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Flüchtlingszoff in der Union Seehofers Gnadenfrist

Der große Knall im Unionsstreit ist vorerst vertagt: CSU-Chef Horst Seehofer gibt sich aber kaum noch Mühe, seinen Konflikt mit der Regierungschefin zu beschönigen.
Seehofer in München

Seehofer in München

Foto: RALPH ORLOWSKI/ REUTERS

Im Kampf um das letzte Wort im Asylstreit zwischen CDU und CSU darf sich Horst Seehofer am Montagnachmittag vorerst als Gewinner fühlen. Seine Pressekonferenz in München dauerte doppelt so lange wie die der Kanzlerin in Berlin. Außerdem fand sie zeitgleich zum Merkel-Statement in Berlin statt.

Offenbar sind nicht mal mehr die Pressestellen der beiden Unionsparteien fähig, Kompromisse zu schließen, welcher Parteichef seine Ergebnisse zuerst öffentlich machen darf. Während Angela Merkel das Redepult schon längst verlassen hatte, redete Seehofer immer noch.

Dabei hatte er nichts Überraschendes zu verkünden. Der Beschluss des CSU-Parteivorstands war schon in den Stunden davor durchgesickert: Der Innenminister wird Angela Merkel 14 Tage Zeit einräumen, eine europäische Lösung in der Frage der Zurückweisungen an der deutschen Grenze zu finden. "An den stilvollen Bayern soll es nicht scheitern," sagte Seehofer. Die Stoßrichtung der CSU-Entscheidung ist klar: So stellt sie sich hinter ihren Vorsitzenden Seehofer, vorerst ohne den Konflikt mit der Schwesterpartei eskalieren zu lassen.

Alle Ausländer, die mit einer Einreisesperre belegt sind, sollen allerdings "mit sofortiger Wirkung", wie es in dem Vorstandsbeschluss heißt, an der Grenze abgewiesen werden - dazu gehören zum Beispiel abgelehnte Asylbewerber. "Im Grunde ist das ein Skandal", sagte Seehofer, dass diese Selbstverständlichkeit nicht schon längst Praxis an der deutschen Grenze sei.

Umfassende Zurückweisungen an der Grenze von Flüchtlingen, die in einem anderen EU-Land ihren Asylantrag bereits gestellt haben, soll es aber erst geben, wenn Merkel auf dem EU-Gipfel Ende des Monats kein "wirkungsgleiches" Ergebnis erzielen kann.

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Der CSU-Parteivorsitzende gab sich bemerkenswert wenig Mühe, den Konflikt mit Angela Merkel schönzureden. "Wir sind noch längst nicht über den Berg," sagte Seehofer. "Es gibt immer noch einen inhaltlichen Dissens." Er gehe nicht davon aus, dass "die Merkel" seinem umstrittenen 63. Punkt im Asylmasterplan zustimmen werde, wenn der EU-Gipfel scheitert, sagte Seehofer. Er werde die Zurückweisungen trotzdem in dem Moment anweisen, da die CDU-Chefin mit leeren Händen vom EU-Gipfel kommt.

Vorbereiten lasse er die Maßnahme von seinem Ministerium bereits jetzt, drohte er weiter. Immerhin noch einmal reden wolle er mit der Kanzlerin, bevor er in zwei Wochen zur Tat schreite. Das sei "eine Frage des Anstands". Über Merkels Ankündigung auf der zeitgleich stattfindenden Pressekonferenz, im Falle eines Asyl-Alleingangs ihres Innenministers notfalls von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen, spottete Seehofer: "Mir gegenüber hat sie mit der Richtlinienkompetenz nicht gewedelt. Wäre auch unüblich zwischen Parteivorsitzenden."

Seehofer erklärte kampfeslustig, es habe nach der mündlichen Vorstellung seines Masterplans Migration im CSU-Vorstand nicht "den Hauch einer Gegenstimme" gegeben. "Es geht uns um die Sachfrage", sagte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. "Uns geht es um eine Sachfrage, nicht um Persönliches", wiederholte Ministerpräsident Markus Söder. Wer soll das noch glauben?

Seehofers Zukunft hängt an seiner Performance im Amt

Personelles und Sachfragen sind in der CSU beim Thema Asyl längst untrennbar verbunden: Söder verlangt von seinem nach Berlin wegbeförderten Vorgänger Unterstützung für die Landtagswahl im Oktober. Und Seehofers politische Zukunft hängt ohnehin an seiner politischen Performance im neuen Amt.

Dem ganzen Auftrieb liegt von CSU-Seite folgende Analyse zugrunde: Die Landtagswahl in Bayern werde zu einem Gutteil in Berlin entschieden. Denn trotz der Erfolgsbilanz, die die CSU für sich beansprucht, schaue der Wähler vor allem auf das Thema Asyl und Zuwanderung. Das werde sich in den kommenden Monaten auch nicht ändern.

Die CSU-Strategen waren zuletzt frustriert darüber, dass die Partei in den Meinungsumfragen nicht von der Stelle kam und weit von der absoluten Mehrheit entfernt ist - trotz eines neuen, umtriebigen Ministerpräsidenten, trotz eines Regierungsprogramms mit allerlei kostspieligen Versprechen, vom bayerischen Raumfahrtprogramm bis zum bayerischen Elterngeld.

Die Strategie hat einen Haken

Die fehlenden Stimmen will die CSU bei der AfD holen, diese liegt in den Umfragen in Bayern bislang stabil zweistellig. Mindestens ein Drittel enttäuschte bürgerliche Wähler umfasst der AfD-Sockel nach CSU-Berechnung. Sie sollen zurück in die Volkspartei kehren, indem die CSU bei Asyl und Zuwanderung liefert - sprich: weitere Begrenzungen durchsetzt. Das Instrument der Zurückweisung an den Grenzen wabert wie Seehofers Ankerzentren schon seit einigen Wochen durch die Partei.

Das Hin und Her von Seehofer kurz vor der Bundestagswahl gilt vielen in der CSU als Fehler. Erst die Kanzlerin bekämpfen und sie dann unterstützen, das hätten viele Wähler nicht begriffen. Zu weich will man vor der Landtagswahl auf keinen Fall erscheinen, weitere Konflikte mit der CDU sind angelegt.

Der Haken an der entgegengesetzten Strategie: Indem sich die CSU auf die AfD fixiert, befeuert sie auch deren Themen. Die jüngsten Erfolge bei Landtagswahlen feierte die CDU indes, indem sich deren Kandidaten hinter Merkel stellten. Die Wahlsieger sind heute Ministerpräsidenten und Merkels wichtigste Verbündete gegen die Schwesterpartei: Armin Laschet und Daniel Günther.

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Foto: Fabrizio Bensch/ REUTERS