Nicky41
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Hermann von der Reichenau - Salve Regina

Die Komposition eines Behinderten

Es war ein Mönch des Klosters auf dem Reichenau im Bodensee , der das „Salve Regina“ niedergeschrieben hat. Er hieß Hermann der Lahme. Wie schon der Beiname sagt, hatte er kein leichtes Schicksal. Von früher Jugend an körperbehindert fand er seine Freude am Lesen und Beten, am Studieren und Dichten. In der klösterlichen Gemeinschaft fühlte er sich geborgen. Hier fand er seine Aufgabe. Er hatte viele Begabungen, und das Kloster bot ihm die Möglichkeit, sie zu entfalten. Er selbst nannte sich den „Letzten der Armen Christi“. Die anderen sprachen von ihm als einem wahren Wunder, denn er arbeitete als Theologe und Mathematiker. Er beschäftigte sich mit Geschichte und Astronomie. Er komponierte und dichtete. Ein Mann mit vielen Talenten. Dass es an schweren Stunden in seinem Leben nicht gefehlt hat, kann man sich gut vorstellen. Immer auf Hilfe angewiesen, hat er sich selbst oft als Last für die Mitbrüder empfunden, obwohl sie ihn schätzten und achteten. In einer solchen schweren Stunde entstand das Salve Regina.

Der Mönch Hermann betete täglich das Ave Maria. Mit den Worten des Engels Gabriel sprach er da die Mutter des Herrn an, die von sich selber sagt: „ Siehe, ich bin die Magd des Herrn.“
Aber ist Maria nicht auch die Königin? Jesus hat vor Pontius Pilatus bekannt: „ Ja, ich bin ein König.“ Und am Kreuz war zu lesen: „ Jesus von Nazareth, der König der Juden.“
Die Mutter Jesu ist demnach eine Königin. Sie ist es noch weit mehr dadurch, dass ihr Sohn sie in den Himmel aufgenommen hat.

Der Mönch möchte schon in seiner Anrede ausdrücken, dass Maria hoch über ihm steht.
„ Gegrüßet seist du, Königin.“ Es ist kein Engel, kein Bote Gottes, der zu ihr spricht. Es ist der gelähmte Mönch Hermann, der sich an Maria wendet. Einzig diese Anrede scheint ihm den Abstand zu markieren, der zwischen ihnen beiden steht.
Trotzdem ist er sich seiner Anrede nicht ganz sicher. Ob Maria nicht vielleicht lieber mit „ Mutter“ angesprochen werden möchte ? „ Mutter“ allein ist ihm zu wenig. Es gibt ja auch Mütter, die kein Herz für ihr Kind haben, Mütter, die ihre Kinder im Stich lassen, Mütter, die den Tod ihres Kindes wollen. Maria ist anders. Maria ist eine Mutter, die diesen Namen verdient, eine Mutter mit Herz.
„ Mutter der Barmherzigkeit“ nennt er sie und fügt noch hinzu: „ unser Leben, unsere Süßigkeit, unsere Hoffnung“. Nicht Tod, sondern Leben vermittelt und wünscht Maria. Nicht die Bitterkeit der Ablehnung, sondern die beglückende Erfahrung, „ die Süßigkeit“ des Angenommenseins und des Geliebtwerdens, findet der Beter bei Maria. Nicht nur für dieses kurze und beschwerliche Leben ist Maria eine sichere Begleiterin, sie gibt Hoffnung über dieses Leben hinaus, denn an ihr hat Gott gezeigt, was er mit uns allen vorhat. Maria ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden. Das ist auch unser Ziel, einmal für immer bei Gott sein zu dürfen.

