dem einer europäischen Millionenstadt. Die großen Maschinen mit sowjetischem Hoheitszeichen, die im Dreiminutentakt landen, haben aber keine normalen Passagiere an Bord, sondern gut ausgerüstete Soldaten, gepanzerte Fahrzeuge, Waffen und Munition. Beobachter vermuten zunächst, das Unternehmen sei Teil der längst üblichen militärischen Unterstützung aus Moskau. Zwei Tage später, am Abend des 27. Dezember, setzt sich ein Sturmtrupp Richtung Innenstadt in Marsch, an seiner Spitze Einheiten des sowjetischen Geheimdienstes KGB unter Führung von Oberst G. I. Bojarinow, dem Leiter des Schulungszentrums für Sonderoperationen der berüchtigten Achten Abteilung des KGB, die für "nasse Sachen" (mokryje dela) zuständig ist - für Attentate und Sabotage. Die Militärfahrzeuge tragen das afghanische Hoheitszeichen, die Soldaten, verborgen hinter den geschlossenen Luken, afghanische Uniformen. Erstes Ziel ist das Telegrafenamt, das Bojarinow sprengen lässt. Nachdem anschließend die Rundfunkstation besetzt worden ist, fährt die Kolonne weiter zum Darulaman-Palast am Stadtrand. Trotz heftigen Widerstands der Wache dringt der Sturmtrupp rasch vor. In der Bar im oberen Stockwerk finden die Eindringlinge jenen Mann, den sie suchen: Präsident Hafisullah Amin, zusammen mit seiner Geliebten. Beide werden im Handgemenge erschossen.So weit die Darstellung, die Oleg Gordiewsky und Christopher Andrew in ihrem Buch KGB - die Geschichte seiner Auslandsoperationen von Lenin bis Gorbatschow geben. Das Werk beruht zu einem großen Teil auf den Informationen und Detailkenntnissen eines Beteiligten: Gordiewsky war KGB-Mann in London und hatte 1985 die Seiten gewechselt. Seinem Bericht nach wurden Gefangene nicht gemacht, es sollte keine Zeugen geben. Auch Bojarinow kam bei der Erstürmung des Palastes ums Leben, vermutlich wurde er wegen der afghanischen Uniform verwechselt und von den eigenen Leuten erschossen.Napalm und NervengasMit diesem hollywoodreifen Coup begann im Dezember 1979 der Krieg in Afghanistan. Aus der Sicht des Kreml hatte es ein paar triftige Gründe für die Intervention am Hindukusch gegeben. Kenner des Landes waren jedoch von Anfang an skeptisch gewesen und hatten abgeraten - zu Recht. Denn der Krieg erwies sich als sinnlos, er beschädigte das Ansehen Moskaus schwer und beschleunigte die Implosion der Sowjetunion. Afghanistan wurde zu "Moskaus Vietnam".Stets hatte die Politik des Kreml darauf abgezielt, das südliche Nachbarland eng an sich zu binden. Einem Nichtangriffs- und Neutralitätspakt 1926 folgte in den fünfziger und sechziger Jahren eine breit angelegte Politik der Unterstützung. Die Sowjetunion gab Großkredite, schickte Scharen von Wirtschafts- und Technikberatern, baute Verkehrswege nach Norden und kaufte großzügig Exportgüter auf. Bereitwillig schulte die Sowjetmacht das Offizierskorps der afghanischen Armee, sodass Kabul in völlige Abhängigkeit von Moskau geriet.Nachdem König Zahir Schah 1973 entmachtet worden war, setzte Prinz Mohammed Daoud zunächst auf eine Koalition mit dem moskautreuen Parcham-Flügel der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA), schwenkte selbst aber bald über zu einer betont konservativen Politik. Während er das alte Stände- und Stammesparlament Loya Jirga erneuerte, in dem die Grundbesitzer und Clans die Macht hatten, gingen die Parchamis in die Dörfer, um den Bauern den Sozialismus zu bringen. Doch sie kamen "ohne Buch", als "Gottlose", und weckten mörderischen Widerspruch: Vielen von ihnen wurde die Kehle durchgeschnitten. Dass die Völker Afghanistans einen "unbezwinglichen Haß auf jede Herrschaft" an den Tag legen, hätten die sozialistischen Parchamis bei Friedrich Engels nachlesen können, der schon 1857 - im Zusammenhang mit Englands Hindukusch-Abenteuer - geschrieben hatte: "Der Krieg ist für sie ein erregendes Erlebnis und eine Abwechslung von der monotonen Erwerbsarbeit."Als im Frühjahr 1978 ein prominenter Politiker der Parchamis einem Attentat zum Opfer fiel, eskalierten die