Elista
1151

Die USA und der Nahostkonflikt: Der Plan des Schwiegersohns

Im Sommer will Jared Kushner seinen Nahostplan präsentieren: "Frieden für Wohlstand" versprechen die USA den Palästinensern, wenn sie dafür den Traum vom eigenen Staat aufgeben. Israels Sicherheitsexperten sind alarmiert.
Von Dominik Peters und Christoph Sydow

Carlos Barria/REUTERS
Jared Kushner (M.) mit Donald Trump und Benjamin Netanyahu: "Frieden für Wohlstand"
"Naksa" nennen die Palästinenser das, was vor genau 52 Jahren, im Juni 1967 passiert ist. Und es ist einer der wenigen Fälle, in denen die arabische Rhetorik zur Untertreibung neigt.

Anzeige
Denn "Naksa" bedeutet Rückschlag. Nach der "Nakba" (Katastrophe), der Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser im Zuge des israelischen Unabhängigkeitskriegs 1948, sei die Eroberung Ostjerusalems, des Westjordanlandes und des Gazastreifens durch die israelische Armee 19 Jahre später nur ein Rückschlag gewesen auf dem Weg, ganz Palästina eines Tages zurückzuerobern - das war 1967 die Parole. Sie wird bis heute verbreitet.
52 Jahre später ist klarer denn je, dass der Juni 1967 den Anfang vom Ende des Traums von einem eigenen Staat für die Palästinenser markierte. 1993 hatte sich der Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Jassir Arafat offiziell damit abgefunden, dass der Staat Israel nicht verschwinden wird. Nun wird sich sein Nachfolger Mahmoud Abbas damit abfinden müssen, dass es den Staat Palästina nicht geben wird.

Thaer Ghanaim/REUTERS
Palästinenserpräsident Abbas und Jared Kushner bei einem Treffen in Ramallah (Archiv)
Laut US-Regierung steht bereits fest: In dem Nahost-Friedensplan, den das Weiße Haus irgendwann in den kommenden Wochen oder Monaten vorstellen wird, ist kein Platz für einen palästinensischen Staat vorgesehen.
"Wenn wir von zwei Staaten reden, heißt das für die Israelis etwas anderes als für die Palästinenser", sagte Jared Kushner im vergangenen Monat. Der Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump ist federführend bei der Ausarbeitung des Plans, den Trump selbst mal als "Deal des Jahrhunderts" bezeichnet hatte.
Palästinenser fühlen sich zur Kapitulation gezwungen
Aus Sicht der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah hat sich Trumps Plan damit schon jetzt erledigt. Die US-Regierung wolle den Nahostkonflikt lösen, indem sie die Palästinenser zur Kapitulation zwinge, sagte der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Shtayyeh.
Um den Palästinensern diese bittere Pille ein wenig zu versüßen, hat sich die US-Regierung entschieden, ihren Plan in zwei Etappen offenzulegen:
Zum Auftakt veranstalten die USA Ende Juni zusammen mit mehreren Golfstaaten einen Wirtschaftsworkshop in Bahrain unter dem Motto "Frieden für Wohlstand".
Bei dem Treffen soll den Palästinensern deutlich gemacht werden, welch wirtschaftliches Potenzial sich ihnen mit Hilfe von Geldern der arabischen Golfstaaten bietet, wenn sie sich auf Trumps Bedingungen einlassen.
Die US-Regierung stellt es als großzügige Geste an die Palästinenser dar, dass sich zum Auftakt des Kushner-Plans alles um die Palästinenser und ihre möglichen wirtschaftlichen Vorteile und nicht um Israel dreht.
Aus Sicht der palästinensischen Führung ist das aber längst unerheblich, nachdem die USA bereits die israelische Souveränität über Ostjerusalem anerkannt und sich von der Zweistaatenlösung verabschiedet haben - und damit den politischen Lösungsvorschlag selbst vom Tisch genommen haben.

