cantate
21,1K

Gibt es doch eine "Pille danach", die im diskutierten Fall moralisch erlaubt wäre?

Warum eine Anwendung nach Vergewaltigung unter Umständen vertretbar ist – Antworten eines Pharmakologen. Ein Gastbeitrag von Andreas Reimann

Köln (kath.net) Für praktisch alle, die sich mit dem Lebensschutz ernsthaft auseinandersetzen, war für viele Jahre eines gewiss: Die häufig auch als „Notfallverhütung oder -kontrazeption“ bezeichnete „Pille danach“ hemmt die Einnistung der befruchteten Eizelle und wirkt damit frühabtreibend.

Das mit Abtreibung im juristischen Sinne erst die Tötung des Embryos nach erfolgter Einnistung in die Gebärmutter (Nidation) gemeint ist, machte die Sache für überzeugte Katholiken – und übrigens auch für logisch denkende Atheisten – nicht besser:

Biologisch existiert der Mensch von Anfang an und seine Tötung ist damit absolut verboten. Diese Auffassung hat Kardinal Meisner nachdrücklich bestätigt. Aber er hat nun dieses Prinzip von der Bewertung konkreter Arzneimittel und deren Wirkmechanismus getrennt. Während Ersteres Aufgabe der Kirche ist, fällt Letzteres in die Kompetenz von Ärzten und Apothekern. Nehmen sie ihren katholischen Glauben ernst, werden sie sorgfältig prüfen, ob die Anwendung eines bestimmten Arzneimittels vertretbar ist oder nicht.

Prinzipielle Wirkweisen von „Notfallkontrazeptiva“

Schaut man sich genau an, was unter „Notfallverhütung“ verstanden werden kann, wird schnell klar: Man muss die Verhütung der Zeugung nach einem ungeschützten – und im Falle der Vergewaltigung der Frau aufgezwungenen – Geschlechtsverkehr unterscheiden von der Tötung des sich entwickelnden Embryos nach erfolgter Befruchtung.

Nur während einer relativ kurzen Zeit des weiblichen Zyklus ist eine Befruchtung wahrscheinlich. Dies resultiert daraus, dass nach dem Eisprung die Eizelle nur circa 12 bis 24 Stunden befruchtungsfähig ist und die Spermien nur 3 bis 5 Tage überleben können. Somit besteht 4 bis 5 Tagen vor dem Eisprung und circa ein Tag nach dem Eisprung eine hohe Empfängniswahrscheinlichkeit nach dem Geschlechtsverkehr. Sie ist am höchsten an den beiden Tagen vor dem Eisprung. Da häufig unklar ist, zu welchem Zykluszeitpunkt die Vergewaltigung erfolgt ist, wird der Einsatz von Notfallkontrazeptiva stets empfohlen. Sie aber können verschiedene Angriffspunkte haben.

Verfügbare Präparate und wie sie wirken

In Deutschland zugelassen sind als „Pille danach“ Levonorgestrel (LNG) 1,5 mg (PiDaNa®) sowie Ulipristalacetat (UPA) (ellaOne® 30 mg).

Hersteller beider Präparate ist HRA-Pharma (Paris). Darüber hinaus steht als Medizinprodukt die Kupferspirale, die auch als „Spirale danach“ verwendet werden kann, zur Verfügung. Nicht zugelassen ist die niedrigdosierte Anwendung von Mifepriston (in Deutschland nur als Abtreibungsmittel Mifegyne®), die vor allem in China weit verbreitet ist. Die erste „Pille danach“, die hochdosierte Östrogen/Gestagen Kombination Tetragynon® , wurde wegen ihres ungünstigen Nutzen/Risiko-Profils schon vor über zehn Jahren vom Markt genommen.

Unstrittig ist, dass die „Spirale“ auch die Entwicklung des Embryos nach der Befruchtung angreift und daher jedenfalls als frühabtreibend eingeordnet werden muss.

Bei LNG handelt es sich um ein dem natürlichen Hormon Gestagen nachgebildetes Molekül. Es ist nur für die Anwendung in den ersten 72 Stunden nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr zugelassen, verliert aber bereits 24 Stunden nach dem Verkehr einen großen Teil seiner Wirkung. Als Hauptwirkungsmechanismus konnte die Verhinderung des Eisprungs gezeigt werden.

UPA ist ein der „Abtreibungspille“ Mifepristone chemisch verwandtes Molekül, das im Gegensatz zu Mifepristone nicht ausschließlich als Gegenspieler des für die Erhaltung einer frühen Schwangerschaft wichtigen Progesterons agiert, sondern an den Progesteronrezeptoren – also den „Schlössern“, in die der natürliche „Schlüssel“ passt – dessen Wirkung sowohl reduzieren als auch verstärken kann. Es gibt Befunde dafür, dass UPA insbesondere bei länger zurückliegendem ungeschütztem Geschlechtsverkehr besser wirkt als LNG. Im Gegensatz zu diesem ist es deshalb für die Anwendung bis zu 5 Tage „danach“ zugelassen und wirkt auch noch unmittelbar vor dem Eisprung. Es soll ebenfalls überwiegend über eine Verschiebung beziehungsweise Verhinderung des Eisprungs wirken.

Die meisten Lehrbücher der Gynäkologie und der Pharmakologie beschreiben für LNG und UPA neben einer Hemmung oder Verzögerung des Eisprungs auch eine Wirkung auf die Einnistung des Embryos als möglich. In der aktuell gültigen Fachinformation des LNG-Präparates PiDaNa® ist dies sogar in einem amtlichen Dokument über das Arzneimittel so ausgesagt. Die Kirche konnte daher zu Recht die Auffassung vertreten, eine Verordnung beziehungsweise Abgabe dieser Präparate verstoße gegen das Verbot der Abtreibung und somit auch in Richtlinien eine Verordnung in katholischen Krankenhäusern untersagen.

