Afghanische Gastfamilie bekam 4000 € pro Monat für Hussein K. - Das alles passt nicht zu unserem Freiburg
Freiburger Mordfall Maria L.
Das alles passt nicht zu unserem Freiburg
Von Rüdiger Soldt
11.12.2016 • Im Mordfall Maria L. gibt es mehr Details – aber auch neue Fragen. Was ging schief bei der Betreuung des Täters? Seine Facebook-Kommentare zeugen von Depressivität.
Viel Engagement, Anteilnahme - und eine Hasslawine bisher ungekannten Ausmaßes: Blumen und Botschaften am Tatort in Freiburg.
Maria L. hätte in der Nacht vom 16. Oktober noch zehn Minuten radeln müssen, dann hätte sie ihr WG-Zimmer in der Thomas-Morus-Burse erreicht. Doch gegen drei Uhr in der Nacht traf sie auf Hussein K. Die junge Frau kam in dem gerade frisch weinrot gestrichenen und renovierten katholischen Studentenwohnheim nicht mehr an. Ihr Name steht noch am Klingelbrett. Hussein K., ein minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan, soll sie aufgehalten und vergewaltigt haben; wie sie gestorben ist, muss noch ermittelt werden. Dass K. der Täter ist, gilt als sicher; am Opfer wurden eindeutige DNA-Spuren gefunden. Der Fall wäre eine Meldung in der „Badischen Zeitung“ geblieben, wenn ein Franzose aus dem Elsass oder ein Tourist aus der Schweiz die schreckliche Tat verübt hätte. Weil die zum Teil archaischen Vorstellungen von Sexualität und ein patriarchalisches Frauenbild vieler Flüchtlinge aber immer wieder für Diskussionen sorgen, ist der Fall einer für die Talk-Shows der Republik geworden.
Hussein K. ist am Freitag vergangener Woche verhaftet worden. Er sitzt in Untersuchungshaft und schweigt. Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft stecken noch mitten in den Ermittlungen, viele Fragen – ermittlungstechnische wie politische – sind unbeantwortet. Bekannt ist mittlerweile, dass Hussein K. 2015 nach Freiburg kam wie so viele als minderjährig eingestufte Flüchtlinge, deren Alter sich häufig nicht zweifelsfrei feststellen lässt. Freiburg ist der erste Bahnhof nach der deutsch-schweizerischen Grenze, viele minderjährige Flüchtling werden im Zug oder am Bahnhof von der Bundespolizei aufgegriffen.
Geboren wurde Hussein in Afghanistan, er gehört zur Volksgruppe der Hazara, einer überwiegend schiitischen und Persisch sprechenden Minderheit. Über seinen Facebook-Account kommunizierte er mit gleichaltrigen afghanischen Freunden, er war Mitglied der Gruppe „Süße afghanische Mädels“. Es gibt auch ein Bild, auf dem sich ein Wolf über eine schöne Frau beugt. Einer seiner Facebook-Freunde teilte ein Bild einer verschleierten Frau, die über sich sagt: „Meine Schönheit ist nur für meinen Mann.“
Facebook-Kommentare zeugen von Depressivität und Verzweiflung
Fröhliche Selfies hat Hussein nicht gepostet. Aus den zahlreichen verschiedenen Selbstporträts lässt sich schließen, dass ihm sein Äußeres wichtig war, denn er hat es ständig radikal verändert. Fast alle Kommentare sind düster, zeugen von Depressivität und Verzweiflung. Am 25. April schrieb Hussein: „Lieber Gott, meine Hand reicht zu Deinem Himmel, aber Deine Hand nicht zur Erde, also heb mich hoch.“ Am 5. Oktober heißt es: „Gott, mein Leben ist orientierungslos, bring mich zurück an den Tag, an dem ich geboren bin.“
Auch ein düsteres Tattoo postete er, unter einem Adler steht auf Persisch: „Was uns passiert ist, war unser Schicksal. Alles, was uns im Kopf herumgegangen ist, zeigt, dass wir nicht achtsam gelebt haben. Als wir nachdenken wollten, war es zu spät, und auf unserer Haustür stand: Der ist gestorben.“
Nach Auskunft seiner Lehrer war der junge Flüchtling kein schlechter Schüler. Unklar ist noch, womit er sich in seiner Freizeit beschäftigt hat. Angeblich soll er sich nachts mit afghanischen Jugendcliquen im Freiburger Colombi-Park herumgetrieben haben; die eigentlich sehr schöne Parkanlage in der Innenstadt ist seit Jahren das Revier von Drogenabhängigen, alkoholisierten Jugendlichen, Gewalttätern und Obdachlosen. Hussein soll wenig zu Hause bei seinen Pflegeeltern und oft betrunken und bekifft gewesen sein.
„Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (UMA) werden meistens in Wohngruppen untergebracht, die wiederum von Jugendhilfeträgern unterhalten werden. Für Hussein war das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald zuständig, der Landkreis betreut derzeit 181 UMA; zehn sind bei Familien im Landkreis untergebracht, nur drei bei Familien in der Stadt. Hussein nahm ein afghanischer Akademiker auf, der mit seiner Frau im Osten Freiburgs wohnt, nicht weit von Marias Studentenwohnheim.
Von seiner Wohnung hätte Hussein zehn Minuten gebraucht, um in das Wohnheim zu kommen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Maria und Hussein schon einmal begegnet sind - in der Straßenbahnlinie 1, in den Stadtteilen Littenweiler oder Ebnet. Belege gibt es hierfür jedoch nicht. Die vor allem im Internet verbreitete Behauptung, mutmaßlicher Täter und Opfer könnten sich in einer Arbeitsgruppe des Vereins „Weitblick“ kennengelernt haben, erwies sich als Falschmeldung. Die Polizei hat bislang keinerlei Anhaltspunkte für eine Bekanntschaft oder gar Beziehung zwischen beiden.
Über Verhältnisse in Husseins Pflegefamilie ist noch wenig bekannt
„Maria L. engagierte sich seit Anfang des vergangenen Semesters bei Weitblick Freiburg e.V. im Arbeitskreis International“, teilte der Verein in dieser Woche mit. „Gemeinsam mit anderen Vereinsmitgliedern organisierte sie Aktionen, um Spenden für die Renovierung einer Grundschule in Ghana zu sammeln. Maria war in unserem Verein dementsprechend nicht in der Hilfe für Geflüchtete aktiv, sondern im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.“
In der Todesanzeige der Studentin hatten die Eltern um Spenden für „Weitblick“ gebeten; das hatte zu wilden Spekulationen geführt, und die AfD und verschiedene Rechtsradikale hatten sogar das humanitäre Engagement von Marias Familie für ihren Tod mitverantwortlich gemacht. Im Internet führte der Fall zu einer Hasslawine bislang unbekannten Ausmaßes, die auch vor den Eltern des Mädchens keinen Halt machte.
Mit der Unterbringung in einer Familie hatte Hussein großes Glück – bei schwer durch Krieg oder die Flucht traumatisierten Migranten gilt ein familiäres Umfeld als beste Voraussetzung für eine gelungene Integration. In vielen Pflegefamilien, die syrische, afghanische oder auch afrikanische Flüchtlinge aufgenommen haben, gehören Auseinandersetzungen über das archaische Frauenbild zum Alltag. Psychologen halten dennoch nichts davon, derartige Gewalttaten mit der kulturellen Herkunft zu erklären. Sie nehmen an, dass pubertierende Flüchtlinge sich schnell an das Frauenbild und die Vorstellungen von Sexualität im Gastland anpassen, weil sie Erfolg und Anerkennung haben wollen.
