Ich bin Christ. Gut, diesen Satz würden vermutlich eine Menge Leute in diesem Land über die Lippen bekommen. "Christ", was bedeutet das schon? Ein gutbürgerliches Leben, Taufe, Konfirmation bzw. Kommunion, und zumindest an Weihnachten geht es mit der Familie in die Kirche. Das scheint einen deutschen Christenmenschen auszumachen.

Nun, mein persönlicher Hintergrund ist ein anderer. Ich bin in einer freikirchlichen Pastorenfamilie aufgewachsen. Die Bibel und alles, was so dazugehört, ist mir von Kindesbeinen an vertraut. Vom Kindergottesdienst über die Jungschar bis zur Jugendgruppe habe ich alles mitgenommen. Manche nennen meinen Glauben evangelikal, böse Zungen sprechen sogar von Fundamentalismus. Im Fernsehen würde jetzt der Sektenbeauftragte der Evangelischen Kirche eingeblendet, um zu erklären, wie trügerisch und gefährlich diese Evangelikalen sind.

Dabei fühle ich mich ganz normal. Ich bin 20 Jahre alt, studiere Sozialwissenschaften, habe eine Freundin, höre Hip-Hop und trinke gerne Bier. Trotzdem scheint etwas nicht ganz richtig an mir zu sein, denn ich bin ja ein gläubiger Christ. "Da hat jemand keine Lust, seinen Verstand zu benutzen" oder "Jeder, der an ein allmächtiges Wesen glaubt, sollte zum Arzt gehen". So etwas lese ich ziemlich häufig. Ich frage mich dann, was der Herr Doktor wohl zu mir sagen würde, wenn ich ihm erzähle, dass ich an Jesus Christus glaube und daran, dass er für mich und meine Sünden gestorben ist.

Ich gebe zu, der christliche Glaube ist nicht sehr populär heutzutage, und ich gebe auch zu, dass ich für diesen Glauben keinen einzigen fassbaren Beweis vorlegen kann. Glaube heißt eben Glauben, nicht Wissen. Aber bedeutet das, dass ich mich mit meinem Glauben oder mit meiner Umwelt nicht kritisch auseinandersetze? Nein, und ich finde solche Behauptungen geradezu aberwitzig.

Ich glaube, dass alles, was in dieser Welt passiert, einen Sinn hat und dass diese Erde ihren Ursprung in Gott hat. Aber wie viele Stunden habe ich schon damit verbracht, Gott zu hinterfragen? Wie oft habe ich schon gezweifelt? Wie oft musste ich mich für meine Meinung verteidigen, habe diskutiert und über das Verhältnis von Wissenschaft und Glaube sinniert? Ich lasse mir wirklich nicht gern nachsagen, dass ich mein Weltbild nicht hinterfragen würde und gedankenlos und naiv meinem Glauben folge. Außerdem stellt die Wissenschaft in ihrer ganzen Breite ganz und gar keinen Widerspruch zum christlichen Glauben dar. Beides ergänzt sich wunderbar.

Ich glaube, und ich tue das nicht, weil es meine Eltern getan haben oder weil ich es muss, sondern weil ich hautnah erfahren durfte, was Vergebung bedeutet. Weil ich persönlich erlebt habe, was es bedeutet, von Jesus bedingungslos geliebt zu werden. Und weil ich erlebt habe, wie Gott selbst einen normalen, langweiligen Menschen wie mich gebrauchen will und kann.

Ich bin ein ausgesprochener Menschenfreund und kann jeden tolerieren, der anders denkt als ich. Zumindest möchte ich das. Aber natürlich bin ich nicht perfekt, ich bin oft lieblos zu anderen Menschen, und das tut mir wirklich leid.

Die evangelikalen Christen, oder wie man sie nennen mag, machen viele Fehler. Ich habe schon früh hinter die Kulissen dieser Gemeinschaften schauen können. Ich sehe vieles sehr kritisch und könnte mich über eine ganze Menge aufregen. Das lässt mich oft an den Menschen zweifeln, nicht aber an Gott. Es bestätigt mich vielmehr in der Annahme, dass wir alle Sünder sind und eine Menge Vergebung brauchen. Nein, ich kann’s nicht lassen, das zu glauben.

Der Autor schreibt unter einem Pseudonym. Sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt.

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