Der Mörder ist immer der Beter

18. August 2013


Ein Beitrag zur Frage der veränderten Darstellung von Religion, Glaube und Christentum in der Populärkultur

Wer gerade den Tatort („Geburtstagskind“, Luzern) gesehen hat, konnte Zeuge des wohl durchsichtigsten Kriminalspiels der Kulturgeschichte werden. Zwar gibt man sich reichlich Mühe, einige Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen, aber überzeugend ist das von dem Moment an nicht mehr, in dem sich eine der Hauptfiguren als religiös erweist. Er ist in offenbar leitender Funktion in einer christlichen Gemeinschaft aktiv, die von den rezipierenden Beamten mit Erlösung, Exklusivität und Eschatologie in Verbindung gebracht wird, in einem Atemzug. Eine Endzeitsekte, die jedoch zugleich die Standard-Theologie aufgreift („Gott ist Gnade.“), diese um den Gedanken der Solidargemeinschaft („Kreis“) ergänzt und insgesamt recht wenig Apokalyptisches zitiert.

Bis auf die Form der Bekreuzigung (nach dem Kreuzzeichen beschreibt die rechte Hand einen Kreis, der die Gemeinschaft symbolisieren soll) sind die frommen Beter vielleicht etwas zu fromm für den Durchschnittsfernsehzuschauer, aber im Grunde von Christen anderer konfessioneller Prägung nicht zu unterscheiden. Richtig: Der Tatort ist kein religionswissenschaftliches Proseminar, aber wie elegant hier religiös getünchter Wahn und echte Religiosität, Sekte und Gemeinde, Abhängigkeit und Zusammenhalt, die biblische Botschaft und deren deutende Kontextualisierung (beides gleichermaßen „Scheiß“ – dreimal wird’s wiederholt, damit’s auch bei denen hängenbleibt, die nebenbei Sudokus lösen) in einen Topf geworfen werden, das ist schon grob fahrlässig. Oder will man gar das Design der Sekte offen halten für Interpretationen aller Art?

Eine ziemlich naheliegende Interpretation ist dann: Das durch schleichende Nivellierung erzeugte Gesamtphänomen Religion schadet allen Beteiligten: Wer sich auf Gnade beruft, muss ein feiger Psychopath sein, der seine Frau schlägt, wer Gottes Gebot ins Spiel bringt, will nur des Menschen Gesetz brechen. Und die Kinder leiden ohnehin. Der Täter wird dann in der Schlussszene endgültig desavouiert, in der ihn das Drehbuch noch einmal alles aufzählen lässt, was die Vorbehalte gegen ernsthafte Religiosität befeuern hilft, die sich partout nicht auf das Nachtgebet unter der Bettdecke beschränken will. Natürlich bedeutet, gegen Abtreibung ungeborenen Lebens zu sein, zugleich keinerlei Skrupel zu haben, geborenes Leben zu töten. Natürlich bedeutet der Gottesbezug die Selbstermächtigung des Religiösen – über das Recht hinweg. Natürlich musste unser frommer Täter Angst haben, dass bei ihm der Missbrauchsvorwurf verfängt. Natürlich haben alle Christen einen Knall. Mission erfüllt.

Christen (oft auch als kirchliche Würdenträger) waren vor dreißig Jahren im Derrick Menschen, auf die man sich verlassen kann, die helfen, die Respekt verdienen und ihn von den Beamten auch bekommen. Im Tatort sind es heute skurrile Fanatiker mit dunklen Geheimnissen, Menschen, die sich Religion als Ritus anziehen und in ihrem Glauben die Tendenz entwickelt haben, selbst Gott zu spielen. Und die dabei über Leichen gehen – ohne jedes Schuldbewusstsein. Heißa, wie bigott! Ach, diese Doppelmoral!

So ein Scheiß.

(Josef Bordat)

Kommentare sind geschlossen.