Über die Verhältnisse in Husseins Pflegefamilie ist noch wenig bekannt. Bei minderjährigen Flüchtlingen muss mindestens ein Elternteil der aufnehmenden Familie eine pädagogische oder ärztliche Qualifikation haben; in diesem Fall hatten sogar beide Elternteile diese. Sexualstraftäter leiden oftmals an einer schweren Psychose. Wahnhafte Gedanken, Halluzinationen, Denkstörungen, Selbstvernachlässigung oder ein emotionaler Rückzug können Vorboten eines derart schweren Gewaltverbrechens sein, sagen Psychologen. Bei den weiteren Ermittlungen und in der Gerichtsverhandlung wird noch zu klären sein, ob die Pflegeeltern in den Wochen und Tagen vor der Tat etwas bemerkt haben.
40 Minuten in Oktobernacht noch ungeklärt
Die Familien bekommen einen Tagessatz zwischen 130 und 150 Euro für die Unterbringung, es gibt regelmäßig Gespräche mit den Mitarbeitern des Jugendamtes und der betreuenden Jugendhilfeeinrichtung über die Entwicklung des Jugendlichen. Husseins Akten hat das Landratsamt, sie werden in dem Strafverfahren sicher eine Rolle spielen.
Das Landratsamt, das nach dem Tod des Kleinkinds Alessio im vergangenen Jahr erheblich in der Kritik stand, wird sich auch im Fall Hussein die Frage gefallen lassen müssen, ob der Flüchtling stark genug kontrolliert und ausreichend intensiv betreut worden ist. Im Landratsamt sind mittlerweile 13 Mitarbeiter nur mit der Kontrolle und Betreuung der UMA befasst.
An den Tatort an der Dreisam kommen noch täglich viele Freiburger, die trauern und fassungslos über das Verbrechen sind. Die meisten Freiburger kennen die Stelle gut, weil sie als SC-Fans häufig im nahen Stadion waren, im Sommer in der Dreisam gebadet oder auf der Uferwiese gegrillt haben. Ein rational planender Täter würde sich einen so gut einsehbaren Platz auch in der Nacht für einen Überfall auf eine Frau eher nicht aussuchen; erst am Freitag suchten Polizisten den Tatort noch einmal mehrere Stunden lang nach Spuren ab.
Ein 51 Jahre alter E-Bike-Fahrer hat sich als Zeuge gemeldet, der ein weißes Fahrrad beobachtet haben will; es könnte das der Medizinstudentin gewesen sein. Der Mann berichtet auch, von einer schnellen Radfahrerin überholt worden zu sein; diese mutmaßliche Zeugin hat mit der Sonderkommission „Dreisam“ noch keinen Kontakt aufgenommen.
Sicher ist, dass Hussein K. am 16. Oktober um 1.57 Uhr in der Innenstadt, am Bertoldsbrunnen, in die Straßenbahnlinie einstieg. Etwa 15 Minuten später stieg er an der Endhaltestelle Lassbergstraße aus. Zehn Minuten braucht man zum Tatort am Fluss, wenn man von der Endhaltestelle vorbei an modernen Wohnblocks mit Glasfassaden sowie am Schwarzwaldstadion zu der Fußgängerbrücke geht, die von den Gästen der Jugendherberge viel benutzt wird. Zwischen dem Aussteigen aus der Straßenbahn und der Tat liegt ein Zeitraum von vierzig Minuten – bislang weiß die Polizei nicht, was Hussein in dieser Zeit in der Oktobernacht dort getan hat. „Auf der Mediziner-Party war der Täter nicht, es gibt auch keinerlei Hinweise auf weitere Tatbeteiligte“, sagt Laura Riske, die Sprecherin der Freiburger Polizei.
