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Panorama Coronavirus in Italien

Flüchtende lösen strengere Anordnung aus – Polizei und Armee im Einsatz

Rund 50.000 Menschen in Italien sind praktisch eingesperrt

Deutlich über 100 Menschen in Italien sind inzwischen infiziert, mindestens zwei Personen starben. Italien verzeichnet den europaweit schlimmsten Ausbruch des Coronavirus. Die Regierung verhängt drastische Maßnahmen.

Quelle: WELT / Sandra Saatmann

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Ganze Orte in Norditalien sind abgeriegelt, über 100 Menschen infiziert, der Karneval in Venedig ist abgesagt: Das neuartige Coronavirus ist endgültig in Europa angekommen. Wie viele Erkrankungen verliefen unbemerkt?

Italien kämpft gegen den weitaus schlimmsten bekannten Ausbruch von Sars-CoV-2 in Europa. Wie großflächig das neuartige Coronavirus schon um sich gegriffen hat, lässt sich derzeit kaum absehen. In der stark betroffenen Stadt Codogno waren viele Straßen am Wochenende menschenleer, immer mehr Menschen trugen Mundschutz.

Österreich stellte aus Furcht vor Infektionen den Zugverkehr mit Italien komplett ein. Ein Eurocity, der in Venedig gestartet war und als Zielort München hatte, wurde am Sonntagabend am Grenzübergang Brenner gestoppt, weil zwei deutsche Frauen an Bord Fieber hatten. Die italienische staatliche Eisenbahngesellschaft hatte die ÖBB zuvor über die möglichen Fälle informiert. Bereits zu diesem Zeitpunkt war ein Teil des Zuges isoliert worden.

Unter den Infizierten in Italien war auch mindestens ein Unilever-Beschäftigter, Mitarbeiter der lokalen Fabrik des Verbrauchsgüterkonzerns schützten sich mit Mundschutz. Etliche Schulen und Geschäfte wurden geschlossen, zig Sportveranstaltungen und andere Großevents abgesagt, etwa die weltberühmten Karnevalsfeiern in Venedig.

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Die Angst greift in Norditalien angesichts der rasanten Entwicklung um sich. Bis Mittwoch schien die Welt noch in Ordnung, nur drei Infektionen waren landesweit bekannt, alle drei wurden früh erkannt. Am Donnerstag folgte der Schock: Bei einem schwer erkrankten 38-Jährigen in einer Klinik in Codogno wurde das Virus nachgewiesen. Die italienischen Behörden reagierten schnell, stellten zig Menschen unter Quarantäne, veranlassten umfassende Tests auf das Virus bei Krankenhauspersonal, Verwandten, Arbeitskollegen und Freunden des Mannes.

Doch das Virus hatte längst Dutzende weitere Menschen erfasst, darunter Ärzte und Krankenschwestern der Klinik. Mehrere Bewohner der 15.000-Einwohner-Kleinstadt steckten sich offenbar bei einem Treffen in einer Kneipe bei ihm an. Wer das Virus nach Italien einschleppte, ist noch unklar.

Unterdessen wurde ein weiterer, zunächst deutlich kleinerer Ausbruch in Venetien bekannt. Dort starb in der Gemeinde Vo‘ ein 78-Jähriger wohl an Covid-19, der vom Virus verursachten Lungenkrankheit, wie die Behörden annehmen. Mehr als zehn Menschen in seinem Umkreis sind ebenfalls infiziert. In der Lombardei wurde das Virus bei einer am Donnerstag verstorbenen 77-Jährigen nachgewiesen. Auch wo diese beiden Todesopfer sich infizierten, blieb zunächst rätselhaft: Beide hatte nach Angaben der Behörden keinen Kontakt mit Rückkehrern aus China.

Bis Sonntag kletterte die Zahl der bekannten Infektionen auf über 100. Schon am Samstagabend hatte die italienische Regierung hart durchgegriffen, um eine weitere Ausbreitung von Covid-19 im wirtschaftlich wichtigen Norden einzudämmen: Knapp ein Dutzend Orte südöstlich von Mailand mit etwa 50.000 Einwohnern sowie Vo‘ mit rund 3000 Bewohnern wurden abgeriegelt. Eine Abriegelung der Ortschaften bedeutet, dass das Betreten oder Verlassen verboten ist, wie Ministerpräsident Giuseppe Conte erklärte. Die Anordnung werde von der Polizei und notfalls auch der Armee durchgesetzt, jedwede Verletzung dieser Sperre werde strafrechtlich verfolgt.

Bis zum Sonntag waren Anwohner der betroffenen Städte lediglich angewiesen, das Gebiet nicht zu verlassen. Conte zufolge habe man sich auf strengeren Maßnahmen geeinigt, nachdem eine Familie abgefangen wurde, die im Begriff gewesen sei, eine der Städte verlassen.

Wo steckten sich die Männer an?

Derweil wird nach dem Ursprung beider Ausbrüche gesucht: Wo steckten sich die beiden Toten und der 38-Jährige an, auf die wohl alle weiteren Nachweise in Venetien, der Lombardei und dem Piemont zurückgehen? Noch ist die Quelle vollkommen unklar. Im Unterschied zum Aufflackern von Sars-CoV-2 in Bayern mit insgesamt 14 Infizierten gibt es keinen „Patienten 0“, keinen bekannten Ersterkrankten. Möglicherweise brachten Touristen oder Geschäftsleute aus China das Virus irgendwann unwissentlich mit. Die Statistiker zählen in Italien rund 300.000 Chinesen, dazu kamen zuletzt jährlich 5,3 Millionen Übernachtungen aus dem Land.