Mahmoud Illean/DPA
Palästinenser beten in Jerusalem im Innenhof der Aksa-Moschee
Benjamin Netanyahu gilt seit Jahren als Verfechter eines "ökonomischen Friedens", wie er offenbar auch Trump und Kushner vorschwebt. Israels Premier betrachtet diesen als Grundvoraussetzung für eine langfristige politische Annäherung. Doch wie die gelingen kann, ist weiter völlig offen.
Netanyahu selbst wird an dem Workshop in Bahrain nicht teilnehmen. Wen er stattdessen an den Golf schickt, ist angesichts der Regierungskrise in Israel noch unklar.
Netanyahu warnt vor zweitem Gazastreifen im Westjordanland
Zweistaatenlösung hin oder her - dass Israel die großen Siedlungsblöcke im Westjordanland niemals räumen würde, ist im Land seit Jahren weitgehend Konsens. Dort leben Hunderttausende Israelis. Sie alle zu evakuieren - so die Befürchtung - könnte die israelische Gesellschaft an den Rand eines Bürgerkriegs bringen.

Ammar Awad/REUTERS
Die israelische Siedlung Maale Adumim unweit von Jerusalem
Hinzu kommen weitere massive Sicherheitsbedenken. "Wir haben gesehen, was wir nach einem Abzug aus dem Gazastreifen bekommen haben", sagte Netanyahu erst Anfang April. Bei einem Abzug aus dem Westjordanland sei ein "Gazastreifen in Judäa und Samaria" zu befürchten. Judäa und Samaria ist die israelische Bezeichnung für das Westjordanland. Israel hatte seine Siedlungen in Gaza 2005 geräumt.
Zwei Jahre später übernahm die islamistische Hamas dort die Kontrolle - und feuert bis heute aus der Küstenenklave Raketen auf Israel. Vom Westjordanland aus könnten radikale Milizen fast ganz Israel unter Raketenbeschuss nehmen - so das Horrorszenario, das Netanyahu umreißt.
Trotzdem hat Israel seit 1967 davor zurückgeschreckt, das Westjordanland zu annektieren - anders als die Golanhöhen, die man zur selben Zeit von Syrien erobert hatte. Denn eine Annexion würde wohl über kurz oder lang das Ende eines jüdischen und demokratischen Staates Israel bedeuten:
Innerhalb eines solchen Staats würden ungefähr genauso viele Juden wie arabische Muslime und Christen leben
Erhielten sie die gleichen Rechte wie die Juden, wäre Israel kein jüdischer Staat mehr
Verwehrte man ihnen diese Rechte, wäre Israel kein demokratischer Staat mehr
Rechte und religiöse Politiker in Israel tun diese Bedenken gern ab. Die Militärführung und hochrangige Sicherheitsexperten warnen aber seit Jahren vor der Annexion.

Ariel Schalit/DPA
Israels Premierminister Benjamin Netanyahu
2014 gründeten hochrangige Ex-Militärs die Gruppe "Kommandeure für Israels Sicherheit", der sich inzwischen Hunderte angeschlossen haben. Im Wahlkampf vor einigen Monaten plakatierten sie im ganzen Land einen Slogan: "Es ist Zeit, sich von den Palästinensern zu scheiden". Erfolgreich waren sie damit nicht.
Zuletzt warnten die Sicherheitsexperten in einem offenen Brief an Netanyahu vor den Folgen einer Annexion. Die Antwort gab der Regierungschef via Twitter. Netanyahu diffamierte die Generäle im Ruhestand als linke Utopisten und erklärte, es handele sich bei der Gruppe "um dieselben 'Experten', die einen Atomdeal mit Iran unterstützt haben." Das Westjordanland, so Netanyahu weiter, "ist nicht nur eine Sicherheitsgarantie für Israel - es ist auch das Erbe unserer Vorväter".


www.spiegel.de/…/jared-kushner-h…
Elista