Staatsanwaltschaft wird das Alter des Verdächtigen prüfen
Die genauen Umstände des Todes von Maria L. müssen auch noch aufgeklärt werden: Ist sie bewusstlos in die an dieser Stelle recht flache Dreisam gefallen, oder hat Hussein K. sie ertränkt? „Wir haben mit dem mutmaßlichen Täter gesprochen“, sagt Riske. „Aber zu den Tatvorwürfen äußert er sich im Moment auf Anraten seines Anwalts nicht.“ Die Staatsanwaltschaft wird in jedem Fall das Alter des Verdächtigen prüfen. Viele Flüchtlinge reisen mit einer falschen Altersangabe ein, weil sie vom besonderen Schutz der Jugendhilfe wissen und davon profitieren wollen. Von Husseins tatsächlichem Alter wird abhängen, ob das Strafverfahren an der Jugendkammer oder vor einer normalen Strafkammer geführt wird.
Sollte er zwischen 18 und 21 Jahre alt sein, liegt es im Ermessen der Jugendkammer, zu entscheiden, ob sie Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht anwenden will. „Es besteht der dringende Tatverdacht wegen Vergewaltigung und wegen Mordes“, so die Staatsanwaltschaft. „Ein medizinisches Gutachten über das Alter des Verdächtigen werden wir in Auftrag geben; ob wir zusätzlich während der Ermittlungen auch ein psychiatrisches Gutachten einholen, wird zu beraten sein.“
Am Tatort haben Trauernde Blumen mit Polizeiabsperrband an einem Baumstamm befestigt. „Das alles passt nicht zu unserem Freiburg“, lautet der letzte Satz eines längeren Textes, umrahmt von einem Herz. Die meisten Freiburger lassen sich durch die Tat von ihrem Engagement für Flüchtlinge nicht abbringen. „Die ungeahnte politische Instrumentalisierung des Verbrechens und der Herkunft des mutmaßlichen Täters“, heißt es etwa in einer Erklärung von Erzdiözese, Maria L.s Wohnheim und katholischer Hochschulgemeinde, lehne man „in Andenken an Maria grundsätzlich und entschieden ab“.
Die Stimmung ist aber fragiler geworden in der liberalen südbadischen Stadt. Dramatisch wäre es wohl, wenn im Fall von Carolin G., die wenige Wochen nach Maria L. im Kaiserstuhlort Endingen ermordet wurde, auch ein Flüchtling verhaftet würde.
Das alles passt nicht zu unserem Freiburg
Von Rüdiger Soldt
11.12.2016 • Im Mordfall Maria L. gibt es mehr Details – aber auch neue Fragen. Was ging schief bei der Betreuung des Täters? Seine Facebook-Kommentare zeugen von Depressivität.
Viel Engagement, Anteilnahme - und eine Hasslawine bisher ungekannten Ausmaßes: Blumen und Botschaften am Tatort in Freiburg.
Maria L. hätte in der Nacht vom 16. Oktober noch zehn Minuten radeln müssen, dann hätte sie ihr WG-Zimmer in der Thomas-Morus-Burse erreicht. Doch gegen drei Uhr in der Nacht traf sie auf Hussein K. Die junge Frau kam in dem gerade frisch weinrot gestrichenen und renovierten katholischen Studentenwohnheim nicht mehr an. Ihr Name steht noch am Klingelbrett. Hussein K., ein minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan, soll sie aufgehalten und vergewaltigt haben; wie sie gestorben ist, muss noch ermittelt werden. Dass K. der Täter ist, gilt als sicher; am Opfer wurden eindeutige DNA-Spuren gefunden. Der Fall wäre eine Meldung in der „Badischen Zeitung“ geblieben, wenn ein Franzose aus dem Elsass oder ein Tourist aus der Schweiz die schreckliche Tat verübt hätte. Weil die zum Teil archaischen Vorstellungen von Sexualität und ein patriarchalisches Frauenbild vieler Flüchtlinge aber immer wieder für Diskussionen sorgen, ist der Fall einer für die Talk-Shows der Republik geworden.
