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Papstreise: Kontrast zur Wirklichkeit

Neun Tage lang reiste Papst Johannes Paul II. triumphal durch seine polnische Heimat. Er hielt über 30 Reden und begeisterte die katholischen Massen. Die Parteiführung um Edward Gierek erhofft sich von der Pilgerreise Stärkung ihrer erschütterten Autorität und einen »historischen Kompromiß« zwischen Kirche und Staat.
aus DER SPIEGEL 24/1979

My Chcemy Boga« (Wir wollen Gott!) steht schon seit langem in allen polnischen Gesangsbüchern -- in den neun Tagen des Papstbesuches wurde das alte Kirchenlied zum Hymnus von Millionen Polen gegen den Antichrist. Noch niemals sah sich ein kommunistischer Staat einem derartigen Phänomen gegenüber.

Denn wann immer Papst Wojtyla in einer seiner Reden und Predigten mit einer Anspielung oder auch direkt auf die heutige Situation der Christen im sozialistischen Vaterland Volkspolen zu sprechen kam, unterbrach ihn die Menge mit kirchlich ganz unüblichem Beifall und stimmte dann den Hymnus an: »Wir wollen Gott, in der Schule, in den Büchern, im Kreis der Familie und des Volkes, auch in unserer freien Zeit ...": der Ruf nach dem allgegenwärtigen Gotteswort als Kontrast-Programm zur polnischen Wirklichkeit.

Sorgfältig vorbereitet war der inbrünstige Singsang sicher nicht, allzuviel Regie bei dieser größten katholischen Demonstration der jüngeren Geschichte ohnehin überflüssig: Das Spannungsfeld zwischen dem, was sie wollen, und dem, was sie nicht dürfen, kennen der polnische Papst und sein polnisches Publikum nur zu genau.

So war das Mammut-Programm dieser als Pilgerfahrt geplanten Triumphreise -- elf Großveranstaltungen und über 30 Reden in neun Tagen -- vor allem ein politischer Dialog mit den Massen. Der Papst sprach aus, was in diesem Land seit 35 Jahren keiner mehr öffentlich gesagt hat, und er sagte

* Rechts: Kardinal Wyszynski.

es in einer Sprache, die jeder verstand. Schon am ersten Tag der Reise in Warschau, als Wojtyla auf dem Siegesplatz bei tropischen Temperaturen von fast 40 Grad über drei Stunden lang ein Hochamt zelebrierte, stellte er klar: Die Kirche hat Christus nach Polen gebracht ... Daher darf man Christus aus der Geschichte der Menschen nirgendwo ausschließen.

In Gnesen, der ersten polnischen Hauptstadt und dem Sitz des ersten polnischen Bischofs, gab er seiner Wahl zum Papst politische Dimension: Will Christus nicht vielleicht, und fügt es der Heilige Geist nicht vielleicht so, daß dieser Papst ... die Geschichte der Bruder- und Nachbarvölker in der Kirche und ihren besonderen Beitrag zur Geschichte des Christentums sichtbar macht und bekräftigt?

Und dann nannte der »slawische Papst« mit der Mission, »die Einheit des christlichen Europas« sichtbar zu machen, auch gleich die Völker, die er meinte: Kroaten und Slowenen, Bulgaren, Böhmen, Mähren und Wenden. Auch die nichtslawischen Nachbarn, die Ungarn und Litauer, die mit den politischen Panslawisten in Moskau ohnehin ihre Mühe haben, bezieht er mit ein.

Im Wallfahrtsort Tschenstochau, vor den Schlesiern, sprach er von der »Einheit der Nation und der Selbstbestimmung«, vor dem Kloster der Schwarzen Madonna betete er »für die Menschenrechte, die nicht überall verwirklicht sind": Was die kämpfende Kirche in Lateinamerika auf Wojtylas Mexiko-Reise von ihrem Oberhirten gern als moralische Unterstützung gegen die Diktaturen gehört hätte, fiel dem Papst im heimatlichen Polen durchaus ein.

