Über das Fluchen in der Antike und im Christentum

"Kommunikation mit den Göttern und den dunklen Mächten"

"Verflucht und zugenäht - Antike Fluchtafeln und das Neue Testament". So war eine Tagung an der Mainzer Universität überschrieben, die am Samstag zu Ende ging. Ein verflucht-interessantes Interview mit dem Theologen Markus Lau.

 (DR)

KNA: Herr Lau, können Sie ein paar Flüche nennen, die in der Antike verwendet wurden?

Lau: Einzelne Flüche zu nennen, ist gar nicht so einfach, weil ein antiker Fluch nicht aus einem Wort wie "Verdammt" besteht, sondern Fluchen und Verfluchen in der Antike in Form von längeren Texten erfolgte, die in der Regel auf Bleiplatten geschrieben werden.

Mit diesen Platten haben Menschen in der Antike dann magisch gedachte Rituale vollzogen und sie - je nach Verwendungssituation - in einem Erdloch vergraben, in das Grab eines früh verstorbenen Menschen gelegt oder auch in eine Wasserquelle oder einen Fluss geworfen.

KNA: Und wer sollte den Fluchenden dabei den Erfolg bescheren?

Lau: Solche Flüche waren immer auch Formen der Kommunikation mit den Göttern oder dunklen Mächten der Unterwelt, die dem Verfluchenden hilfreich zur Seite stehen sollten, um sein Ziel zu erreichen.

KNA: Womit beschäftigen sich die Flüche in der Antike inhaltlich?

Lau: Zusammengefasst kann man sagen: Verflucht wurde gerne und oft in Situationen, die sich als Konkurrenzkampf unterschiedlichster Art charakterisieren lassen.

KNA: Können Sie ein paar Beispiele nennen?

Lau: Da geht es um sehr alltägliche Dinge: Die Frau, in die man unsterblich verliebt ist, entscheidet sich für einen anderen. Da bietet es sich an, entweder die Frau oder denn Nebenbuhler oder gleich beide zu verfluchen, damit sie keinen Schlaf finden mögen oder krank werden – oft mit dem Ziel, dass die Angebetete sich doch noch richtig entscheidet.

Oder: Eine gut platzierte Wette auf eine Partei beim Wagenrennen wird durch einen wirkungsvollen Fluch, die Pferde der Konkurrenz mögen doch bitte heute langsamer laufen, unterstützt. Und um auf Nummer sicher zu gehen, konnte die Bleiplatte, auf die solche Flüche geschrieben werden, noch mit einem Haar des entsprechenden Pferdes versehen werden.

Ein drittes beliebtes Anwendungsfeld war die Welt des Gerichts: Den Prozessgegner konnte man zum Beispiel so verfluchen, dass ihm die Stimme vor Gericht fehlt oder er im passenden Moment seinen Verstand verliert, um kein gutes Plädoyer zu halten.

KNA: Gab es kein schlechtes Gewissen, eine Sünde gegen Gott zu begehen?

Lau: Das Konzept der "Sünde gegen Gott" ist sehr aus einer christlichen Perspektive gedacht und trifft die Logik der antiken Fluchtafeln nicht. Denn in diesen Texten werden Menschen verflucht, nicht Gott. Es ist sogar so, dass man gerade durch die Fluchformel eine Gottheit oder numinose Macht auf seine Seite und in seinen Dienst ziehen wollte.

KNA: Fluchte man nur allein oder auch in der Gruppe?

Lau: Geflucht wurde tatsächlich allein und nicht in der Gruppe. Das liegt an der gesellschaftlichen Bewertung von Flüchen, die in aller Regel tabuisiert waren – obwohl jeder wusste, dass verflucht wurde.

KNA: Gab es auch Fluch-Verbote in der Antike?

Lau: In Rom war das Verfluchen seit den Anfängen des Römischen Rechts sogar gesetzlich verboten. Wie so oft: Verboten muss werden, was faktische Praxis ist. Die vielen Fluchtafeln, die sich erhalten haben und die wir kennen, das sind gut 1.600, die aus der Zeit vom 6. Jh. v. Chr. bis zum 6. Jh. n. Chr. stammen, zeigen jedoch, dass ein gesetzliches Verbot die Praxis des Verfluchens nicht eingeschränkt hat.

KNA: War das Fluchen auch bei den frühen Christen verbreitet?

Lau: Damit dürfen wir rechnen. Und das ist auch ganz normal, waren die frühen Christen doch Menschen, die in antiker Kultur sozialisiert waren und nicht in einer Sonderwelt lebten. Und dazu gehört auch das Verfluchen. Mehr noch: Man merkt manchen neutestamentlichen Texten an, dass sie das Verfluchen eindämmen wollen. Das macht nur dann Sinn, wenn Christen auch verfluchen. Sie verfluchen aber gewiss nicht mehr oder schlimmer als andere Menschen in der Antike.


Quelle:
KNA