Der unsittliche Friedensnobelpreisträger

Die Schonfrist für den "Helden von Osttimor" scheint vorbei zu sein


Ist Bischof Ximenes Belo, der von 1988 bis 2002 Oberhaupt der katholischen Kirche in Osttimor war und das Land in die Unabhängigkeit geführt hatte, ein homosexueller Mißbrauchstäter, der sich an Minderjährigen vergangen hat?
Ist Bischof Ximenes Belo, der von 1988 bis 2002 Oberhaupt der katholischen Kirche in Osttimor war und das Land in die Unabhängigkeit geführt hatte, ein homosexueller Mißbrauchstäter, der sich an Minderjährigen vergangen hat?

(Rom) Das Nor­we­gi­sche Nobel­ko­mi­tee erwägt nicht, Bischof Car­los Xime­nes Belo den Frie­dens­no­bel­preis zu ent­zie­hen. Gegen den Bischof wer­den Vor­wür­fe des homo­se­xu­el­len Miß­brauchs von Min­der­jäh­ri­gen erho­ben. Die Vor­wür­fe wur­den erst jetzt öffent­lich bekannt, doch die Kir­che bestraf­te Belo bereits 2002.

Anzei­ge

Das Komi­tee, des­sen Mit­glie­der vom nor­we­gi­schen Par­la­ment bestimmt wer­den, hält es für aus­ge­schlos­sen, Xime­nes Belo den Frie­dens­preis zu ent­zie­hen. Das lie­ge „außer­halb der Zustän­dig­keit des Komi­tees“, hieß es gestern in Oslo. Zum kon­kre­ten Fall lehn­te das Komi­tee einen Kom­men­tar ab.

„Das Komi­tee äußert sich sehr sel­ten zu dem, was ein Frie­dens­preis­trä­ger in den Jah­ren nach der Ver­lei­hung des Prei­ses tut oder sagt, oder was ein Preis­trä­ger in der Ver­gan­gen­heit getan haben könn­te, das nichts mit sei­ner preis­ge­krön­ten Lei­stung zu tun hat“, sag­te Olav Njøl­stad, Direk­tor des nor­we­gi­schen Nobel­in­sti­tuts in Oslo. „Es liegt auch nicht in der Zustän­dig­keit des Komi­tees, einen ein­mal ver­lie­he­nen Preis zurück­zu­zie­hen. Die Sat­zung der Nobel-Stif­tung schließt die­se Mög­lich­keit aus“, so Njølstad.

Die nie­der­län­di­sche Zei­tung De Groe­ne Amster­dam­mer ver­öf­fent­lich­te am Mitt­woch Aus­sa­gen angeb­li­cher Opfer von sexu­el­lem Miß­brauch. Der Bischof aus Ost­ti­mor soll sie, als er Apo­sto­li­scher Admi­ni­stra­tor von Dili war und sie noch min­der­jäh­rig waren, sexu­ell miß­braucht haben.

Der Vati­kan gab bekannt, bereits vor zwei Jah­ren, als die­se Vor­wür­fe erst­mals auf­tauch­ten, Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men gegen Bischof Belo ver­hängt zu haben. In Wirk­lich­keit rei­chen die Sank­tio­nen viel wei­ter zurück.

Nach bis­he­ri­gem Kennt­nis­stand han­delt es sich bei den Vor­wür­fen über die Jah­re hin­weg um die­sel­ben. De Groe­ne Amster­dam­mer zitier­te die Aus­sa­gen von zwei heu­te 42 bzw. 46 Jah­re alten Män­nern, die inzwi­schen bei­de nicht mehr in Ost­ti­mor leben. Die Vor­wür­fe bezie­hen sich auf die erste Hälf­te der 90er Jah­re, als sie 14/​15 Jah­re alt waren. Die Geschich­ten der bei­den Män­ner ähneln sich weit­ge­hend. Msgr. Belo, damals ein füh­ren­der Ver­tre­ter der Frei­heits­be­we­gung, „ein Held Ost­ti­mors“, habe sie in sei­ne Resi­denz ein­ge­la­den, wodurch sich die Jun­gen sehr geehrt fühl­ten. Er habe sie in sein Schlaf­zim­mer mit­ge­nom­men und sexu­ell miß­braucht. Sie sei­en „ver­wirrt“ gewe­sen, die Sache sei als „ekel­haft“ emp­fun­den wor­den, doch „er war ein Prie­ster, ein Bischof, ein Held“. Der Held Ost­ti­mors schlechthin.