Hussein K. ist am Freitag vergangener Woche verhaftet worden. Er sitzt in Untersuchungshaft und schweigt. Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft stecken noch mitten in den Ermittlungen, viele Fragen – ermittlungstechnische wie politische – sind unbeantwortet. Bekannt ist mittlerweile, dass Hussein K. 2015 nach Freiburg kam wie so viele als minderjährig eingestufte Flüchtlinge, deren Alter sich häufig nicht zweifelsfrei feststellen lässt. Freiburg ist der erste Bahnhof nach der deutsch-schweizerischen Grenze, viele minderjährige Flüchtling werden im Zug oder am Bahnhof von der Bundespolizei aufgegriffen.
Geboren wurde Hussein in Afghanistan, er gehört zur Volksgruppe der Hazara, einer überwiegend schiitischen und Persisch sprechenden Minderheit. Über seinen Facebook-Account kommunizierte er mit gleichaltrigen afghanischen Freunden, er war Mitglied der Gruppe „Süße afghanische Mädels“. Es gibt auch ein Bild, auf dem sich ein Wolf über eine schöne Frau beugt. Einer seiner Facebook-Freunde teilte ein Bild einer verschleierten Frau, die über sich sagt: „Meine Schönheit ist nur für meinen Mann.“
Facebook-Kommentare zeugen von Depressivität und Verzweiflung
Fröhliche Selfies hat Hussein nicht gepostet. Aus den zahlreichen verschiedenen Selbstporträts lässt sich schließen, dass ihm sein Äußeres wichtig war, denn er hat es ständig radikal verändert. Fast alle Kommentare sind düster, zeugen von Depressivität und Verzweiflung. Am 25. April schrieb Hussein: „Lieber Gott, meine Hand reicht zu Deinem Himmel, aber Deine Hand nicht zur Erde, also heb mich hoch.“ Am 5. Oktober heißt es: „Gott, mein Leben ist orientierungslos, bring mich zurück an den Tag, an dem ich geboren bin.“
Auch ein düsteres Tattoo postete er, unter einem Adler steht auf Persisch: „Was uns passiert ist, war unser Schicksal. Alles, was uns im Kopf herumgegangen ist, zeigt, dass wir nicht achtsam gelebt haben. Als wir nachdenken wollten, war es zu spät, und auf unserer Haustür stand: Der ist gestorben.“
Nach Auskunft seiner Lehrer war der junge Flüchtling kein schlechter Schüler. Unklar ist noch, womit er sich in seiner Freizeit beschäftigt hat. Angeblich soll er sich nachts mit afghanischen Jugendcliquen im Freiburger Colombi-Park herumgetrieben haben; die eigentlich sehr schöne Parkanlage in der Innenstadt ist seit Jahren das Revier von Drogenabhängigen, alkoholisierten Jugendlichen, Gewalttätern und Obdachlosen. Hussein soll wenig zu Hause bei seinen Pflegeeltern und oft betrunken und bekifft gewesen sein.
„Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (UMA) werden meistens in Wohngruppen untergebracht, die wiederum von Jugendhilfeträgern unterhalten werden. Für Hussein war das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald zuständig, der Landkreis betreut derzeit 181 UMA; zehn sind bei Familien im Landkreis untergebracht, nur drei bei Familien in der Stadt. Hussein nahm ein afghanischer Akademiker auf, der mit seiner Frau im Osten Freiburgs wohnt, nicht weit von Marias Studentenwohnheim.
Von seiner Wohnung hätte Hussein zehn Minuten gebraucht, um in das Wohnheim zu kommen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Maria und Hussein schon einmal begegnet sind - in der Straßenbahnlinie 1, in den Stadtteilen Littenweiler oder Ebnet. Belege gibt es hierfür jedoch nicht. Die vor allem im Internet verbreitete Behauptung, mutmaßlicher Täter und Opfer könnten sich in einer Arbeitsgruppe des Vereins „Weitblick“ kennengelernt haben, erwies sich als Falschmeldung. Die Polizei hat bislang keinerlei Anhaltspunkte für eine Bekanntschaft oder gar Beziehung zwischen beiden.
