Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Zweiter Weltkrieg
  4. Homosexualität: Warum die Nazis Schwule verfolgten, nicht aber Lesben

Zweiter Weltkrieg Homosexualität

Warum die Nazis Schwule verfolgten, nicht aber Lesben

Die Verfolgung von homosexuellen Männern im Nationalsozialismus war lange ein Desiderat der Forschung. Himmler verfolgte sie wegen einer kruden Theorie über Männerbünde, schreibt der Historiker Alexander Zinn.
Tafelaufschrift: Kennzeichen f¸r Schutzh‰ftlinge in den Konz.-Lagern Verlinkung bei VÖ auf welt.de auf https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/ Tafelaufschrift: Kennzeichen f¸r Schutzh‰ftlinge in den Konz.-Lagern Verlinkung bei VÖ auf welt.de auf https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/
Mit diesen Kennzeichen wurden Häftlinge in KZs stigmatisiert – Schwule mit dem "rosa Winkel"
Quelle: Bundesarchiv Bild 146-1993-051-07 / Unknown / CC-BY-SA 3.0

Ein Stigma, das zur stolzen Selbstkennzeichnung wird: Derlei ist selten. Schwule Männer in nationalsozialistischen Konzentrationslagern mussten auf ihrer Häftlingskleidung ein rosarotes Stoffdreieck tragen; in der Lagersprache hieß es der „rosa Winkel“. Genau dieses Symbol findet man heute auf Denkmälern in aller Welt, von Berlin über Amsterdam und Tel Aviv bis nach Montevideo und Sydney.

Die Nationalsozialisten haben Schwule verfolgt, eingesperrt und in Konzentrationslagern gequält, viele bis zum Tode. Die Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels verläuft schleppend. Über Jahrzehnte war es tabuisiert; erst in den 1990er-Jahren rückte es ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Im Gegensatz zu anderen Verfolgtengruppen ist die Schwulenverfolgung nur lückenhaft erforscht. Dies will der Journalist Alexander Zinn ändern.

Seine bemerkenswerte Studie „Aus dem Volkskörper entfernt“? („Homosexuelle Männer im Nationalsozialismus“.  Campus, 2018) beleuchtet nicht nur Einzelaspekte der Homosexuellenverfolgung, und das – man glaubt es kaum – zum ersten Mal ausführlich seit der Arbeit von Burkhard Jellonnek 1990. Zudem handelt es sich erstmals um einen überregionalen Ansatz, der sich von der Opferperspektive löst.

Der Gedenkstein "Rosa Winkel" zum Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus im Abendlicht am 26.02.2015 am U-Bahnhof Nollendorfplatz in Berlin. Foto: Gregor Fischer/dpa | Verwendung weltweit
Der Gedenkstein "Rosa Winkel" am Berliner U-Bahnhof Nollendorfplatz
Quelle: picture alliance / dpa

Schwule standen keineswegs von Anfang im Mittelpunkt des nationalsozialistischen Feindbildes. In den ersten knapp anderthalb Jahren nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 hegten sogar viele die Hoffnung, dass die Regierung den Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches abschaffen würde. Er drohte seit 1872 für „widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts ... begangen wird“, Gefängnis an.

Anfangs begegnete man im nationalsozialistischen Deutschland „Homosexuellen mit größter Duldsamkeit, ja offener Hochschätzung“, beschrieb es der 1895 geborene Theologe und Pädagoge Kuno Fiedler. Mit dieser stillschweigenden Duldung war es im Jahr 1934 jedoch jäh vorbei. Grund für diese Zäsur war der sogenannte Röhm-Putsch.

Als Stabschef der SA galt Ernst Röhm als der „zweite Mann im Staate” und stand hoch in Hitlers Ansehen. Er war jedoch Mitglied der Homosexuellenorganisation Bund für Menschenrecht und befürwortete die Abschaffung des Paragrafen 175. Seine eigene Homosexualität war ein offenes Geheimnis – auch wenn Hitler behauptete, davon erst 1934 erfahren zu haben. Ende Juni 1934 ließ Hitler die SA-Führung festnehmen und zum großen Teil ermorden; Röhm selbst starb am 1. Juli.