Die Vor­wür­fe kamen offen­bar erst­mals 2002 auf, denn damals wur­de Bischof Belo von Papst Johan­nes Paul II. über­ra­schend sei­nes Amtes ent­bun­den. Er ver­ließ Ost­ti­mor und wur­de, noch unge­wöhn­li­cher, Hilfs­prie­ster in Afri­ka. Der auf­fäl­li­ge Kar­rie­re­knick blieb nicht unbe­merkt, wur­de aber schnell aus den Augen ver­lo­ren, da die Ost­ti­mor-Fra­ge gelöst war.

Die Unabhängigkeit Osttimors

Der Name von Bischof Belo ist untrenn­bar mit dem Frei­heits­kampf für die Unab­hän­gig­keit Ost­ti­mors ver­bun­den. Die Insel Timor gehört zum malai­ischen Archi­pel, das ab dem 15. Jahr­hun­dert isla­mi­siert wur­de. Timor gelang­te ab 1515 in den por­tu­gie­si­schen Inter­es­sens­be­reich. 1556 began­nen Domi­ni­ka­ner mit der Mis­sio­nie­rung des Lan­des. Aus dem West­teil der Insel wur­den die Por­tu­gie­sen und die katho­li­schen Mis­sio­na­re 1653 von den Nie­der­lan­den ver­trie­ben. Da die refor­mier­te nie­der­län­di­sche Staats­füh­rung und die Ver­ei­nig­te Nie­der­län­di­sche Ost­in­di­en-Kom­pa­nie an einer Mis­si­ons­tä­tig­keit wenig inter­es­siert waren, konn­te sich der Islam in der Bevöl­ke­rung West­ti­mors wäh­rend und wegen der Kolo­ni­al­herr­schaft festi­gen. Die Bewoh­ner Ost­ti­mors hin­ge­gen wur­den katho­lisch, wobei zunächst noch län­ge­re Zeit ani­mi­sti­sche Kul­te überwogen.

Im Dezem­ber 1941 besetz­ten austra­li­sche und neu­see­län­di­sche Trup­pen Ost­ti­mor, obwohl Por­tu­gal im Zwei­ten Welt­krieg neu­tral war. Mit dem Hand­streich woll­ten die Alli­ier­ten den Japa­nern zuvor­kom­men, ver­gleich­bar der deut­schen Beset­zung Nor­we­gens 1940, um dort den Bri­ten zuvor­zu­kom­men. Die Japa­ner, die dann Nie­der­län­disch-Indi­en tat­säch­lich beset­zen, för­der­ten die indo­ne­si­sche (isla­mi­sche) Unab­hän­gig­keits­be­we­gung. Die Nie­der­lan­de, vom Deut­schen Reich besetzt, ver­füg­ten zu der Zeit nur über eine Exil­re­gie­rung. Als Japan im Som­mer 1945, nach dem Atom­bom­ben-Angriff durch die USA, bedin­gungs­los kapi­tu­lier­te, rief die indo­ne­si­sche Natio­nal­be­we­gung die Unab­hän­gig­keit Indo­ne­si­ens aus. Die Nie­der­län­der ver­such­ten zwar Nie­der­län­disch-Indi­en mili­tä­risch zurück­zu­er­obern, muß­ten aber 1949 unter dem Druck der USA die Unab­hän­gig­keit anerkennen.

Der neue, mus­li­misch domi­nier­te Staat begann sei­ner­seits Gebie­te zu erobern, die sich selb­stän­dig machen woll­ten. So besei­tig­te er die Repu­blik Süd­mo­luk­ken, deren Ter­ri­to­ri­um zwar zum nie­der­län­di­schen Kolo­ni­al­be­sitz gehört hat­te, den aber christ­li­che Mela­ne­si­er bewohnten.