Ereignisse. Der Trauerzug geriet zur größten politischen Demonstration, die das Land je gesehen hatte. Prinz Daoud wurde unruhig und ließ durch die Geheimpolizei alle wichtigen Politiker der DVPA verhaften. Daraufhin putschte das Militär und bewahrte die Funktionäre vor der Hinrichtung. Nach einer eintägigen Straßenschlacht mit etwa 1000 Toten waren die Sozialisten an der Macht - und Mohammed Daoud samt seiner Familie ermordet.Und doch sollte dies nur der erste Akt eines bizarren Schauerstücks ohne Ende sein. Während ein Flügel der DVPA mit Nur Mohammed Taraki und Hafisullah Amin an der Spitze einen radikalen sozialistischen Kurs verfolgte, setzte die Parcham-Fraktion unter Babrak Karmal jetzt auf eine gemäßigte Politik. Moskau favorisierte Karmal, einen bewährten Mann des KGB. Bei einem Treffen mit Leonid Breschnew konnte Taraki allerdings den Generalsekretär der KPdSU beeindrucken und gewann gegen Karmal die Oberhand, der als Botschafter nach Prag abgeschoben und kurz darauf kaltgestellt wurde. Sieger Taraki sah sich jedoch bald darauf von seinem zweiten Mann, Hafisullah Amin, bedrängt. Der Moskauer Botschafter Pusanow wollte vermitteln und bestellte beide zu einem Schlichtungsgespräch, bei dem Amin seinen Rivalen Taraki niederschoss. Ein paar Tage später ließ Amin den verletzten Gegner im Krankenhaus erdrosseln.Die Sowjets verfolgten das düstere Schauspiel mit zunehmender Sorge. Amin war nicht ihr Mann. Die Achte Abteilung des KGB - "nasse Sachen" - sandte daraufhin Oberstleutnant Michail Talebow nach Kabul. Talebow ließ sich im Präsidentenpalast als Küchenchef anstellen, um Amin mit Gift aus dem Wege zu räumen. Ohne Erfolg: "Amin war so vorsichtig wie die Borgias", berichtete später ein Überläufer des KGB. "Er wechselte ständig sein Essen und seine Getränke, als rechnete er schon mit einem Giftanschlag."Am meisten indes missfiel Moskau die Entwicklung in den Provinzen. Überall im Lande war der bewaffnete Widerstand gegen das sozialistische Regime ausgebrochen, der vom ersten Tag an das Zeichen eines religiös geführten Kampfes gegen ein gottloses Regime trug. Taraki und später Amin schlugen mit äußerster Härte zurück. Etwa 8000 bis 10 000 Menschen wurden hingerichtet, im Sommer 1979 saßen an die 10 000 Gefangene im Gefängnis von Kabul ein. Obwohl Amin verbreiten ließ, dass er fünfmal am Tag betete, obwohl die Machthaber öffentlich islamische Parolen im Munde führten, waren sie überall im Lande als gottlose und islamfeindliche Bande verhasst und fanden sich zuletzt völlig isoliert.Die Entscheidung, in Kabul militärisch zu intervenieren, fiel im Politbüro im September 1979. Sie war nicht unumstritten, wie Jahre später unter Michail Gorbatschow bekannt wurde: KGB-Chef Jurij Andropow soll sich zunächst dagegengewandt haben (obwohl er von November 1982 an als Generalsekretär den Krieg mit aller Brutalität weiterführen ließ). Moskau sah sich unter Zugzwang: Das Aufleben des Islams in den mittelasiatischen Sowjetrepubliken sorgte für Unruhe. Die Machtergreifung Khomeinis im Iran, die Gefangennahme von Amerikanern in Teheran und deren gescheiterte Befreiung steigerten die Sorge des Kreml zum Alarm. Mit einem sozialistischen Regime in Afghanistan ließ sich ein Keil in die Front der islamischen Staaten entlang der Südgrenze der Sowjetunion treiben.Zum Zeitpunkt der Intervention befanden sich bereits rund 4000 sowjetische Militärberater und 1000 Mann Kampftruppen in Afghanistan. Zwischen dem 24. und 27. Dezember 1979 wurden rund 6500 Mann Luftlandetruppen nach Kabul und Bagram eingeflogen. Am 25. Dezember traten starke Panzerverbände aus der Tadschikischen Sowjetrepublik den Marsch auf Herat und Kabul an. Die afghanische Armee, von Massendesertionen und Meutereien ohnehin geschwächt, konnte den Interventionstruppen keinen Widerstand entgegensetzen.Am Morgen des 28. Dezember verkündete Babrak Karmal über Radio Kabul den Sturz Amins. Die Rede kam vermutlich vom Tonband, da Karmal noch nicht aus Prag zurückgekehrt war. Schon wenig später