Die Anerkennung des Staates der Palästinenser
durch den Vatikan ist aus meiner Sicht gut und richtig und das in einem sehr viel grundlegenderen Sinne, als dass wir dies von Franziskus erwartet haben.
Das ganze Thema ist mit sehr starken Emotionen besetzt und einer bedrückenden Vergangenheit, die auch unsere Vergangenheit als Deutsche umfasst. Fangen wir deshalb bei den scheinbar einfachen Fakten an. Die Christen im heiligen Land sind überwiegend Palästinenser, aber letztlich geht es bei der Anerkennung doch um größere Fragen.
Drei Ebenen mischen sich hier und sind ineinander verwoben:
1. Die geopolitischen Gewichte verschieben sich und das betrifft auch den Staat Israel, seine Verbindungen zu den anderen Staaten und Gruppen in Nah Ost. Die USA bereiten sich darauf vor, ihre großen Ressourcen im Pazifik gegen China in Stellung zu bringen und benötigen dazu eine Befriedung der Verhältnisse im Nahen Osten. Das ist der Hintergrund für die Annäherung an den Iran, der letztlich damit wieder in seine alte – bis zum Sturz des Schahs eingenommene – Rolle als regionale Ordnungsmacht möglicherweise eintreten kann.
2. Der Staat Israel ist politisch von dem Wiener Theodor Herzl 1896 in „Der Judenstaat“ und dann als Utopia 1902 in „Altneuland“ ausformuliert worden. Ins Hebräische übersetzt erhält das Buch den Titel „Tel Aviv“, was Hügel des Frühlings heißt und auf einen Ort in Babylonien verweist, an den die Juden umgesiedelt worden waren. Ezechiel 3.15:
„So kam ich zu den Verschleppten, [die am Fluß Kebar wohnten,] die in Tel Abib wohnten, und ich saß dort sieben Tage lang verstört mitten unter ihnen.“ Auch wenn mit diesem Verweis auf die Heilsgeschichte Bezug genommen wird, so gehört das Denken Herzls in die Geistesströmungen des nationalrevolutionären Denkens, der Verbindung von nationalen und sozialistischen Denkmustern.
3. Mit der Gedenkstätte Yad Vashem ist die Gründung des Staates Israel unmittelbar mit dem menschheitsgeschichtlichen Kulturbruch des Holocaustums der Moderne verbunden. Franziskus hat dies in seinem Gebet in Yad Vashem angesprochen. Nicht die Theodizee-Frage des „wie konnte Gott das zulassen“, sondern die Anthropodizee-Frage des „wo warst du Adam“ steht im Zentrum unseres Fragens. Staatspolitisch aber geht vom Holocaust eine Sinnstiftung des modernen Menschen als Opfer aus, die sowohl für den Staat Israel als auch für die Bundesrepublik Deutschland zu einer Quelle der Legitimität des Handelns geworden ist und auch individuell zu einer neuartigen säkularen Zivilreligion sich entwickelt hat.
Für die Frage nach der Zukunft unseres katholischen Glaubens ist das Entstehen einer neuen säkularen Zivilreligion von besonderer Bedeutung. Die geistesgeschichtlichen Bezüge sind in verschiedenen Texten bereits angesprochen:
- Gebet in Yad Vashem (
Das Gebet in Yad Vashem oder von der Theodizee zur Anthropodizee?)
- Die Aufklärungsvision einer assimilierten Menschheit als diesseitiges Paradies (
"Aufklärung“ oder die Vertreibung Gottes aus dem Paradies der modernen Gesellschaft)
- Die Sinnstiftung der Moderne aus einem Selbstheiligungs- und Gründungsopfer (
Menschenopfer und Selbstheiligung)
Vereinfacht ließe sich das so formulieren, dass in der dem Staate Israel zugrundeliegenden Mythik unsere nachchristliche Kultur sich mit einer älteren Wurzel und mit einer säkularen Heilsgeschichte verbinden möchte. Die Staatsgründung Israels intendiert in diesem Lichte die Wiederkehr des Messias in unsere Zeit und suggeriert so ein Ende der Geschichte. Da sind auch Verweise auf Joachim von Fiore und dessen Drittes Reich angebracht.
Papst Franziskus hat vorsichtig und klug die gefährlichen Stromschnellen von Yad Vashem und dem Heiligkeitsanspruch des Staates Israel umschifft, und kann nun tun, was schon längst hätte geschehen müssen, die Anerkennung des Staates der Palästinenser. Er hat damit auch vermieden, den heutigen Staat Israel mit dem alten Weinstock zu verwechseln, auf den wir aufgepfropft sind und dessen Geschichte wir bis in unsere Zeit fortschreiben. Es bleibt die Frage nach der theologischen Deutung des Holocausts. Die Deutung des Holocausts als einem neuzeitlichen Golgatha läuft auf eine Sinnumkehr des Opfers unseres Herrn auf Golgatha hinaus. Nicht Gott opfert seinen Sohn für uns und um unserer Sünde willen, sondern wir alle sind Opfer und als Opfer erhöht und geheiligt. Diese Selbsterhöhung des modernen Menschen liegt vielen Israel-Schwärmereien zugrunde.
Franziskus ist diesem Weg nicht gefolgt. Danke Herr.