Das katho­li­sche Ost­ti­mor wur­de im Früh­jahr 1942 von den Japa­nern besetzt, gegen die sich die ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung, von den Alli­ier­ten bewaff­net und ange­lei­tet und anders als im nie­der­län­di­schen Teil, in einem Gue­ril­la­krieg wehr­te. Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges kehr­te das katho­li­sche Ost­ti­mor wie­der unter por­tu­gie­si­sche Herr­schaft zurück.

Obwohl Ost­ti­mor nie ein Teil von Nie­der­län­disch-Ost­in­di­en war, erhob die indo­ne­si­sche Staats­füh­rung unter Ver­weis auf die Geo­gra­phie und die vor­ko­lo­nia­le Zeit Anspruch auf den Ost­teil der Insel. Die indo­ne­si­schen Expan­si­ons­be­stre­bun­gen tru­gen zum Vique­que-Auf­stand bei, den die Por­tu­gie­sen bän­di­gen konnten.

Als 1974 die Nel­ken­re­vo­lu­ti­on, ein lin­ker Staatstreich, dem auto­ri­tä­ren Estado Novo (Neu­en Staat) des 1970 ver­stor­be­nen katho­lisch-kon­ser­va­ti­ven Staats­man­nes Antó­nio de Oli­vei­ra Sala­zar ein Ende berei­te­te, soll­te auch Ost­ti­mor in die Unab­hän­gig­keit ent­las­sen wer­den. Die Kom­mu­ni­sti­sche Par­tei Por­tu­gals, die unter Sala­zar ver­bo­ten war, hat­te bereits im Vor­feld mit Hil­fe der Sowjet­uni­on in den por­tu­gie­si­schen Kolo­nien desta­bi­li­sie­rend gewirkt und Auf­stän­de gegen Lis­sa­bon angezettelt.

In Ost­ti­mor kam es des­halb zu einem blu­ti­gen Bür­ger­krieg zwi­schen Kon­ser­va­ti­ven und Lin­ken. So wie Por­tu­gal zu einem mit Mos­kau ver­bün­de­ten sozia­li­sti­schen Staat gemacht wer­den soll­te, so soll­te es durch den Fren­te Revo­lu­ci­oná­ria de Timor-Leste Inde­pen­den­te FRETILIN (Revo­lu­tio­nä­re Front für die Unab­hän­gig­keit Ost­ti­mor) auch in Ost­ti­mor gesche­hen. Das ent­stan­de­ne Cha­os nütz­te Indo­ne­si­en und erober­te, von den USA gedul­det, 1975 Ost­ti­mor, das for­mal noch immer Por­tu­gie­sisch-Timor war. Das Vor­ge­hen der (mus­li­mi­schen) indo­ne­si­schen Trup­pen war dabei so grau­sam, daß 1975–1977 mehr als zehn Pro­zent der christ­li­chen Ost­ti­mo­re­sen getö­tet wer­den. Die Anne­xi­on des Lan­des durch Indo­ne­si­en wur­de aller­dings inter­na­tio­nal nicht anerkannt. 

Der Gegen­satz zur bru­ta­len mus­li­mi­schen Besat­zungs­macht stärk­te die Katho­li­zi­tät Osttimors.

Das Ende des Regimes von Suhar­to in Indo­ne­si­en, der 1966 mit Hil­fe der USA durch einen Putsch – zur Ein­däm­mung der kom­mu­ni­sti­schen Gefahr – an die Macht gelangt war, ver­lief 1998/​1999 gewalt­sam. Der kom­mu­ni­sti­sche FRETILIN führ­te nach 1975 sei­ner­seits einen grau­sa­men Kampf gegen katho­li­sche kon­ser­va­ti­ve Lands­leu­te, bei der auch die mar­xi­sti­sche Befrei­ungs­theo­lo­gie den Inter­es­sen der dahin­ter­ste­hen­den KPdSU zuspielte.

Nach dem Zusam­men­bruch des Ost­blocks und dem Ende der Sowjet­uni­on kam es zu einer Ent­span­nung, Der Anti­kom­mu­nis­mus wur­de im Westen für obso­let erklärt. Nun wur­den die im besetz­ten Ost­ti­mor began­ge­nen indo­ne­si­schen Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen bekannt und ent­setz­ten die Welt­öf­fent­lich­keit. Aller­dings war bereits 1988 erst­mals Ost­ti­mo­re­sen ermög­licht wor­den, vor dem Spe­cial Com­mit­tee on Deco­lo­nizati­on (Son­der­ko­mi­tee für die Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung) der UNO zu sprechen.

Die Fah­ne des seit 2002 selb­stän­di­gen Ost­ti­mor (ehe­mals Portugiesisch-Timor)

Bischof Belos Rolle im Unabhängigkeitsprozeß

An die­ser Stel­le trat Bischof Xime­nes Belo ins Ram­pen­licht. Er war im März 1988 zum Apo­sto­li­schen Admi­ni­stra­tor von Dili ernannt wor­den. Die 1940 errich­te­te Admi­ni­stra­tur, die bis dahin zum Bis­tum Macau gehört hat­te, umfaß­te ganz Ost­ti­mor und damals 80 Pro­zent der Bevöl­ke­rung. Bischof Belo war es, der 1989 mit Rücken­deckung von Johan­nes Paul II. den Vor­schlag mach­te, eine Volks­ab­stim­mung über die Unab­hän­gig­keit oder den Ver­bleib Ost­ti­mors bei Indo­ne­si­en abzu­hal­ten. Johan­nes Paul II. unter­stütz­te die katho­li­sche Bevöl­ke­rung der damals indo­ne­si­schen Pro­vinz durch sei­nen Besuch im Okto­ber 1989. Die Unab­hän­gig­keits­be­we­gung erhielt dadurch einen ent­schei­den­den Impuls. Im Zuge des Papst­be­suchs wur­de die Frei­heits­be­we­gung durch Trans­pa­ren­te erst­mals für die Welt­öf­fent­lich­keit sicht­bar. Indo­ne­si­en reagier­te dar­auf mit einer neu­en Wel­le der Gewalt und der staat­li­chen För­de­rung von Misch­ehen zwi­schen Osti­mo­re­sen und Indo­ne­si­ern und Anrei­zen für die Kon­ver­si­on zum Islam. Die Ost­ti­mo­re­sen ihrer­seits ver­such­ten durch zivi­len Unge­hor­sam die indo­ne­si­sche Regie­rung zu Ver­hand­lun­gen zu bewe­gen. Ein zen­tra­ler Wort­füh­rer war Bischof Belo.

1991 kam es zum San­ta-Cruz-Mas­sa­ker, bei dem rund 200 Ost­ti­mo­re­sen vom indo­ne­si­schen Mili­tär getö­tet wur­den, als es in die Men­ge schoß, die sich fried­lich zum Geden­ken an ein Opfer der Besat­zungs­macht ver­sam­melt hat­te. Das inter­na­tio­na­le Echo dar­auf war so groß, daß das Mas­sa­ker heu­te als Beginn vom Ende der indo­ne­si­schen Herr­schaft gilt. Im Westen, wo sich Por­tu­gal zum Für­spre­cher Ost­ti­mors mach­te, begann sich lang­sam die Mei­nung durch­zu­set­zen, die Ost­ti­mo­re­sen müß­ten geschützt und dem Zugriff Indo­ne­si­ens ent­zo­gen wer­den. Ent­schei­dend dafür, daß ein sol­cher Weg für mög­lich gehal­ten wird, war die im sel­ben Jahr erfolg­te Auf­lö­sung der Sowjet­uni­on, was das poli­ti­sche Gesamt­kli­ma grund­le­gend veränderte. 

