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Kurt Becks Arbeitslosen-Schelte "Waschen und rasieren, dann kriegen Sie auch einen Job"

Wirbel um Kurt Beck: Ein Arbeitsloser beschimpfte ihn auf einem Weihnachtsmarkt wegen Hartz IV. Da riet ihm der SPD-Chef, er müsse sich nur waschen und rasieren, schon "haben Sie in drei Wochen einen Job". Beck versucht sich jetzt in Vorwärtsverteidigung - FDP und Union greifen ihn an.

Berlin - Kurt Beck hatte gerade auf dem Wiesbadener Sternschnuppenmarkt für ein Foto mit Andrea Ypsilanti und drei Nikoläusen posiert, da begann ein Mann in der Menge lautstark zu schimpfen. In einem zwanzigsekündigen Monolog machte er den SPD-Vorsitzenden für sein Schicksal verantwortlich und bedankte sich ironisch für "Hartz IV". "Pöbelig" und "leicht angetrunken" sei er gewesen, berichten Augenzeugen.

Das ist Alltag für einen erfahrenen Marktplatz-Händeschüttler wie Beck. Normalerweise bleibt er freundlich und unverbindlich. Doch bei dem Auftritt am Dienstag reagierte der SPD-Chef ungeduldig. Er sehe nicht so aus, als ob er in seinem Leben schon viel gearbeitet habe, blaffte er den Mann an und gab ihm noch einen guten Rat: "Wenn Sie sich waschen und rasieren, haben Sie in drei Wochen einen Job".

Einige der Umstehenden begannen zu grummeln. "Becks Reaktion stieß auf", erzählt Manfred Gerber, der den Zwischenfall als Reporter des "Wiesbadener Tagblatts" verfolgte und als erster darüber berichtete. "Zwei, drei Leute sagten: Das kann er doch net machen." Beck entgegnete: "S' Lebbe iss doch, wie's iss" - "Das Leben ist doch, wie es ist."

Bei dem Arbeitslosen handelt es sich um den 37-jährigen Henrico F.. Auf einem aktuellen Foto der Nachrichtenagentur ddp trägt er einen Vollbart, zwei Piercings in der Nase und lange dunkle Haare, die zur Hälfte blond gefärbt sind. Er habe "leicht gammelig" ausgesehen, sagt Gerber.

"Ich wasche und rasiere mich und komme vorbei"

Nach Becks Entgegnung war F. zunächst still. Der SPD-Chef fuhr mit dem Händeschütteln fort. Hundert Meter weiter, an der Marktkirche, tauchte F. wieder auf und versprach: "Ich wasche und rasiere mich und komme dann bei Ihnen in der Staatskanzlei vorbei." Beck antwortete: "Okay, machen Sie das." F. soll nach der Begegnung auf dem Weihnachtsmarkt herumgerufen haben: "Beck besorgt mir einen Job!" - das sagten Augenzeugen zu SPIEGEL ONLINE auf dem Weihnachtsmarkt.

Heute lief der Dialog der beiden über die Nachrichtenagenturen, und die Debatte begann. Ein SPD-Chef, der einen Arbeitslosen beleidigt - was hatte Beck da bloß geritten? Der Spruch mit dem Waschen und Rasieren fällt in die Kategorie: Aussagen, die man als Politiker hinterher bereut. Schließlich gilt es als Grundregel der Politik, in der Öffentlichkeit nie ausfällig zu werden. Oder war es gar Kalkül? Immerhin war Beck mit einem Tross von einem halben Dutzend Fotografen und ebenso vielen Reportern unterwegs, darunter "FAZ" und Deutschlandfunk. Er wusste also, dass der Vorfall nicht unbemerkt bleiben würde.

Doch muss der Rat, dass es reiche, sein Äußeres zu verändern, um einen Job zu bekommen, auf manche wie blanker Hohn wirken. Die SPD stellt sich denn auch schon auf hässliche Boulevard-Schlagzeilen ein. Im Bemühen, ein PR-Desaster zu verhindern, versucht man es im Willy-Brandt-Haus jetzt mit der Vorwärtsverteidigung. "Wenn der Betroffene sich meldet, dann wird Kurt Beck ihm helfen, einen Job zu finden", sagt Parteisprecher Lars Kühn.

Die ersten entrüsteten Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Becks Äußerung sei "instinktlos", sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Uwe Schummer. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sagte der Berliner Boulevardzeitung "B.Z.", dass die Arbeitslosigkeit nicht "allein durch Körperpflege" zu bekämpfen sei.

F. kommt nach Angaben eines Bekannten ursprünglich aus Ostdeutschland: "Ich würde ihn zur Arbeiterbewegung stecken, ihn aber nicht als Revoluzzer beschreiben." Oft treibe er sich am zentralen Platz der Deutschen Einheit herum, für seine Freunde heiße er "Henne", sagte der Bekannte zu SPIEGEL ONLINE. "Er trinkt nicht mehr ganz so viel. Vielleicht nur noch 30 Prozent von dem, was er mal getrunken hat. Er ist ein ganz einfacher Kamerad." Vor etwa einem Jahr verlor F. dem Bekannten zufolge seinen Job bei den Stadtgärtnern, angeblich aus gesundheitlichen Gründen.

Ausraster von Kohl bis Clement

Mit seinem Ausrutscher steht Beck keinesfalls allein da. 1991 sorgte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl - ebenfalls wie Beck ein Rheinland-Pfälzer - bei einem Besuch in Halle für Aufsehen. Kohl ging damals auf einen Demonstranten los, der ihn mit einem Ei beworfen hatte. Kohls Mitarbeiter konnten den wütenden Kanzler nur mit Mühe zurückhalten.

Dagegen wollte Wolfgang Clement im Jahr 2000 eigentlich nur witzig sein. Die Aktion auf dem Expo-Gelände in Hannover wurde dennoch zu einem Skandal: Eine Gruppe von Jugendlichen saß auf dem Boden, als der damalige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens an ihnen vorbeiging. "Wer bist'n Du?", riefen sie dem SPD-Politiker zu, der mit großem Gefolge unterwegs war. Clement drehte sich um und streckte den Jugendlichen den rechten Mittelfinger entgegen. Das Foto wurde in etlichen Zeitungen gedruckt. "Pöbel-Clement in Erklärungsnot", schrieb die Boulevardzeitung "Berliner Kurier". Es habe sich um einen Scherz gehandelt, sagte Clement, nachdem er für seinen Auftritt kritisiert worden war - und diesen scherzhaften Charakter bestätigten auch Augenzeugen, schließlich hatte zuvor einer der Jugendlichen dem Politiker selbst den Mittelfinger gezeigt.

Folgenreich war dagegen ein vermeintlicher Scherz des früheren Bremer Wirtschaftssenators Peter Gloystein. Bei einer öffentlichen Veranstaltung im Mai vergangenen Jahres begoss der CDU-Politiker in demütigender Weise einen Obdachlosen mit Sekt - ein Vorfall, der heftig kritisiert wurde. Der ehemalige Frankfurter Bankier erklärte daraufhin nach nur achtmonatiger Amtszeit seinen Rücktritt.

Mitarbeit: Marco Plein

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