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Die Entwicklung in Italien zeigt ebenso wie die zunehmend kritische Situation in Südkorea, dem Iran und anderen Ländern, dass eine Pandemie, ein unaufhaltsamer weltweiter Siegeszug des Virus, wohl nicht mehr aufzuhalten ist. Noch am Freitag hatte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gewarnt, dass das Zeitfenster dafür immer kleiner werde. „Wir dürfen nicht eines Tages zurückblicken und es bereuen, dass wir von diesem Zeitfenster nicht Gebrauch gemacht haben“, so Tedros Adhanom Ghebreyesus. Nun könnte es zu spät sein.

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„Eine Eindämmung in letzter Sekunde ist wohl auch mit allen verfügbaren Kräften nicht mehr erreichbar“, sagte der Berliner Virologe Christian Drosten nun der Deutschen Presse-Agentur. Das wohl auf einem Wildtiermarkt in Wuhan auf den Menschen übergesprungene Virus spielt seinen Trumpf aus: Weil die meisten Infektionen mit Sars-CoV-2 mild verlaufen, sind sie kaum erfassbar.

Seine Eigenschaften ermöglichten Sars-CoV-2 eine unbemerkte Übertragung, erklärt Drosten. Wer nur milde oder keine Symptome hat, geht nicht zum Arzt und wird nicht getestet – kann das Virus aber auf Dutzende andere Menschen übertragen, die es wiederum in ihr Netz von Sozial- und Arbeitskontakten tragen. Nach einer Modellrechnung des Imperial College London würden geschätzt nur ein Drittel aller importierten Fälle aus China überhaupt wahrgenommen, so Drosten. „Ich glaube nicht mehr daran, dass eine Pandemie vermeidbar ist.“

In immer mehr Ländern fällt erst auf, dass das Virus längst große Kreise gezogen hat, wenn Menschen schwer erkranken oder sterben. So war es im Iran, so war es in Südkorea, so ist es nun auch in Italien. Und auch in etlichen anderen Ländern könnten längst Ausbrüche um sich greifen, von denen bisher niemand ahnt – auch in Deutschland. „Irgendwann wird es wahrscheinlich dazu kommen, dass unbemerkte Infektionen plötzlich bemerkt werden“, hatte Drosten kürzlich erklärt.

Wie hoch wäre die Sterblichkeit in Deutschland?

In so manchem privaten Kommentar im Internet war in den vergangenen Wochen zu lesen, es werde viel zu viel Aufhebens um ein Virus gemacht, das nur ein paar alte Leute sterben lasse, man solle die Epidemie doch einfach laufen lassen. Zum einen mag dahingestellt bleiben, ob die Schreiber solcher Bemerkungen das so auch ihren Eltern oder Großeltern sagen würden. Zum anderen gibt es gute Gründe, Ausbrüche so gut wie möglich einzudämmen.

Erstens sei nicht genau abzuschätzen, wie die Schwere, Sterblichkeit und die Risiko-Gruppen aussähen, wenn Covid-19 große Bevölkerungsteile Deutschlands erfassen würde, erklärt Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. „Zweitens haben wir – anders als bei Influenza – keinen Impfstoff gegen Covid-19 zur Verfügung und werden ihn auch nicht rechtzeitig einsetzbar haben.“ Auch speziell auf den Kampf gegen das Virus zugeschnittene Medikamente seien nicht so rasch verfügbar.

Schon Mitte Februar hatte es vom Robert-Koch-Institut (RKI) geheißen, Ziel in Deutschland sei es, eine Erkrankungswelle hinauszuzögern, um zu vermeiden, dass die Covid-19- und die derzeitige Grippewelle zusammenfallen. Das würde eine kaum zu stemmende Doppelbelastung von Kliniken und Praxen bedeuten. „Wir müssen mit angemessenem Aufwand versuchen, die Ausbreitung zu verlangsamen, um einen intensiven Belastungspuls auf das Gesundheitssystem abzumildern“, erklärt Drosten. „Die Zahl der Infektionen sollte über eine möglichst lange Zeit ausgedehnt werden.“

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Manche Experten hoffen darauf, dass der Covid-19-Erreger in einer Eigenheit dem genetisch eng verwandten Sars-Virus ähnelt: Die Epidemie mit insgesamt etwa 8000 erfassten Infektionen war nach einem bis dahin stürmischen Anstieg im April und Mai 2003 sehr rasch abgeflaut. Ähnlich wie die Grippewelle könnte auch die Covid-19-Welle im Frühjahr abflauen, so eine vage Vermutung.

Das Sars-Virus wurde nach 2003 nie wieder bei Menschen nachgewiesen. Das allerdings wird allein angesichts der schieren Zahl der Infektionen bei Covid-19 womöglich anders sein. Die Lungenkrankheit könne zu einer etablierten Krankheit wie die Grippe werden, hatte Wang Chen, Präsident der China Academy of Medical Science, kürzlich gesagt.

dpa/sos

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