Neue Erkenntnisse: Was hat sich geändert?

Die Biowissenschaften und somit auch die Medizin unterliegen immer schnelleren Aktualisierungszyklen. Bis neue Befunde in die Lehrbücher Eingang gefunden haben, vergehen oft Jahre. Dazu kommt: Vielen Gynäkologen dürfte der tatsächliche Wirkungsmechanismus der „Pille danach“ nicht sehr wichtig sein, denn sie legen eher Wert auf die Verhinderung der Schwangerschaft – ohne die ethischen Probleme vor der Einnistung zu vertiefen. Schließlich bleiben auch heute noch wichtige Fragen zu den Wirkungsmechanismen ungeklärt.

Betrachtet man allerdings nun die Veröffentlichungen der letzten fünf Jahre intensiver, so kommen die meisten Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Annahme einer frühabtreibenden Wirkung zumindest von LNG nicht mehr aufrechterhalten werden kann. In der Tat findet sich kein schlüssiger Beweis für eine solche These. Der Hersteller beabsichtigt nach eigenen Angaben die Fachinformation in diesem Punkt noch in diesem Jahr ändern zu lassen. Insbesondere eine 2011 veröffentlichte Studie an 148 Frauen zeigt eine fehlende Wirkung von LNG, wenn dieses nach dem Eisprung gegeben wurde. Dies ist ein starker Hinweis auf eine fehlende Wirkung auf die bereits befruchtete Eizelle. Auf der anderen Seite finden sich aber auch begründete wissenschaftliche Meinungen, die eine solche generelle Aussage für noch nicht möglich halten.

Beim UPA gibt es ebenfalls keine direkten Beweise für eine frühabtreibende Wirkung. Allerdings ist die Datenlage hier noch wesentlich unsicherer und Aussagen zu einer fehlenden frühabtreibenden Wirkung werden auch wegen der pharmakologischen Nähe zum Mifepriston sowie der längeren Wirksamkeit nach dem Geschlechtsverkehr angezweifelt.

Es spricht sehr vieles dafür, dass zumindest das LNG-Präparat keine frühabtreibende Wirkung hat. Kardinal Meisner hat klargestellt, was Aufgabe der Kirche ist und was nicht: Sie muss ganz klar sagen. wann die Anwendung eines Arzneimittels mit dem Recht auf Leben vereinbar ist – und wann nicht. Nämlich dann, wenn ein Arzneimittel frühabtreibend wirkt und bewusst auch so eingesetzt wird. Dagegen obliegt es dem verordnenden Arzt (und übrigens auch dem abgebenden Apotheker), ob die aktuelle wissenschaftliche Befundlage eine Anwendung im Lichte dieses Prinzips vertretbar macht oder nicht. Die Kirche steigt somit nicht in die sich schnell weiterentwickelnde naturwissenschaftlich/medizinische Diskussion ein, sondern hilft, das Gewissen zu schärfen. Die Erklärung des Kölner Erzbischofs hat in keiner Weise die kirchliche Lehre verändert, sie hat aber einen wichtigen Beitrag zur eigenen Berufung von theologischen Laien mit medizinischer oder pharmazeutischer Kompetenz geleistet. Dies ist zum Wohle von Frauen, die Opfer eins besonders widerlichen Verbrechens geworden sind. Es gibt allen Grund, hierfür dankbar zu sein.

Dabei ist es absolut normal, dass wissenschaftliche Meinungen kontrovers diskutiert werden, auch zwischen katholischen Wissenschaftlern. Dies sollte „sine studio et ira“ und insbesondere ohne ideologische Scheuklappen geschehen. Dass es solche auf allen Seiten gibt, kann nicht verleugnet werden.

Der Autor ist Apotheker und Betriebswirt mit 22 Jahren Berufserfahrung in Universität (Pharmakologie), pharmazeutischer Industrie und Patientenorganisationen.

Quelle: kath.net/detail.php
elisabethvonthüringen
Passend dazu sagt blog.peter-winnemoeller.de
<<Wenn jetzt der Eindruck entsteht, ich hätte nach allen Seiten ausgekeilt, so mag man mir bitte zugestehen, daß ich auch nach allen Seiten einladend zu sein beabsichtigt habe.
+Eine Talkshow weniger, ist manchmal mehr.
+Eine öffentliche Distanzierung weniger, ist manchmal mehr.
+Eine Indiskretion weniger, ist manchmal mehr.
+Ein verkniffener Kommentar …Mehr
Passend dazu sagt blog.peter-winnemoeller.de

<<Wenn jetzt der Eindruck entsteht, ich hätte nach allen Seiten ausgekeilt, so mag man mir bitte zugestehen, daß ich auch nach allen Seiten einladend zu sein beabsichtigt habe.

+Eine Talkshow weniger, ist manchmal mehr.
+Eine öffentliche Distanzierung weniger, ist manchmal mehr.
+Eine Indiskretion weniger, ist manchmal mehr.
+Ein verkniffener Kommentar in einem Onlineportal oder auf facebook, ist manchmal mehr.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, so hoffe ich, daß bald ein Weg gefunden wird, zumindest innerkirchlich zu einem fruchtbaren Gespräch ohne Scherben zu kommen.
Eremitin
👏