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Ausgesetzte Mietzahlungen Missbrauch bei Corona-Hilfen: Adidas ist erst der Anfang

Adidas kündigt an, wegen der Coronakrise die Mietzahlungen für seine Läden zu stoppen.
Adidas kündigt an, wegen der Coronakrise die Mietzahlungen für seine Läden zu stoppen.


Ein Entschluss, der in der Politik auf wenig Verständnis stößt.


Auf Twitter äußern zahlreiche deutsche Politiker ihren Unmut.


SPD-Politiker Florian Post äußert seine Kritik mit einem Video, in dem er ein Hemd des Sportartikelherstellers in Brand steckt.


Adidas begründet den Schritt mit dem ausbleibenden Umsatz, da weltweit Läden geschlossen sind.


Neben Adidas haben auch Konkurrent Puma und andere Unternehmen angekündigt, Mietzahlungen vorerst zu stoppen.


Die temporär nicht gezahlten Mieten müssen später samt Zinsen beglichen werden.

Adidas, H&M oder Deichmann setzen in der Corona-Krise Mietzahlungen aus. Wer nutzt die Hilfsmaßnahmen der Regierung als Nächstes aus? Ökonomen erwarten, dass es noch mehr Missbrauch geben wird – und das nicht nur beim Thema Mieten.

So hatte sich die Bundesregierung das nicht gedacht: Mieter dürfen wegen der Corona-Krise ihre Mietzahlungen aussetzen - und ausgerechnet Konzerne wie Adidas und Puma, H&M und Deichmann machen von der Regel Gebrauch und sparen sich die Ladenmiete. Vor allem Adidas landete damit im Shitstorm der Empörung. Kein Wunder, der Sportartikelkonzern hatte erst vor wenigen Wochen einen Jahresgewinn von fast zwei Milliarden Euro verkündet.

Dass Adidas-Chef Kasper Rorsted mittlerweile relativiert hat, private Vermieter erhielten weiter Geld und nur die Zahlungen an große Immobilienkonzerne seien ausgesetzt, hat die Wogen kaum geglättet. Die Maßnahme gilt als unsolidarisches Zeichen mit Symbolwirkung. "Wenn Konzerne wie Adidas, H&M und Deichmann das Instrument nutzen, ziehen Kleinere erst recht nach", sagt Michael Voigtländer, VWL-Professor und Immobilienexperte am Institut der deutschen Wirtschaft dem stern. "Wir bekommen eine Kettenreaktion, die wir nicht wollen."

"Das Tor für strategischen Missbrauch geöffnet"

Denn wenn Mieter aus Vorsicht oder um ihre Liquidität zu sichern, Mietzahlungen aussetzen, verschiebe sich das Risiko auf die Vermieter. Und die seien auch nicht alle reich, sagt Voigtländer. 22 Prozent der Wohnungsvermieter liegen ihm zufolge unterhalb des Einkommensdurchschnitts, darunter beispielsweise Rentner. Voigtländer fordert, die bis Ende Juni laufende Maßnahme nicht zu verlängern und stattdessen Mieter-Härtefälle über einen Notfallfonds der Bunderegierung aufzufangen. Das Risiko läge damit nicht mehr bei den Vermietern, sondern beim Staat.

Adidas
Adidas-Laden in Berlin
© Odd Andersen / AFP

Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht noch akuteren Handlungsbedarf. "Beim Thema Mietstundungen hat die Regierung das Tor für strategischen Missbrauch geöffnet", sagt der VWL-Professor zum stern. Er fordert die Regierung auf, die Aussetzung der Mietzahlungen nur für private Mieter zuzulassen. "Der Staat hat hier eine massive Lücke gelassen, die er schließen sollte."

"Staatliche Hilfen ziehen immer Kriminelle an"

Kritikos, der am DIW die Forschungsgruppe Entrepreneurship leitet, sieht allerdings nicht nur beim Thema Mieten eine Missbrauchsgefahr. Am anfälligsten für Missbrauch seien die staatlichen Zuschüsse für Selbstständige. Er erwartet, dass die staatlichen Hilfsmilliarden auch Kriminelle auf den Plan rufen. "Es wird findige Menschen geben, die Hilfen beantragen, obwohl sie gar nicht selbstständig sind", sagt Kritikos. 9000 Euro für Solo-Selbstständige und 15.000 Euro für Firmen bis zehn Beschäftigte zahlt der Staat über einen Zeitraum von drei Monaten. "Staatliche Hilfen ziehen immer Kriminelle an, damit muss man leider rechnen", sagt Kritikos. "Die Behörden müssen daher vor Ort entsprechend versuchen, Kriminelle vom Zugang zu Liquiditätshilfen so gut es geht auszuschließen."

Dass auch Menschen Geld bekommen, die es gar nicht brauchen, lässt sich aus Sicht des Ökonomen aber nicht ausschließen, wenn die Hilfe schnell und unbürokratisch kommen soll. Das müsse man leider in Kauf nehmen, sagt Kritikos. "Im Sinne aller ist es derzeit besser, die bürokratischen Hürden nicht zu hoch zu legen."

Auch die Kredite, die die KfW vergeben soll, könnten kriminelle Energien freisetzen. "Es ist nicht auszuschließen, dass auch hier Kriminelle versuchen, größere Summen abzuzweigen, die sie später nicht zurückzahlen", sagt Kritikos. Was es für Betrüger schwerer macht: Kreditnehmer müssen nicht nur die KfW überzeugen, dass sie einen Kredit benötigen, sondern auch die Hausbank, die diesen bewilligt und selbst einen Teil des Ausfallrisikos trägt. Diese Sicherung sieht Kritikos gleichzeitig aber auch als enormes Hemmnis: "Viele Banken werden sich weigern, die KfW-Kredite zu bewilligen, weil sie mit 10 Prozent selbst im Risiko stehen", prophezeit Kritikos. "Ich fürchte, die KfW-Kredite werden keine Erfolgsstory, wenn hier bei der Haftung der Hausbanken nicht nachgebessert wird."

Immerhin: Beim Kurzarbeitergeld, das viele Unternehmen nun beantragen, sieht Kritikos keine große Missbrauchsgefahr. Dieses habe sich in der Praxis bewährt. "Das Kurzarbeitergeld ist eines der erfolgreichsten Instrumente, die wir in Deutschland haben."

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