erklärte der neue Machthaber von Moskaus Gnaden, dem wohlvertrauten Ritual gemäß, dass die Sowjetunion nur auf ein Beistandsersuchen Afghanistans hin interveniert habe und dass die sowjetischen Truppen bald wieder abziehen würden. Niemand glaubte ihm. Durch eine "Volksfront der patriotischen Kräfte" versuchte Karmal seine Politik zu popularisieren. Niemand folgte ihm. Dazu wollte er seine Partei einigen und durch ein Bündnis mit afghanischen Offizieren stärken. Auch dieser Versuch misslang. Karmal gab sich als Hüter islamischer Werte und Traditionen aus. Niemand nahm ihm das ab. Babrak Karmal blieb eine Marionette Moskaus.Bereits im Februar 1980 standen 85 000 Sowjetsoldaten im Land (die Zahl sollte sich noch auf etwa 115 000 steigern). Obwohl alle wichtigen Städte, die Pässe und Verkehrsknotenpunkte besetzt wurden, ließ sich der Widerstand der "Mudschaheddin", der Krieger Gottes, nicht brechen. Es beteiligten sich alle Völker Afghanistans an den Kämpfen - im Süden und Südosten die Paschtunen (mit 40 Prozent die größte ethnische Gruppe), im Norden die Tadschiken (25 Prozent) und die Turkmenen, auch die schiitischen Hazara (15 Prozent) nordwestlich von Kabul. In kleinen Trupps überfielen sie Marschkolonnen, biwakierende Einheiten, einsame Posten. In Kabul kämpften sie als Stadtguerilla. Das alte Wort hatte sich wieder einmal bewahrheitet: Heillos zerstritten, wie die afghanischen Völker stets sind, kämpfen sie vereint gegen den Feind von außen. Allerdings blieb ihr Widerstand ohne Linie, ohne Koordination, da die althergebrachten Grenzen der Völker, Stämme und Clans sowie die religiöse Grenze zwischen Sunniten und Schiiten - letztere machen etwa 15 Prozent der Bevölkerung aus - weiter wirkten. Allenfalls einigten sich die einander misstrauisch beäugenden Feldkommandanten auf lockere Allianzen. Und obwohl der Kampf gegen die Ungläubigen aus dem Norden insgesamt religiös fundiert war, zeigte sich doch ein tiefer Gegensatz zwischen den Gruppen, die der nationalen Tradition verhaftet waren, und denen, die sich allein am Islam orientierten.Offensichtlich hatte die Sowjetunion die außenpolitischen Folgen der Intervention völlig falsch eingeschätzt. Bereits am 14. Januar 1980 erlitt Moskau in der Uno eine schwere Abstimmungsniederlage: Mit 104 Stimmen - bei 18 Gegenstimmen, 18 Enthaltungen und 12 Abwesenheiten - forderte die Vollversammlung den "sofortigen, bedingungslosen und vollständigen Abzug" aus Afghanistan. Zwei Wochen später schloss sich die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) dem Votum der Uno an. Im Juli 1980 boykottierten die westlichen Länder, darunter auch die Bundesrepublik, die Olympischen Sommerspiele in Moskau - ein herber Schlag für das sowjetische Prestigebedürfnis.Der Ausbruch des Krieges zwischen Irak und Iran im September 1980 ließ den Afghanistankonflikt zwar etwas in den Hintergrund des Zeitgeschehens rücken, doch die Haltung der Welt änderte sich nicht. Im Februar 1981 verurteilte auch die Außenminister-Konferenz der Blockfreien Staaten mit 92 von 95 Stimmen die Intervention und forderte ebenfalls den Abzug. Die Sowjetunion, die stets die Blockfreien umworben hatte, sah sich jetzt international fast völlig isoliert. Vor allem aber schien die Entspannungspolitik der siebziger Jahre an ihr Ende gekommen zu sein.Währenddessen lieferten sich Mudschaheddin und Sowjetarmee einen brutalen Kampf; Gefangene wurden nicht gemacht. Die Besatzer führten einen Krieg der verbrannten Erde, gingen mit Napalm und Nervengas, mit Sprengfallen und als Spielzeug getarnten Kleinminen gegen die Bevölkerung vor, vernichteten Dörfer, Viehherden und Ernten. Von den 15,5 Millionen Afghanen 1978 flohen bis Kriegsende 1989 rund 3,5 Millionen Menschen nach Pakistan, etwa zwei Millionen in den Iran. Von allen Völkern auf der Flucht stellten die Afghanen weltweit den größten Anteil.Die Auffanglager in Pakistan wurden zur logistischen Basis der Mudschaheddin. Dort wurden Waffen hergestellt, Kampfgruppen ausgebildet, dort