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Meinung Weihnachtsgeschichte

Josef – der merkwürdig moderne, neue Mann

Freier Autor
Im Christentum verehrt man die Jungfrau Maria, nicht aber ihren Mann Josef. Der jüdische Bauhandwerker spricht in der Bibel kein einziges Wort. Ohne ihn hätten wir aber Weihnachten nichts zu feiern.

Christen verehren Maria, die Mutter Jesu. Für Josef scheint oft eher Mitleid oder gar Spott übrig zu bleiben; so etwa, wenn man abschätzig von einer „Josefsehe“ spricht: einer Ehe, die nicht vollzogen wird, weil der Mann zu alt oder zu schwach dazu ist. Doch Josef ist für die Weihnachtsgeschichte so wichtig wie Maria.

Versetzen wir uns in seine Lage: „Mit der Geburt Jesu war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete ...“ So steht es beim Evangelisten Matthäus, der übrigens von einem Engelbesuch bei der Jungfrau nichts zu berichten weiß. Die Ehe wird, wie damals üblich, wahrscheinlich von den Eltern arrangiert worden und Maria höchstens 14 Jahre alt gewesen sein, vielleicht erst zwölf.

Wie aber „zeigte sich“ die Schwangerschaft des Mädchens? War sie bereits für alle sichtbar? Oder hat die Verlobte des Bauhandwerkers ihm heimlich die Schwangerschaft gebeichtet? Wer von uns heutigen Männern würde in vergleichbarer Lage seiner Verlobten die Versicherung abnehmen, ihr Kind sei göttlicher Herkunft?

Ein großes Vorbild für seinen Sohn Jesus

Auch Josef nimmt zunächst an, seine Braut sei fremdgegangen. Doch weil er „gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte“, so Matthäus, beschließt er, „sich in aller Stille von ihr zu trennen“.

Wenn Josef als „gerecht“ bezeichnet wird, so bedeutet das: Er befolgt das Gesetz des Mose. Das aber schreibt vor: „Wenn ein unberührtes Mädchen mit einem Mann verlobt ist und ein anderer Mann sich mit ihr hinlegt, dann sollt ihr beide steinigen, und sie sollen sterben. Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen.“

Josef aber schreckt vor solch erbarmungsloser Gerechtigkeit zurück. Deshalb will er sich heimlich aus dem Staub machen. Man wird dann in ihm den Vater des Kindes vermuten.

Die Verführte und Verlassene trifft aber nach jüdischem Recht keine Schuld. Denn Sex zwischen Verlobten ist zwar verpönt, gilt aber als Vollzug der Ehe und setzt die Frau in ihre ehelichen Rechte ein. So wird Josef, der Schuldlose, alle Schuld auf sich nehmen. Ein großes Vorbild für seinen Sohn Jesus.

Welcher Mann würde heute so handeln?

Doch Josefs Gewissen – oder ist es eher die Liebe zu seiner in Not geratenen Braut? – lässt ihm selbst diesen Ausweg nicht: „Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen, denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.“

Welcher heutige Mann würde aufgrund eines bloßen Traums so handeln wie Josef? Er nimmt Maria als Ehefrau und zieht ihren Erstgeborenen wie sein eigenes Kind auf.

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Offenbar wird auch dem adoptierten Sohn die fromme Lüge erzählt. Als der Zwölfjährige nach dem Pessachfest im Jerusalemer Tempel zurückbleibt, sagt Maria zu ihm: „Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht!“ Später wird der Wanderprediger Jesus seine Anhänger lehren, Gott mit dem aramäischen Wort „Abba“ anzusprechen, das ist etwa: „Papa“.

So nennen bis heute jüdische Kinder ihre Väter; so wird Jesus als Kind Josef angesprochen haben. Sprüche wie „Bittet, so wird euch gegeben“ oder „Klopft an, dann wird euch geöffnet“ begründet Jesus auch mit der Erfahrung väterlicher Güte: „Oder ist einer unter euch, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er um Brot bittet?“

Das Christentum verdankt Josef viel

Man kann sich Josef also gar nicht anders denn als liebenden Vater vorstellen. Man übertreibt nur wenig, wenn man sagt, das Christentum verdanke alles, was an seinem Gottesbild neu und schön ist, diesem bescheidenen – und wohl ein wenig verträumten – jüdischen Bauhandwerker, diesem merkwürdig modernen, neuen Mann.

