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„Haut doch ab!“ Undercover-Reportage TEIL II: Als angeblicher Asylbewerber in Berliner Flüchtlingsunterkünften

Normalerweise ist Shams Ul-Haq als Terrorismusexperte in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs, berichtet als Korrespondent für das pakistanische Fernsehen aus Deutschland oder für deutsche Sender aus Pakistan. Vergangene Woche erschien an dieser Stelle der erste Teil seiner Reportage aus Asylunterkünften in Berlin (JF 7/16). Um dort für die JF undercover recherchieren zu können, gab sich der gebürtige Pakistaner als Asylbewerber aus, ließ sich beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) registrieren und lebte in zwei verschiedenen Flüchtlingsunterkünften: in einer Turnhalle im Stadtteil Prenzlauer Berg sowie einem Hangar des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Für Shams Ul-Haq ist es nicht die erste Reportage dieser Art, er berichtete zuvor bereits für die Zürcher Sonntagszeitung aus einer Asylunterkunft in Kreuzlingen (Schweiz).

Lesen Sie hier den zweiten Teil seines Berichts aus dem Inneren des Berliner Asylbetriebs:

Beim Lageso sehe ich mit eigenen Augen, wie Asylbewerber von Sicherheitsleuten geschlagen werden, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Die Männer von der Security-Firma sind teilweise arabischstämmige Muslime. Einige beschimpfen die Wartenden aufs übelste. Noch harmlos dagegen sind ihre Sprüche wie: „Haut doch ab, wenn ihr nicht warten könnt! Was macht ihr hier überhaupt?“
Wenn es fair läuft, dauert es normalerweise drei oder vier Tage, bis man einen Termin beim Lageso bekommt. Hier aber bezahlen Asylbewerber an Sicherheitsleute zum Teil Bestechungsgelder in Höhe von 60 bis 70 Euro, um schneller einen Termin zu erhalten. Man merkt im übrigen, daß hier das Personal der Sicherheitsdienste nicht qualifiziert genug ist.

Während ich zwischen Tempelhof und der Sporthalle abwechselnd unterwegs bin, kann ich Unterschiede feststellen. In der Turnhalle sind viele Sicherheitsleute – wie auch die Sozialarbeiter – auffallend nett und liebevoll zu den dort Untergebrachten. Doch in Tempelhof ist es das genaue Gegenteil.
Auf meine Frage, warum das so ist, meint ein Angestellter in Tempelhof, es gäbe viele Gründe dafür. Der gewichtigste sei sicherlich, daß die privaten Security-Mitarbeiter der verschiedenen Einrichtungen höchst unterschiedlich bezahlt würden. Das Unternehmen bekomme über 20 Euro die Stunde pro Arbeitskraft; an ihre Angestellten zahlen die Leiharbeiterfirmen jedoch nur 6 bis 7 Euro aus. Für letztere ist das große Lager in Tempelhof eine einzige Gelddruckmaschine.

Zwölf Betten passen in die Containerbox, in der ich mit den anderen – zumeist Pakistanern, Afghanen, aber auch Syrern – untergekommen bin. Der Platz reicht kaum aus, sich noch zu bewegen. Die Enge belastet die Stimmung. Einen schönen Moment am Tag gibt es. Nämlich immer dann, wenn am Abend ein Asylant Musik macht. Für kurze Zeit weichen die Sorgen und die Ungewißheit der Bewohner. Für die Kinder, die sich sonst den ganzen Tag über langweilen, gibt es sogar einen Spielraum. Soweit ich es mitbekommen habe, werden nur die syrischen Familien zu Deutschkursen abgeholt. Das sorgt für Unmut unter den Asylbewerbern aus anderen Staaten.
Grundkapital der Dealer kommt vom Steuerzahler

Wer viel Zeit und wenig Geld hat, kommt auf illegale Ideen. Um mit dealenden Flüchtlingen ins Gespräch zu kommen, kaufe ich im Park in der Nähe der U-Bahnstation Turmstraße ein kleines Stück Haschisch. In der Unterkunft lasse ich später einen Joint herumgehen. Das lockert die Zungen. Die wenigsten der jungen arabischen Dealer, die ich spreche, kamen mit dem Vorsatz nach Deutschland, sich im Drogengewerbe zu etablieren. Sie schlittern hinein. Eine andere Möglichkeit, jenseits von Diebstahl und über die Sozialhilfe hinaus an Geld zu kommen, sehen sie meist nicht.

Die Crux liegt im elend-langen Asylverfahren, das sich bis zu drei oder vier Jahre hinziehen kann. Der 20jährige Marokkaner im Park, vor dem ich den Kiffer mime, erzählt von seiner Angst, nach einem abgelehnten Antrag genauso abgebrannt wie er aufgebrochen war, wieder in die Heimat zurückzukehren.
Für das Grundkapital eines Drogenhändlers sorgt übrigens der deutsche Steuerzahler. Von der monatlich für jeden Asylbewerber ausgezahlten Summe, die im Schnitt bei 200 Euro liegt, wird eine große Portion Marihuana oder Haschisch bezogen. Das wiederum kaufen dann Touristen und junge Berliner gern in 5-Euro-Portionen gestückelt. Auch in Tempelhof ignorieren die Sicherheitsleute, wenn die Bewohner kiffen. In den anderen Flüchtlingslagern beobachte ich das gleiche. Der charakteristisch süßliche Geruch weht einem schon von weitem um die Nase. Dazwischen spielen Kinder. Niemanden interessiert das.
Die 0,1-Liter-Wodka-Fläschchen, die ich ebenfalls als Geschenke verteile, finden auch bei Leuten Anklang, die sonst dem Heiligen Krieg das Wort reden. Das durch den Koran belegte Alkoholverbot dürfte muslimischen Ländern eine Menge an Problemen erspart haben. Hier greift es nicht.

Manche Flüchtlinge nutzen auch noch eine ganz besondere Einnahmequelle. In Tempelhof lerne ich jemanden kennen, der unter verschiedenen Namen und Legenden durch die Bundesrepublik tourte und überall Asylanträge stellte. So kassierte er mehrfach Unterstützung. Irgendwann hatte er es übertrieben. Die Geschichte kam heraus. Jetzt muß er Deutschland innerhalb von sechs Wochen verlassen.
Die Betrugsmethode bleibt in den meisten Fällen unentdeckt. Das liegt am Fingerabdrucksystem, das nicht wirklich funktioniert. Den dezentralen Behörden fehlte bisher die Möglichkeit, durch die entsprechende Datenbank-Eingabe beispielsweise von Berlin aus festzustellen, ob jemand in Stuttgart oder Saarbrücken bereits in einer Unterkunft registriert war. Hört sich unglaublich an, ist aber wahr. Erst jetzt soll ein Zugriff auf eine zentrale Datei möglich sein. Um die Identität eines Flüchtlings zu prüfen, stünde den Behörden auch die Option offen, in Zweifelsfällen bei den Konsulaten und Botschaften der vermeintlichen Herkunftsländer nachzufragen. Mit einem Land wie Syrien wäre das momentan kaum möglich, mit Marokko oder Pakistan jedoch schon. Vor allem im Kontext islamistischer Terrorgefahr sollte Deutschland alles daransetzen, möglichst genau zu wissen, wer sich auf seinem Hoheitsgebiet aufhält.