gingen Agenten des amerikanischen Geheimdienstes CIA ein und aus und organisierten die Militärhilfe. Der KGB rächte sich mit Luftangriffen und Terrorakten, für die Moskau allein im Jahre 1983 rund 17 Millionen US-Dollar ausgab.König Zahir lehnt dankend abJahrelang war keine Lösung des Konflikts in Sicht. Diplomatische Friedensbemühungen, von der Uno vermittelt, kamen nicht von der Stelle. Militärisch schien keine Seite die Oberhand zu gewinnen. Moskau schickte besser ausgebildete Truppen (im Laufe des Krieges insgesamt eine Million Mann), änderte seine Taktik durch den Einsatz kleiner, selbstständig operierender Einheiten und neuer Kampfhubschrauber vom Typ Mi 24. Diese fügten den Mudschaheddin, die in den Hochgebirgstälern aus Tausenden weit verzweigten und gut getarnten Höhlen heraus operierten, hohe Verluste zu.Zwei Faktoren änderten allerdings bald die Bedingungen im mörderischen Spiel. Erstens erschien auf der Moskauer Bühne ein neuer Mann: Michail Gorbatschow, im April 1985 zum Generalsekretär der KPdSU gewählt. Als ein Ziel seiner Politik nannte er, den Krieg in Afghanistan beenden zu wollen. Wann, blieb jedoch offen.Der zweite Faktor wirkte unmittelbar: Im Herbst 1986 lieferten die USA erstmals Stinger-Raketen, eine hoch wirksame, einfach zu bedienende High-Tech-Waffe, mit der die Mudschaheddin zeitweise einen Hubschrauber pro Tag abschossen. Im Frühjahr 1987 war die Lufthoheit der sowjetischen Truppen gebrochen, die gefürchteten Helikopter waren selbst zu Gejagten geworden.Unter den "Internationalisten" breiteten sich Disziplinlosigkeit, Resignation und Panik aus. Moskau kam zu der Einsicht, dass der Krieg, den die eigene Bevölkerung als lähmende Belastung empfand, nicht zu gewinnen war. Karmal wurde fallen gelassen (er ging ins Ausland; 1996 ist er in Moskau gestorben). Als Nachfolger setzte man Geheimdienstchef Mohammed Najibullah ein. Im Februar 1988 verkündete Gorbatschow den Abzug der sowjetischen Truppen.Bis zum Schluss hielt Moskau Najibullah die Treue. Es stand zu befürchten, dass die Mudschaheddin sein Regime sofort hinwegfegten. In den letzten Monaten des Abzugs, im Winter 1988/89 suchte der Kreml hektisch nach einer politischen Lösung. Der Versuch, die sunnitische und die schiitische Allianz der Widerstandskämpfer in eine Regierung einzubinden, scheiterte im ersten Anlauf. Am Heiligabend 1988 trug ein hochrangiger sowjetischer Diplomat sogar König Zahir Schah im römischen Exil die Teilnahme an einer Übergangsregierung an. Seine Majestät lehnte dankend ab.Währenddessen lief Moskau die Zeit davon: Am 15. Februar 1989 überschritt Oberbefehlshaber General Boris Gromow als letzter Soldat der Interventionsarmee die Grenze zur Sowjetunion und wurde von seinem jungen Sohn mit einer Rose begrüßt - letzte absurde Szene eines monströsen Krieges.Dem militärischen Desaster folgte das politische. Die Mudschaheddin rückten vor und beschossen Kabul mit Raketen. Das Regime Najibullahs hing am Tropf der Moskauer Waffenhilfe. 1992, nach dem Zerfall des Sowjetreichs, sollte es endgültig zu Ende sein: Gulbuddin Hekmatyar stürzte den Statthalter Moskaus. Zwei Jahre später ergriffen die Taliban die Macht in Kabul, und Najibullah, der nicht mehr fliehen konnte, baumelte am Galgen.Die Bilanz der sowjetischen Intervention war bitter: eine Million Tote, etwa 5,5 Millionen Flüchtlinge, über tausend zerstörte Dörfer. Reparationen wurden nicht gezahlt. Offiziell waren 15 000 Sowjetsoldaten umgekommen, inoffizielle Schätzungen nennen 60 000 Tote.Trotz der Politik der Glasnost blieben die sowjetischen Pressekommentare selbst nach dem Abzug der Truppen sehr verhalten. Nur wenige Kommentatoren wagten ein offenes Resumee der "afghanischen Lektion": dass der Sozialismus dem archaischen Lande fremd gewesen, die Kraft des Islam stärker denn je und der kämpferische Willen der Völker Afghanistans ungebrochen sei, die Sowjetunion aber nichts erreicht habe.Man hätte es früher wissen können.Der Autor ist Slawist und Publizist und lebt in Hamburg