Über Verhältnisse in Husseins Pflegefamilie ist noch wenig bekannt
„Maria L. engagierte sich seit Anfang des vergangenen Semesters bei Weitblick Freiburg e.V. im Arbeitskreis International“, teilte der Verein in dieser Woche mit. „Gemeinsam mit anderen Vereinsmitgliedern organisierte sie Aktionen, um Spenden für die Renovierung einer Grundschule in Ghana zu sammeln. Maria war in unserem Verein dementsprechend nicht in der Hilfe für Geflüchtete aktiv, sondern im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.“
In der Todesanzeige der Studentin hatten die Eltern um Spenden für „Weitblick“ gebeten; das hatte zu wilden Spekulationen geführt, und die AfD und verschiedene Rechtsradikale hatten sogar das humanitäre Engagement von Marias Familie für ihren Tod mitverantwortlich gemacht. Im Internet führte der Fall zu einer Hasslawine bislang unbekannten Ausmaßes, die auch vor den Eltern des Mädchens keinen Halt machte.
Mit der Unterbringung in einer Familie hatte Hussein großes Glück – bei schwer durch Krieg oder die Flucht traumatisierten Migranten gilt ein familiäres Umfeld als beste Voraussetzung für eine gelungene Integration. In vielen Pflegefamilien, die syrische, afghanische oder auch afrikanische Flüchtlinge aufgenommen haben, gehören Auseinandersetzungen über das archaische Frauenbild zum Alltag. Psychologen halten dennoch nichts davon, derartige Gewalttaten mit der kulturellen Herkunft zu erklären. Sie nehmen an, dass pubertierende Flüchtlinge sich schnell an das Frauenbild und die Vorstellungen von Sexualität im Gastland anpassen, weil sie Erfolg und Anerkennung haben wollen.
Über die Verhältnisse in Husseins Pflegefamilie ist noch wenig bekannt. Bei minderjährigen Flüchtlingen muss mindestens ein Elternteil der aufnehmenden Familie eine pädagogische oder ärztliche Qualifikation haben; in diesem Fall hatten sogar beide Elternteile diese. Sexualstraftäter leiden oftmals an einer schweren Psychose. Wahnhafte Gedanken, Halluzinationen, Denkstörungen, Selbstvernachlässigung oder ein emotionaler Rückzug können Vorboten eines derart schweren Gewaltverbrechens sein, sagen Psychologen. Bei den weiteren Ermittlungen und in der Gerichtsverhandlung wird noch zu klären sein, ob die Pflegeeltern in den Wochen und Tagen vor der Tat etwas bemerkt haben.
40 Minuten in Oktobernacht noch ungeklärt
Die Familien bekommen einen Tagessatz zwischen 130 und 150 Euro für die Unterbringung, es gibt regelmäßig Gespräche mit den Mitarbeitern des Jugendamtes und der betreuenden Jugendhilfeeinrichtung über die Entwicklung des Jugendlichen. Husseins Akten hat das Landratsamt, sie werden in dem Strafverfahren sicher eine Rolle spielen.
Das Landratsamt, das nach dem Tod des Kleinkinds Alessio im vergangenen Jahr erheblich in der Kritik stand, wird sich auch im Fall Hussein die Frage gefallen lassen müssen, ob der Flüchtling stark genug kontrolliert und ausreichend intensiv betreut worden ist. Im Landratsamt sind mittlerweile 13 Mitarbeiter nur mit der Kontrolle und Betreuung der UMA befasst.
An den Tatort an der Dreisam kommen noch täglich viele Freiburger, die trauern und fassungslos über das Verbrechen sind. Die meisten Freiburger kennen die Stelle gut, weil sie als SC-Fans häufig im nahen Stadion waren, im Sommer in der Dreisam gebadet oder auf der Uferwiese gegrillt haben. Ein rational planender Täter würde sich einen so gut einsehbaren Platz auch in der Nacht für einen Überfall auf eine Frau eher nicht aussuchen; erst am Freitag suchten Polizisten den Tatort noch einmal mehrere Stunden lang nach Spuren ab.