Dazu ein Begleiter aus Rom: »Sicherlich weiß der Heilige Vater in der polnischen Gesellschaft sehr viel besser Bescheid als in der lateinamerikanischen -- außerdem: Auch ein Papst lernt dazu.«

Fromme Kronzeugen aus dem Ostblock hatte der Slawen-Papst demonstrativ an seiner Seite. In Tschenstochau ist es der biedere Kardinal Lekai aus dem ungarischen Estergom, der um des lieben Kirchenfriedens willen schon mal bereit war, die ungarische KP als fortschrittlich zu loben.

In Krakau stand Kardinal Tomasek aus dem ehrwürdigen Prag neben den polnischen Brüdern. Er hat den Ruf nach mehr Menschenrechten 1968 sogar schon von kommunistischen Funktionären vernommen. Jetzt blieb ihm nur die Hoffnung, daß der polnische Frühling auch seine eigenen Widersacher in der CSSR etwas einsichtiger macht.

Millionen Polen haben den Papst auf dieser Reise selbst gesehen und reden hören, nach Schätzung der Pressestelle des Polnischen Episkopats »ein Drittel der polnischen Bevölkerung« von 35 Millionen. Was alle Beobachter am meisten überraschte und wohl auch die polnische Partei zusätzlich nachdenklich macht: Die meisten Papst-Pilger waren Jugendliche und Kinder.

Zu den Jungen fand der leutselige Wojtyla besonders herzlichen Kontakt. Ohne Rücksicht auf das dichtgedrängte Programm und das Protokoll sang er stundenlang mit der Pilgerschar -- und das waren nicht nur fromme Weisen.

Mit der Selbstverständlichkeit ihrer gestärkten Autorität akzeptierte die polnische Kirchenführung, daß die Kinder zu Hunderttausenden die Schule schwänzten und deren Eltern nicht zur Arbeit gingen. Eine Hundertschaft niederschlesischer Kumpel in Traditionsuniform holte sich in Tschenstochau den päpstlichen Segen. Beim Betriebsarzt hatten sich die Teilnehmer krank gemeldet: »Rausschmeißen können sie uns nicht; dazu brauchen sie uns viel zu dringend.«

Freilich: Wer nicht unmittelbar dabei war, bekam von den Begeisterungs-Stürmen für den Heimkehrer nicht viel mit. Durch ausgetüftelte Perfektion gelang es dem polnischen Staatsfernsehen, bei den knappen Übertragungen vom Papstbesuch die Kameras so zu führen, daß nicht deutlich wurde, wie groß die beifallklatschenden und winkenden Massen tatsächlich waren.

Auch sonst tat sich das Regime schwer, mit der Veranstaltung der frommen Konkurrenz zum Staat fertig zu werden. Außer Großaufnahmen vom Papst zeigte das Fernsehen nur gelegentlich auch einmal Zuschauer aus der Nähe. Dabei kamen einem Kameramann in Warschau zwei stadtbekannte Typen der Geheimpolizei ins Bild, zwei verdrossen blickende Männer, die sich im Räuberzivil ausgerechnet unter eine Gruppe von Ordensschwestern gemischt hatten.

Das gibt Wojtyla die Gelegenheit, auf der nächsten Großkundgebung in Gnesen unter dem Gelächter von Hunderttausenden außer den örtlichen Behörden ausdrücklich auch die Polizei zu begrüßen -- eine schwarze Stunde für die Partei.

Mit Rücksicht auf den nervösen Sowjet-Nachbarn -- auf ungeklärte Weise waren auch ein Dutzend litauische Pilger über die hermetisch abgeriegelte Grenze nach Polen gekommen -- fiel zudem ausgerechnet zu Beginn des Papstbesuches die Relaisstation des Fernsehens in Bialystok aus, was den Empfang im polnisch-russischen Grenzgebiet und in Litauen unmöglich machte.

Die polnische Presse hielt sorgfältig darauf, in ihren Berichten das offizielle Protokoll aufzuzählen. Aus den Papstreden wurden nur jene Passagen zitiert, die ohnehin in der Sprachregelung der Partei lagen: der Papst als großer polnischer Patriot; die Einheit aller Polen zum Wohl der polnischen Nation.

Nur beim Papstbesuch im ehemaligen KZ Auschwitz zusammen mit 300 000 Pilgern waren auch das polnische Fernsehen und die Parteipresse wieder voll dabei. Im Gedenken an die vier Millionen Toten dieses größten Vernichtungslagers der Nazis fanden sich Kirche und Partei ohne Einschränkung.