Die west­li­che Staa­ten­welt blieb jedoch gespal­ten: Man­che zeig­ten auf­grund von Wirt­schafts­in­ter­es­sen wenig Ver­ständ­nis für die Unab­hän­gig­keits­be­stre­bun­gen, ande­re aus Furcht vor einem Domi­no­ef­fekt, soll­ten Staats­gren­zen ange­ta­stet wer­den. Als 1994 Kar­di­nal Jai­me Sin von Mani­la (Phil­ip­pi­nen) Ost­ti­mor besuch­te, kam es zu Mas­sen­kund­ge­bun­gen der Katho­li­ken für die Unab­hän­gig­keit. Durch die Beset­zung west­li­cher Bot­schaf­ten, dar­un­ter auch der öster­rei­chi­schen und nie­der­län­di­schen, mach­ten Ost­ti­mo­re­sen auf gedul­de­te Wei­se die west­li­che Öffent­lich­keit auf die Lage in ihrer Hei­mat auf­merk­sam. Eine Hosti­en­schän­dung durch einen indo­ne­si­schen Beam­ten brach­te schließ­lich das Faß zum Über­lau­fen. Aus fried­li­chen Demon­stra­tio­nen wur­den gewalt­tä­ti­ge, sodaß der indo­ne­si­sche Staat und das Mili­tär die Kon­trol­le über gan­ze Land­stri­che ver­lo­ren. 1996 setz­te die EU die Ost­ti­mor­fra­ge auf die Tages­ord­nung. Im sel­ben Jahr brach­te erst­mals eine indo­ne­si­sche Par­tei einen mög­li­chen Ver­zicht auf Ost­ti­mor zur Spra­che, wor­auf deren Par­tei­füh­rung ver­haf­tet wur­de. Eben­so noch im sel­ben Jahr wur­de den bei­den füh­ren­den Gestal­ten der ost­ti­mo­re­si­schen Unab­hän­gig­keits­be­we­gung, Bischof Car­los Xime­nes Belo und dem spä­te­ren Mini­ster­prä­si­den­ten und heu­ti­gen Staats­prä­si­den­ten José Ramos-Horta, der Frie­dens­no­bel­preis ver­lie­hen. Ein deut­li­cher Wink an Indo­ne­si­en. Bei ihrer Rück­kehr wur­den die bei­den Geehr­ten von einer gigan­ti­schen Men­schen­men­ge emp­fan­gen und gefeiert. 

1998 wur­den die inner­ti­mo­re­si­schen Kon­flik­te über­wun­den und eine Eini­gung der ost­ti­mo­re­si­schen Par­tei­en auf eine Zusam­men­ar­beit erzielt. Kurz dar­auf dank­te Indo­ne­si­ens Macht­ha­ber Suhar­to ab. Das hat­te zwar wenig mit Ost­ti­mor zu tun, öff­ne­te der dor­ti­gen Frei­heits­be­we­gung aber bis­her ver­schlos­se­ne Türen. Wäh­rend Indo­ne­si­en nun dem Land eine Auto­no­mie anbot, um es im Staats­ver­band hal­ten zu kön­nen, dräng­ten füh­ren­de Ost­ti­mo­re­sen auf einen Volks­ent­scheid zur Los­tren­nung und Por­tu­gal sam­mel­te auf diplo­ma­ti­scher Ebe­ne Unter­stüt­zung für die Abhal­tung eines Refe­ren­dums. Als die USA schließ­lich ihre Ein­wil­li­gung erteil­ten, kam auf Ver­mitt­lung der UNO ein Fahr­plan zustan­de, der vom Welt­si­cher­heits­rat abge­seg­net wurde. 

Am 30. August stimm­ten 78,5 Pro­zent der Wahl­be­rech­tig­ten für die Unab­hän­gig­keit Ost­ti­mors. Nur mehr 21 Pro­zent woll­ten sich mit einer Auto­no­mie inner­halb Indo­ne­si­ens begnügen. 