Ein 51 Jahre alter E-Bike-Fahrer hat sich als Zeuge gemeldet, der ein weißes Fahrrad beobachtet haben will; es könnte das der Medizinstudentin gewesen sein. Der Mann berichtet auch, von einer schnellen Radfahrerin überholt worden zu sein; diese mutmaßliche Zeugin hat mit der Sonderkommission „Dreisam“ noch keinen Kontakt aufgenommen.
Sicher ist, dass Hussein K. am 16. Oktober um 1.57 Uhr in der Innenstadt, am Bertoldsbrunnen, in die Straßenbahnlinie einstieg. Etwa 15 Minuten später stieg er an der Endhaltestelle Lassbergstraße aus. Zehn Minuten braucht man zum Tatort am Fluss, wenn man von der Endhaltestelle vorbei an modernen Wohnblocks mit Glasfassaden sowie am Schwarzwaldstadion zu der Fußgängerbrücke geht, die von den Gästen der Jugendherberge viel benutzt wird. Zwischen dem Aussteigen aus der Straßenbahn und der Tat liegt ein Zeitraum von vierzig Minuten – bislang weiß die Polizei nicht, was Hussein in dieser Zeit in der Oktobernacht dort getan hat. „Auf der Mediziner-Party war der Täter nicht, es gibt auch keinerlei Hinweise auf weitere Tatbeteiligte“, sagt Laura Riske, die Sprecherin der Freiburger Polizei.
Staatsanwaltschaft wird das Alter des Verdächtigen prüfen
Die genauen Umstände des Todes von Maria L. müssen auch noch aufgeklärt werden: Ist sie bewusstlos in die an dieser Stelle recht flache Dreisam gefallen, oder hat Hussein K. sie ertränkt? „Wir haben mit dem mutmaßlichen Täter gesprochen“, sagt Riske. „Aber zu den Tatvorwürfen äußert er sich im Moment auf Anraten seines Anwalts nicht.“ Die Staatsanwaltschaft wird in jedem Fall das Alter des Verdächtigen prüfen. Viele Flüchtlinge reisen mit einer falschen Altersangabe ein, weil sie vom besonderen Schutz der Jugendhilfe wissen und davon profitieren wollen. Von Husseins tatsächlichem Alter wird abhängen, ob das Strafverfahren an der Jugendkammer oder vor einer normalen Strafkammer geführt wird.
Sollte er zwischen 18 und 21 Jahre alt sein, liegt es im Ermessen der Jugendkammer, zu entscheiden, ob sie Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht anwenden will. „Es besteht der dringende Tatverdacht wegen Vergewaltigung und wegen Mordes“, so die Staatsanwaltschaft. „Ein medizinisches Gutachten über das Alter des Verdächtigen werden wir in Auftrag geben; ob wir zusätzlich während der Ermittlungen auch ein psychiatrisches Gutachten einholen, wird zu beraten sein.“
Am Tatort haben Trauernde Blumen mit Polizeiabsperrband an einem Baumstamm befestigt. „Das alles passt nicht zu unserem Freiburg“, lautet der letzte Satz eines längeren Textes, umrahmt von einem Herz. Die meisten Freiburger lassen sich durch die Tat von ihrem Engagement für Flüchtlinge nicht abbringen. „Die ungeahnte politische Instrumentalisierung des Verbrechens und der Herkunft des mutmaßlichen Täters“, heißt es etwa in einer Erklärung von Erzdiözese, Maria L.s Wohnheim und katholischer Hochschulgemeinde, lehne man „in Andenken an Maria grundsätzlich und entschieden ab“.
Die Stimmung ist aber fragiler geworden in der liberalen südbadischen Stadt. Dramatisch wäre es wohl, wenn im Fall von Carolin G., die wenige Wochen nach Maria L. im Kaiserstuhlort Endingen ermordet wurde, auch ein Flüchtling verhaftet würde.