So wie Josef seine schwangere Braut zu sich nimmt, so wird sein Sohn geradezu berüchtigt dafür, dass er „gefallene“ Frauen um sich sammelt. Ausgerechnet im Haus eines Pharisäers (wir würden heute sagen: eines strikten Anhängers der Scharia) lässt er sich von einer stadtbekannten „Sünderin“ – vermutlich einer Ehebrecherin oder gar Prostituierten – die Füße waschen und erklärt dem schockierten Gastgeber: „Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie so viel Liebe gezeigt hat.“

Es ist kein Zufall, dass ihm die Pharisäer in Jerusalem eine Falle stellen, indem sie ihm eine beim Ehebruch ertappte Frau bringen und sagen: „Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du?“ Vielleicht ist das sogar eine Anspielung auf Gerüchte um seine Mutter. „Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.“

Man würde zu gern wissen, was. „Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten.“

Tiefsinnige und zutiefst menschliche Geschichte

Enthält irgendein anderes heiliges Buch der Menschheit eine vergleichbar tiefsinnige und zutiefst menschliche Geschichte? Mohammed übernahm so viel aus der jüdischen und der christlichen Bibel, darunter auch in der Sure „Meryem“ – so heißt Maria im Koran – die Geschichte von der jungfräulichen Geburt des Propheten Isa, also Jesus.

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Hätte er doch nur auch dieses kleine Lehrstück über die Doppelmoral der Männer aufgenommen! Freilich muss Jesus damit gerechnet haben, dass seine Worte wirkten, dass also niemand so vermessen wäre, sich für schuldlos zu erklären und den ersten Stein zu werfen.

(In einem katholischen Witz, der diese Erzählung variiert und auf die „unbefleckte Empfängnis“ der Maria anspielt, fliegt ein Stein über den im Sand schreibenden Jesus hinweg und trifft die Ehebrecherin. Ohne aufzusehen sagt er vorwurfsvoll: „Mama!“) Josef, der neue Mann, war zwar keine verbreitete, aber auch keine singuläre Erscheinung. Schon zu Jesu Zeiten scheint die Lust, das strenge Gesetz zu vollstrecken, nachgelassen zu haben.

Diesen neuen Mann gilt es wiederzuentdecken

Wenn manche Christen heute immer noch scharf unterscheiden zwischen dem Gesetz des Alten und dem Gesetz des Neuen Bunds, zwischen Mose und Jesus, zwischen einem Gesetz der Rache und einem Gesetz der Vergebung, dann unterschlagen sie den Juden Josef. Dann unterschlagen sie die Männer von Jerusalem, die beschämt von dannen schlichen, statt an der Ehebrecherin die Strafe zu vollziehen, und zwar „die Ältesten zuerst“.

Im Judentum bildete sich nämlich bereits – etwa beim Rabbi Gamaliel, dem Lehrer des Paulus – ein Verständnis des Gesetzes heraus, das dem Verhalten des Josef und dem Verständnis seines Sohns entsprach; das „gerecht“ nicht als verbissen gesetzestreu und schon gar nicht als selbstgerecht missverstand und das davon ausging, die Liebe könne die Sünde überwinden.

In der Weihnachtsgeschichte hat Josef eine stumme Rolle. Engel, Hirten und Könige, ja selbst die Tiere im Stall scheinen präsenter. (In einem jüdischen Witz kommt der kleine Joschele von der Schule nach Hause, erzählt seiner Mutter stolz, man werde ein Theaterstück aufführen, und er spiele den Ehemann: „Du gehst sofort zurück“, schimpft die Mutter, „und sagst deiner Lehrerin, dass du eine Sprechrolle haben willst!“)

In mittelalterlichen Darstellungen der Geburt Jesu sitzt Josef oft abseits, fast unbeteiligt. Es gibt nur wenige Bilder, die ihn mit dem Kind zeigen, das ihn Vater nannte. Mit dieser Vernachlässigung wird einem Mann Unrecht getan, der unsere Vorstellung davon, was ein guter Vater sein sollte, mehr geprägt hat als sonst irgendjemand in der Geschichte.

Und der nach wie vor als Gegenbild zu jenen selbstgerechten Moralaposteln und Finsterlingen taugt, die leider in Kirche und Moschee – und auch anderswo – immer noch viel zu häufig den Ton angeben. Diesen neuen Mann gilt es, Weihnachten wiederzuentdecken.

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