Indo­ne­si­sche Ter­ror­grup­pen reagier­ten mit bru­ta­ler Gewalt. Sie woll­ten ein Cha­os erzeu­gen, das Indo­ne­si­en und sei­nem Mili­tär den Ver­bleib als „Schutz- und Ord­nungs­macht“ ermög­li­chen soll­te. Jeder vier­te Ost­ti­mo­re­se wur­de nach West­ti­mor depor­tiert, ein wei­te­res Vier­tel befand sich inner­halb Ost­ti­mors auf der Flucht. Vier Fünf­tel der Schu­len und fast alle medi­zi­ni­schen Ein­rich­tun­gen wur­den zer­stört. Welt­bank und Inter­na­tio­na­ler Wäh­rungs­fonds, bei­de von den USA kon­trol­liert, blockier­ten dar­auf die Kre­di­te für Indo­ne­si­en und zwan­gen Jakar­ta zum Einlenken.

Es wur­de eine UNO-Frie­dens­trup­pe in Ost­ti­mor sta­tio­niert und eine drei­jäh­ri­ge Über­gangs­re­gie­rung unter UNO-Kon­trol­le instal­liert. Zugleich hat­te sich das indo­ne­si­sche Mili­tär aus Ost­ti­mor zurück­zu­zie­hen. So ende­te am 1. Okto­ber 1999 nach 24 Jah­ren die indo­ne­si­sche Besat­zung. 2001 wur­de eine ver­fas­sungs­ge­ben­de Ver­samm­lung gewählt, 2002 die Ver­fas­sung Ost­ti­mors beschlos­sen und das erste Staats­ober­haupt gewählt. Am 20. Mai 2002 wur­de Ost­ti­mor ein selb­stän­di­ger, inter­na­tio­nal aner­kann­ter Staat.

Der Unab­hän­gig­keits- und Frie­dens­pro­zeß wur­de auf­grund sei­ner mora­li­sche Auto­ri­tät maß­geb­lich von Bischof Belo mit­be­stimmt. Sein Leben war davon geprägt.

Das Leben von Bischof Ximenes Belo

1948 im Gebiet von Bacau als Sohn eines Leh­rers gebo­ren, ver­lor er bereits im Klein­kind­al­ter sei­nen Vater. Belo trat 1962 in das vom Sale­sia­ner­or­den geführ­te Klei­ne Semi­nar bei Dili ein. 1968 konn­te er mit Hil­fe des Ordens, dem er sich spä­ter anschloß, in Lis­sa­bon stu­die­ren und als Leh­rer nach Por­tu­gie­sisch-Ost­ti­mor zurück­keh­ren. Nach der indo­ne­si­schen Inva­si­on ging Belo zunächst in das por­tu­gie­si­sche Macau und nahm dann das Theo­lo­gie­stu­di­um in Lis­sa­bon und Rom auf. 1980 wur­de er in der Ewi­gen Stadt zum Prie­ster geweiht. 1981 kehr­te er nach Ost­ti­mor zurück, wo er die grau­sa­me indo­ne­si­sche Besat­zungs­herr­schaft erleb­te. Belo wur­de Direk­tor einer Sale­sia­n­er­schu­le, aber schon 1983 von den indo­ne­si­schen Behör­den zur per­so­na non gra­ta erklärt. Was ihn zu einer Ent­schul­di­gung zwang und für ihn einen Maul­korb bedeu­te­te, woll­te er nicht des Lan­des ver­wie­sen werden.

1988 erfolg­te sei­ne Ernen­nung zum Apo­sto­li­schen Admi­ni­stra­tor von Dili und damit zum Ober­haupt der katho­li­schen Kir­che in Ost­ti­mor. Belo nahm zu die­sem Zweck die indo­ne­si­sche Staats­bür­ger­schaft an. Die Ernen­nung war vom Apo­sto­li­schen Nun­ti­us in Indo­ne­si­en vor­be­rei­tet wor­den und soll­te eigent­lich ganz im Sin­ne der indo­ne­si­schen Regie­rung zur Beru­hi­gung Ost­ti­mors bei­tra­gen. Das Gegen­teil war jedoch der Fall. Weni­ge Mona­te nach sei­ner Amts­ein­füh­rung pran­ger­te Bischof Belo in einer Pre­digt in der Kathe­dral­kir­che die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen der indo­ne­si­schen Besat­zungs­macht an. Die­se reagier­te gereizt und schränk­te Belos Hand­lungs­spiel­raum ein. 1989 folg­te Belos Brief an den UNO-Gene­ral­se­kre­tär Javier Pérez de Cuél­lar mit dem Vor­schlag, eine Volks­ab­stim­mung über die Zukunft Ost­ti­mors abzu­hal­ten. 1996 wur­de ihm der Frie­dens­no­bel­preis ver­lie­hen. Ein indo­ne­si­scher Mili­tär ver­üb­te 1999 einen Mord­an­schlag auf ihn, bei dem er ver­letzt wur­de. Bischof Xime­nes Belo war „der Held Ostimors“.

Der Sale­sia­ner­or­den ver­brei­te­te den Comic „Ein Sale­sia­ner für den Frie­den“, das den Frei­dens­no­bel­preis­trä­ger mit Kin­dern zeigt, eine Begeg­nung, die nicht allen Jun­gen gut bekam.

Der abrupte Abgang

Als Ost­ti­mor 2002 unab­hän­gig wur­de, trat Bischof Belo, damals erst 54 Jah­re alt, über­ra­schend zurück. Als Grund wur­de die „Streß­si­tua­ti­on“ genannt, der er so lan­ge aus­ge­setzt war. Belo zog sich aus der Öffent­lich­keit zurück, ver­ließ Ost­ti­mor und begab sich zunächst wegen „kör­per­li­cher und gei­sti­ger Müdig­keit“ zur Kur nach Por­tu­gal. Daß er nicht wie­der­keh­ren wür­de, wur­de klar, als Johan­nes Paul II. einen Nach­fol­ger als Bischof von Dili ernann­te. Dili war inzwi­schen zur Diö­ze­se erho­ben und in Ost­ti­mor ein zwei­tes Bis­tum errich­tet wor­den. Seit 2019 ist Dili ein Erz­bis­tum und der Erz­bi­schof zugleich Metro­po­lit der Kir­chen­pro­vinz Dili mit zwei Suffraganen.

Nach­dem Belo fast zwei Jah­re ganz von der Bild­flä­che ver­schwun­den war, wur­de er im Juni 2004 zum „Hilfs­prie­ster“ in Mapu­to in Mosam­bik, das eben­falls ehe­mals eine por­tu­gie­si­sche Kolo­nie war. Der unge­wöhn­li­che Weg des welt­be­kann­ten Bischofs blieb weit­ge­hend, aber nicht ganz unbe­merkt. UCA News frag­te bei Belo nach, der sei­nen Wer­de­gang „von oben nach unten“ als Akt der Demut dar­stell­te, den er in Rück­spra­che mit der Kon­gre­ga­ti­on für die Evan­ge­li­sie­rung der Völ­ker und den Obe­ren sei­nes Sale­sia­ner­or­dens gewählt habe. Ost­ti­mor besuch­te der Bischof nur mehr sel­ten, zuletzt zu Weih­nach­ten 2018.

In Wirk­lich­keit war Belos fak­ti­sche Degra­die­rung und Ent­sen­dung in die äußer­ste Mis­si­on eine Bestra­fung. Der Vati­kan war offen­bar bereits 2002 über Vor­wür­fe des homo­se­xu­el­len Miß­brauchs von Min­der­jäh­ri­gen infor­miert und hat­te dar­aus Kon­se­quen­zen gezo­gen. Ein offe­nes Geheim­nis ist, daß der Hei­li­ge Stuhl in jenen heik­len Jah­ren, in denen Ost­ti­mor nach so vie­len Jah­ren der Gewalt und der Unter­drückung in die Selb­stän­dig­keit über­ge­führt wer­den konn­te, die­sen wich­ti­gen Pro­zeß nicht gefähr­den woll­te. Das wäre gesche­hen, wenn der strah­len­de „Held Ost­ti­mors“, eine der wich­tig­sten Inte­gra­ti­ons­fi­gu­ren, als homo­se­xu­el­ler Miß­brauchs­tä­ter ent­larvt wor­den wäre.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Reli­gi­on digital/​Wikicommons/​Boletin sale­sia­no (Screen­shots)

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