Fortan intensivierte die NSDAP ihre Homosexuellenverfolgung: Die Zahl der Verhaftungen und Verurteilungen vervielfachte sich. Während es 1933 zu 957 Urteilen gekommen war, waren es 1937 schon 9244. In Berlin richtete die Gestapo ein Sonderdezernat ein, das Listen homosexueller Männer anlegte und sie „bekämpfte“.

Das Mahnmal für die schwulen und lesbischen Opfer des Nationalsozialismus in Köln, aufgenommen am 11.07.2017 in Köln. Foto: Horst Galuschka/dpa | Verwendung weltweit
Das Mahnmal für homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus in Köln
Quelle: picture alliance / Horst Galusch

Kuno Fiedler etwa nahm die Gestapo 1936 fest; der Vorwurf lautete „Betreiben eines Spionagerings auf homosexueller Grundlage“. Ihm gelang jedoch die Flucht aus dem Gefängnis. Fiedler setzte sich in die Schweiz ab, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1973 lebte.

In dieser Zeit wurde die Inhaftierung als „erzieherische Maßnahme“ verstanden, da die Nationalsozialisten die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern für eine „prinzipiell heilbare Krankheit“ hielten. Deutsche Schwule sollten zurück in die soziale Konformität gezwungen werden. Denn nach Ansicht des Nationalsozialismus waren Deutsche Teil einer „Herrenrasse“, die sich reproduzieren sollte. Homosexuelle, die sich nicht fügten, sollten jedoch unnachsichtig „aus dem Volkskörper entfernt“ werden.

Anzeige

Folgerichtig stellt sich die Frage: Wenn es um Reproduktionssicherung und den „Erhalt der deutschen Rasse“ ging, warum wurden dann nicht homosexuelle Frauen gleichermaßen verfolgt? Das beantwortet Zinn mit einer neuen These.

ARCHIV - Eine rote Nelke liegt am 11.04.2015 auf dem Appellplatz der Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar (Thüringen) während der Gedenkfeier. Während der NS-Zeit kamen mehr als 10 000 Homosexuelle als «Rosa-Winkel»-Häftlinge in die Konzentrationslager. Mehr als die Hälfte dieser Häftlinge starb dort. (zu dpa «Gedenkfeier für homosexuelle Häftlinge des KZ Buchenwald» vom 03.09.2017) Foto: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Auf dem Appellplatz der Gedenkstätte Buchenwald: Eine rote Nelke erinnert an die Toten des KZs
Quelle: picture alliance / Sebastian Kah

Es war Heinrich Himmler, der die Verfolgung ab 1935 maßgeblich vorantrieb. Der Reichsführer SS fürchtete sich vor homosexuellen Netzwerken und Verschwörungen. In persönlichen Notizen dokumentierte er, dass ihm die Theorien des Philosophen Hans Blüher den Schlaf raubten.

Der Vordenker der Wandervogelbewegung hatte den Verdacht genährt, Homosexualität spiele in der deutschen Jugendbewegung eine prägende Rolle. Das führte zu intensiver Selbstprüfung auf homoerotische oder homosexuelle Kontakte innerhalb der eigentlich von einem asexuellen Reinheitsideal geprägten Jugendbünde.

Die Vorstellung, diese Jugendbünde und – wie Blüher später behauptete – auch Männerbünde im Allgemeinen seien von unterbewusster, mitunter sogar von manifester Homosexualität geprägt, bestimmte Himmlers Bewusstsein. Hitler adaptierte offensichtlich die Verschwörungstheorie seines Paladins.

„Der Anständige“ - Portrait eines Massenmörders

Internationale Filmfestspiele 2014: In der Dokumentation "Der Anständige" nähert sich Vanessa Lapa dem NS-Kriegsverbrecher Heinrich Himmler anhand seiner Briefe und Tagebuchaufzeichnungen an.

Quelle: Salzgeber - Kultur

Zum 1. September 1935 wurde der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches verschärft: Die möglichen Strafen stiegen auf bis zu zehn Jahren Zuchthaus, außerdem kamen neue Tatbestände hinzu.

Insgesamt, so Zinn, wurden etwa 50.000 Männer zu Haftstrafen verurteilt oder – was deutlich schlimmer war – in Konzentrationslager wie Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt. Dort hatten sie, stigmatisiert durch den rosa Winkel auf ihrer Kleidung, kaum Überlebenschancen.

Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema