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Der SpitJean-Claude Juncker beantwortet am 30. April 2014 im Vorfeld der Europawahlen in Düsseldorf in der Landeszentrale der CDU Journalistenfragen im Vorfeld der Europawahlen vom 25. Mai. Der SpitJean-Claude Juncker beantwortet am 30. April 2014 im Vorfeld der Europawahlen in Düsseldorf in der Landeszentrale der CDU Journalistenfragen im Vorfeld der Europawahlen vom 25. Mai. © dpa

Jean-Claude Juncker

Jurist, Premierminister, EU-Kommissionspräsident 9. Dezember 1954 Rédange-sur-Attert/Luxemburg
von Jürgen Nielsen-Sikora
Schon in jungen Jahren politisch engagiert, reifte Jean-Claude Juncker zu einem der führenden Gestalter europäischer Politik heran. Als Premier- und Finanzminister Luxemburgs sowie als Kommissionspräsident der Europäischen Union prägte er die Politik des Kontinents im zurückliegenden Vierteljahrhundert mit. Beeinflusst durch sein soziales Umfeld hat sich „Mr. Europe“ auch in schwierigen politischen Situationen stets eine gehörige Portion Humor bewahrt.

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Herkunft und Person​​​​​​​

Als Sohn des Stahlarbeiters Jos Juncker und seiner Frau Marguerite Hecker erblickte Jean-Claude Juncker am 9. Dezember 1954 wenige Kilometer von der belgischen Grenze entfernt in Rédange-sur-Attert (Redingen) das Licht der Welt. Vor allem der Vater, im Zweiten Weltkrieg nach der Besetzung Luxemburgs 1940 als Soldat der Wehrmacht an der Ostfront im Einsatz, später in der christlich-sozialen Gewerkschaft aktiv, übte großen Einfluss auf ihn aus.

Jean-Claude Juncker wuchs in der Arbeitersiedlung Belvaux (Beles), im sogenannten Hüttengebiet auf, in dem auch zahlreiche Immigranten angesiedelt waren. Als Arbeiterkind blieb ihm die Soziale Frage zeitlebens eine politische Herzensangelegenheit. Insgesamt war das Großherzogtum Luxemburg ländlich und katholisch geprägt. Bis in die 1970er Jahre lebte das Land von der Stahlindustrie und dem Erzvorkommen im Südwesten. Heute ist Luxemburg ein internationales Finanzzentrum. Die Hauptstadt Luxemburg zählt – neben Brüssel und Straßburg – zu den drei „Hauptstädten“ der Europäischen Union.

Der Schüler Jean-Claude Juncker besuchte das Jesuiteninternat in Clairefontaine (Belgien). Nach dem Abitur trat er der Christlich-Sozialen Volkspartei (CSV) bei und studierte von 1975 bis 1979 Rechtswissenschaften an der Universität Straßburg. Im Jahr seines Examens heiratete er Christiane Frising und wurde ein Jahr später als Anwalt zugelassen.

Offenheit, Bescheidenheit und Resilienz sind die Eigenschaften, die immer wieder genannt wurden, wenn der Mensch Jean-Claude Juncker charakterisiert wird. Zudem sind sein trockener Humor und seine Schlagfertigkeit geradezu gefürchtet. Im Umgang mit anderen Regierungschefs (wie Viktor Orbán und Silvio Berlusconi) zeigt er immer wieder, dass er Situationen, die dem Protokoll nach eher spröde und gezwungen sind, durch eine kleine Geste, eine witzige Bemerkung oder einen flüchtigen Körperkontakt aufzubrechen versteht: Politik ist nicht zuletzt die Vermarktung von Emotionen.

 

Gestalter nationaler und europäischer Politik

Juncker, der ab 1979 das Amt des Fraktionssekretärs der CSV ausübte, trat 1982 als Staatssekretär für Arbeit und Soziale Angelegenheiten in die Regierung von Pierre Werner ein. Zwei Jahre später wurde er erstmals ins luxemburgische Parlament gewählt und er amtierte von 1984 bis 1989 als Arbeitsminister und als Minister für Budgetfragen. Ein schwerer Autounfall 1989 führte dazu, dass er zwei Wochen im Koma lag und sich erst allmählich wieder erholte. Im Anschluss war er bis einschließlich 1994 als Finanz- und Arbeitsminister tätig. 1991 hatte er den Vorsitz im Rat der Finanz- und Wirtschaftsminister der EG inne und war entscheidend an den Verhandlungen zum Maastrichter Vertrag und der Umgestaltung der EG zur Europäischen Union beteiligt. Luxemburg schaffte in seiner Amtszeit als einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union die Einhaltung der Maastrichter Konvergenzkriterien zur Währungsunion. Von 1990 bis 1995 war Juncker auch Parteivorsitzender der CSV und folgte deshalb 1995 als Premierminister auf Jacques Santer. Neben dem Amt des Regierungschefs übernahm er auch die Aufgaben als Arbeits- und Finanzminister. Die europäische Währungsunion sowie die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bildeten bereits in dieser Zeit den Kern seiner Politik. Das europäische Parkett beherrschte er nicht zuletzt wegen seiner Sprachkompetenz: Problemlos wechselte er vom Französischen ins Deutsche oder Englische.

In den Jahren 1997 und 2005 nahm Luxemburg unter der Führung Junckers die EU-Ratspräsidentschaft wahr. Von 2005 bis 2013 war er darüber hinaus Vorsitzender der Euro-Gruppe. Die lange Amtszeit als Regierungschef sowie seine Leidenschaft für europäische Politik brachten ihm nicht nur den Spitznamen „Mister Europe“ ein – die ZEIT nannte ihn auch den „Reinhold Messner der EU“, der stets jeden Gipfel meistere.

Folgerichtig wurde Juncker im Jahre 2006 mit dem Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen geehrt. „In Würdigung seiner Rolle als Motor und entscheidender Akteur bei nahezu allen Integrationsfortschritten der vergangenen zwei Jahrzehnte, als Vermittler, Mediator und Brückenbauer zwischen Politik und Bevölkerung ebenso wie zwischen den so unterschiedlichen Mitgliedern der Gemeinschaft, und in Anerkennung seiner Rolle als ein Vordenker“ lautete die Begründung des Karlspreis-Direktoriums. Juncker trage „Europa im Herzen“, er selbst bekannte: „Ich bin gerne überall in Europa ganzer Europäer.“

 

Rückschläge und Erfolge

Im Jahr 2012 wurde ein Gespräch Junckers publik gemacht, dass er 2007 mit dem damaligen Chef des luxemburgischen Geheimdienstes, Marco Mille, geführt hatte. Mille hatte die Diskussion, in der er dem Premier mitteilte, dass Akten aus dem Kalten Krieg vernichtet und er selbst abgehört worden sei, heimlich mitgeschnitten. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss kam im Juli 2013 zu dem Ergebnis, Juncker trage die politische Verantwortung für die Praktiken des Geheimdienstes – obwohl er gleichzeitig auch selbst deren Opfer gewesen war. Infolge des Skandals sah sich Juncker schließlich gezwungen, Neuwahlen anzukündigen. Nach der Neuwahl schied er im Dezember 2013 aus seinen Regierungsämtern aus.

Im Juni 2014 erfolgte seine Nominierung zum EU-Kommissionspräsidenten durch den Europäischen Rat. Das Europäische Parlament stimmte im Juli 2014 für Juncker als neuen Präsidenten. Das Amt bekleidete er vom 1. November 2014 bis zum 31. Oktober 2019. Doch kaum im Amt, sah sich Juncker schon einem Misstrauensvotum rechtspopulistischer Abgeordneter des Parlaments ausgesetzt, das aber erfolglos blieb. Hintergrund des Votums waren Medienenthüllungen über Steuerpraktiken in Luxemburg, die während der Amtszeit Junckers internationalen Konzernen zur Vermeidung von Steuerzahlungen verholfen hatten („Luxemburg-Leaks“). Vor dem Europaparlament nahm Juncker zu den Vorwürfen Stellung und wies darauf hin, Steuergesetze seien stets respektiert worden, und ihm seien keine gesetzwidrigen Aktionen bekannt, allerdings habe die Vorgehensweise der Luxemburger Behörden „nicht den Anforderungen im Rahmen der Steuergerechtigkeit“ entsprochen. Als Reaktion kündigte er an, die Kommission werde vorschlagen, zu Steuerabsprachen für Konzerne (tax rulings) einen automatischen Informationsaustausch unter den EU-Mitgliedsländern zu organisieren.

Junckers Anspruch war es, stets ein Politiker des Ausgleichs zu sein, der sich für die Stabilität des EU-Haushalts einsetzt.

Das Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) bewertete er positiv und plädierte für einen transparenten EU-Gesetzgebungsprozess. Weniger Bürokratie, mehr Subsidiarität sollte die EU auszeichnen. Ein besonderes Augenmerk legte er auf die Jugendarbeitslosigkeit in Europa, die er gezielt mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen bekämpfen wollte. Flankiert wurde dies von der Forderung, einen Mindestlohn in allen EU-Mitgliedstaaten einzuführen. Europas Grundstein seien jedoch nicht die Gelder, sondern die Werte, die es immer wieder zu verteidigen gelte: „Sie bilden“, so Juncker, „unsere europäische DNA, deren Rückgrat die Würde ist.“

Mit Mühe schaffte es der Kommissionspräsident, den seit 2009 im Raum stehenden GREXIT – also ein mögliches Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone – zu verhindern, doch dem Votum zum EU-Austritt Großbritanniens setzte er möglicherweise zu wenig entgegen. Problematisch gestaltete sich in seiner Amtszeit auch die zunehmende politische Spaltung Europas, in der der Rechts- und Linkspopulismus auf der europäischen Bühne immer deutlicher hervortraten.

Unterschätzt hat Juncker nicht zuletzt die Personalie Martin Selmayr, den er 2018 vom Posten seines Kabinettschefs in einem Verfahren ohne vorangegangene Ausschreibung ins Amt des Generaldirektors der EU-Kommission hievte. Das formal zwar mögliche, aber politisch und moralisch fragwürdige Vorgehen brachte ihm erhebliche Kritik aus Medien und Politik ein.

Sein diplomatisches Verhandlungsgeschick konnte er dann ein vorerst letztes Mal im Juli 2018 beweisen, als er in den USA einen Kompromiss mit Präsident Trump aushandelte, um die angekündigten Strafzölle auf europäische Automobilimporte zu vermeiden. Wie er das geschafft hat? Er beherrsche nun einmal jeden Trick, weiß sein langjähriger Weggefährte Elmar Brok.

Keine Frage: Juncker kennt seit jeher die Komplexität des europäischen Kontinents und die Akteure mit all ihren Widersprüchen. Für diese Widersprüche sucht er immer wieder nach der besten Lösung. Europa hat zweifellos Politiker wie Juncker heute wieder in besonderem Maße nötig. „Ich kann nichts anderes besser als Europa“, sagt er nach der Aushandlung des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU Ende Oktober 2019.

Lebenslauf

  • 9. Dezember 1954 geboren in Rédange-sur-Attert
  • 1974 Abitur am Lycée Michel Rodange in Luxemburg
  • 1974 Eintritt in die Christlich-Soziale Volkspartei (CSV)
  • 1975-1979 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Straßburg
  • 1979-1982 Fraktionssekretär der CSV
  • 1980 Zulassung als Rechtsanwalt
  • 1982-1984 Staatssekretär für Arbeit und soziale Sicherheit
  • 1984 Wahl in die luxemburgische Abgeordnetenkammer
  • 1984-1989 Minister für Arbeit und Beigeordneter Minister den Haushalt
  • 1989-1995 Minister für Arbeit und Minister der Finanzen
  • 1990-1995 Vorsitzender der CSV
  • 1995-1999 Minister für Arbeit
  • 1995-2009 Minister der Finanzen
  • 1995-2013 luxemburgischer Premierminister
  • 2005-2013 Vorsitzender der Euro-Gruppe (Finanzminister der Mitgliedstaaten der Eurozone)
  • 2006 Auszeichnung mit dem Aachener Karlspreis
  • 2009-2013 Schatzamtsminister
  • 2014-2019 Präsident der EU-Kommission

Veröffentlichungen

  • Juncker, Jean-Claude: Konstanten. In: Die Politische Meinung Nr. 424, März 2005.
  • Juncker, Jean-Claude: Rede zur Entgegennahme des Internationalen Karlspreises der Stadt Aachen. In: Müller/Vincken 2006.
  • Juncker, Jean-Claude: Europarede 2002 „Wir wachsen mit Europa“. Grundsatzrede zur europäischen Integration, Brüssel 2002.
  • Juncker, Jean-Claude: Europa als jugendlicher Heißsporn. In: Armin Laschet (Hg.): Europa im Schicksalsjahr, Freiburg i.Br. 2016.
  • Juncker, Jean-Claude: „Ich kann nichts besser als Europa“. Interview mit Damir Fras. In: Kölner Stadt-Anzeiger vom 29. Oktober 2019.

Literatur

  • Europäische Kommission: Weißbuch zur Zukunft Europas. Die EU der 27 im Jahr 2025. Überlegungen und Szenarien (COM 2017 (2025)), Brüssel 2017.
  • Kopeinig, Margaretha: Jean-Claude Juncker. Der Europäer, Wien 2014.
  • Müller, Olaf/Vincken, Bernd: Europa im Herzen. Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen 2006 an Jean-Claude Juncker, Aachen 2006.
  • Nielsen-Sikora, Jürgen: Europa – vom Museum zur Zukunftswerkstatt? Eindrücke vom Karlspreis-Europa-Forum und der Preisverleihung 2006. In: Müller/Vincken 2006.

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26. Februar 2021
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