Wie sich die polnische Parteispitze inzwischen eingestand, war das Politikum der Papstreise durchaus vorhersehbar gewesen. Auf keiner der Stationen von Wojtylas Pilgerfahrt fehlte es an geschichtsträchtigen Symbolen, die zu einer kritischen Betrachtung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in Vergangenheit und Gegenwart geradezu zwingen.

Polens Parteichef Edward Gierek, durch die wirtschaftliche Dauerkrise in seinem Land schwer unter Druck, ist dieses Risiko bewußt eingegangen in der Erwartung; daß die Nachteile ausgeglichen würden, weil der Stolz der Polen auf ihren großen Sohn auf dem Thron Petri auch dem Staat in seiner derzeitigen miserablen Verfassung zu mehr Autorität verhelfen würde. Einiges spricht dafür, daß Giereks prominenter Gast diesen Mut zum Risiko auf seine Weise honorieren wollte.

Denn für die polnische Kirche fiel die wichtigste Entscheidung dieser Papstreise nicht öffentlich: am vorigen Dienstag auf der Plenarkonferenz der polnischen Bischöfe im Kloster der Schwarzen Madonna von Tschenstochau.

Vor den versammelten 70 Bischöfen machte Wojtyla klar, daß sich an der Politik des Episkopats gegenüber dem polnischen Staat einiges ändern müsse. Denn bisher hat Polens Kirche größten Wert darauf gelegt, ihr Verhältnis zum Regime ohne Einmischung des Vatikans zu regeln, und solange er Erzbischof von Krakau war, hieß Wojtyla die vor allem vom Primas Wyszynski entwickelte Strategie auch gut.

Gelegentlich -- so bei der Frage der Neugliederung der Diözesen im heute sowjetischen Ostpolen -- kam es zwischen polnischer Kirchenführung und Vatikan sogar zum offenen Konflikt während Rom, die Interessen der Weltkirche im Auge, Verständigungsbereitschaft zeigte. Parteichef Gierek versuchte noch kurz vor der Wahl Wojtylas zum Papst, Wyszynski gegen den zum Arrangement entschlossenen Ostexperten des Vatikans, den neuen Kardinalstaatssekretär Casaroli, auszuspielen.

Nun, so Wojtyla vor den erstaunten Bischöfen, sei »für die Normalisierung zwischen Kirche und Staat« ein »dauerhafter Dialog« des polnischen Episkopats mit der Partei der Kommunisten geboten.

Er selbst, so ließ der Papst wissen, werde bei diesen Bemühungen eine wichtige Rolle spielen, außer ihm -- und das kam schon einer Brüskierung der polnischen Bischöfe gleich -- ausgerechnet die Männer, die bei der Rede in seiner unmittelbaren Nähe saßen: der in Polen ungeliebte Casaroli und dessen Gehilfen bei der »weichen Vatikanpolitik« (so Wyszynski 1967), die Erzbischöfe Poggi und Martin.

Ober was die polnischen Bischöfe mit der Parteiführung »bei gegenseitiger Respektierung« konkret reden sollen, gab Papst Wojtyla nur in Stichworten an: volle Sicherung der Bürgerrechte, Freiheit für die Religionsausübung und normale Bedingungen für die Arbeit der Kirche.

Das Stenogramm der Papstrede wurde in einigen Exemplaren verbreitet. Über die Reaktion der polnischen Bischöfe sagte ein Eingeweihter: »Wyszynski ist voll auf der Linie des Papstes, aber eine ganze Reihe von Bischöfen, unter ihnen der Bischof von Przemysl, Tokarczuk, halten das für ein riskantes Spiel.«

Wenn die weltlichen Machthaber angesichts der labilen Lage in Polen der Kirche die verlangten Konzessionen machen können, könnte der Ausgang für sie durchaus gefährlich sein. Aber die Parteiführung um Gierek hat eben wegen dieser Lage möglicherweise gar keine andere Wahl, als die dargebotene Chance zu ergreifen.

Sie rechnet mit einem längeren Waffenstillstand zwischen Staat und Kirche und spricht bezeichnenderweise bereits vom »historischen Kompromiß«.

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