Noch aber sind wir auf dieser Erde mit all ihren Mühseligkeiten. Wir alle tragen mit an dem Erbe von Adam und Eva. Ihre Schuld hat das Paradies zum dornentragenden Acker gemacht. Krankheit und Leid begleiten seitdem den Menschen durch sein Leben. Für viele ist die Erde ein Tal der Tränen. Der kranke und behinderte Mönch Hermann ist einer von ihnen. Er sehnt sich nach einem besseren Leben, nach dem ewigen Leben. Er setzt seine Hoffnung auf Maria. Sie soll ihm Anwältin bei Jesus sein. Er bezeichnet sie als unsere „ Advocata“, als diejenige, die unser Sache vor Gottes Thron vertritt. Der Beter wünscht nichts sehnlicher als einmal bei Jesus sein zu dürfen.

Manche waren der Meinung, Hermann habe ein zu düsteres Bild von der Erde und unserem Leben gezeichnet. Sind wir wirklich so arm dran, dass man von uns als „ elenden Kindern Evas“ sprechen kann ? Bringen wir unsere Tage tatsächlich mit ständigem Jammern dahin? Ist die Welt ein einziges Tränental, oder finden sich in ihr nicht auch Freude und Glück? Hermann hat das Gebet in lateinischer Sprache verfasst und er bezeichnet mit den „ elenden Kindern Evas“ unseren Zustand der Sehnsucht nach der Heimat im Himmel.

Wie viele Menschen aber empfinden wie der Mönch Hermann ihr Leben als Tränental?
Menschen mit einer schweren Krankheit. Menschen, die großes Leid getroffen hat. Menschen, die weder aus noch ein wissen. Ihnen sind die Worte aus dem Herzen gesprochen. Der Mönch Hermann hat formuliert, was sie fühlen, anders ist es auch gar nicht zu erklären, dass sein Gebet, das er in der stillen Klosterzelle auf der abgelegenen Reichenau niedergeschrieben hat, von Kloster zu Kloster weitergegeben wurde und das gemeinsame Abendgebet der Mönche, die Komplet, beschließt.
Von den Klöstern nahm es seinen Weg zu den frommen Betern und gehörte schon bald zum Gebetsschatz der Kirche.

Bernhard von Clairvaux hat am Ende seiner großen Kreuzzugspredigt 1146 im Dom zu Speyer das Salve Regina gebetet und die Worte hinzugefügt: „ O gütige, o milde, so süße Jungfrau Maria.“

Seit diesem denkwürdigen Tag, an dem König Konrad III. und mit ihm viele Fürsten des Reiches das Kreuz nahmen, endet das Gebet des Hermann von der Reichenau mit dem Lobpreis des heiligen Bernhard an die Gottesmutter.

Wie tief das Salve Regina zu bewegen vermag, lässt sich in den „ Erinnerungen“ Christoph von Schmids (1768 – 1854) nachlesen. 1778 wurde er von seinem Vater auf eine Wallfahrt zum Schönen Berg bei Ellwangen mitgenommen. Der Schriftsteller und Pädagoge schreibt als greiser Domkapitular :
„ Ich erinnere mich sehr lebhaft, wie mir in diesem Gebet besonders die Worte an Maria zu Herzen gingen : ‚Zu dir seufzen wir weinend und flehend in diesem Tal der Tränen. Sei du unsere Fürsprecherin, wende deine barmherzigen Augen zu uns, und nach diesem Elend zeige uns Jesum, die gebenedeite Frucht deines Leibes.´ Es ergriff mich, die vielen betenden Menschen, von denen viele recht bedrängt schienen, zu sehen, und ich fühlte es mehr als je, dass wir hier auf Erden nur Wanderer und in der Fremde sind, und uns auf der Reise in ein besseres Land, unser eigentliches Vaterland befinden.“

Genau darum ging es Hermann dem Gelähmten und nicht anders Bernhard von Clairvaux :
mit Maria hinzupilgern zum himmlischen Jerusalem.

(Ludwig Gschwind, Maria Dich lieben)
Melchiades
Und auch das Büchlein über sein Leben und Werken ist sehr lesenswert.
Findet man z. B. hier :www.booklooker.de/…/A0275iNE01ZZC und auch bei amazon als Neuauflage oder gebraucht.