Eine Meeresbucht
Getty Images/Michael Szonyi
Eindringliche Warnung

Letzte Chance für Weltklima

Die nächsten Jahre sind die letzte Chance, in Sachen Klimawandel drohende katastrophale Entwicklungen zu verhindern. Zu diesem Schluss kommt der Sonderbericht des UNO-Weltklimarates (IPCC). Macht die Politik weltweit nicht dramatische Schritte, drohe etwa das Aus für Korallen und viel mehr Naturkatastrophen als schon jetzt.

Das globale Klima wird sich im Zeitraum von 2030 bis 2052 dem UNO-Bericht zufolge ohne radikale Gegenmaßnahmen um 1,5 Grad Celsius erwärmen. Um diesen Wert nicht zu überschreiten, müsse bis 2050 der Anteil erneuerbarer Energie bei 70 bis 85 Prozent liegen, hieß es in dem in der Nacht auf Montag veröffentlichten IPCC-Sonderbericht.

Der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) müsse bis 2030 um rund 45 Prozent gegenüber dem Wert von 2010 reduziert werden. Zur Jahrhundertmitte müsse der Ausstoß unter dem Strich bei null liegen. Gelinge das nicht, müsse der Atmosphäre CO2 entzogen werden.

Grundlage für politische Entscheidungen

Der Bericht gilt als maßgebliche wissenschaftliche Grundlage für politische Entscheidungen, wie das Klimaabkommen von Paris umgesetzt werden soll. Die internationale Gemeinschaft hatte sich 2015 in der französischen Hauptstadt darauf geeinigt, die Erderwärmung unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu halten. US-Präsident Donald Trump hat den Rückzug seines Landes aus dem Abkommen beschlossen.

Intergovernmental Panel on Climate Change in Incheon, Südkorea
AP/Ahn Young-joon
Die Schlussfolgerungen der Fachleute aus 6.000 Klimastudien sind eindeutig. Die Politik ist nun mehr gefordert denn je.

„Der Sonderbericht sendet ein klares Signal an die Politik: jetzt handeln, es ist fast schon zu spät“, sagte Niklas Höhne von der niederländischen Universität Wageningen. „Vielen in der Politik war vielleicht noch nicht klar, worauf sie sich eingelassen haben, als sie 2015 in Paris dem Ziel zugestimmt haben, den globalen Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.“ Neben der EU reagierte auch die heimische Politik: Bundespräsident Alexander Van der Bellen betonte, es müsse mehr getan werden als bisher – und die Opposition nahm Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) in die Pflicht.

Vergleich der Folgen

Das Papier zeigt einige klare Unterschiede zwischen einer Erwärmung von 1,5 und einer von zwei Grad. Der globale Meeresspiegel würde bis zum Ende dieses Jahrhunderts bei 1,5 Grad Erwärmung um zehn Zentimeter weniger steigen als bei zwei Grad. „Das würde beinhalten, dass zehn Millionen Menschen weniger den Risiken ausgesetzt wären wie der Versalzung von Äckern oder Überschwemmungen durch Stürme in küstennahen Gebieten“, sagt IPCC-Autor Wolfgang Cramer. „Das Nil-Delta und andere Flussdeltas erleben schon jetzt Verluste an Landfläche durch eindringendes Meerwasser.“

Einen eisfreien Arktischen Ozean im Sommer gibt es laut IPCC bei 1,5 Grad wahrscheinlich einmal pro Jahrhundert, bei zwei Grad vermutlich „mindestens einmal pro Jahrzehnt“. Auch warnen die Autoren, dass etwa 70 bis 90 Prozent der Korallenriffe verschwinden, wenn es um 1,5 Grad wärmer wird als vor der Industrialisierung. „Mit zwei Grad wären praktisch alle verloren.“ Bei zwei Grad Erwärmung könnten deutlich weniger Fische gefangen werden.

Derzeit auf Kurs zu vier Grad Erwärmung

Einig sind sich die meisten Forscherinnen und Forscher, dass die Welt ohne zusätzliche Anstrengungen auf drei, vier Grad Erwärmung zusteuert. Im Klimaabkommen von Paris hatten die Länder eine Obergrenze von deutlich unter zwei Grad Erwärmung beschlossen. Es sollte auf Drängen kleiner Inselstaaten zudem versucht werden, sie bei 1,5 Grad zu stoppen.

6.000 Studien analysiert

Der Weltklimarat wurde damit beauftragt, einen Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel zu erstellen. Er analysierte daraufhin über 6.000 Studien. Die Zusammenfassung des neuen Berichts wurde in der vergangenen Woche mit Vertretern von 195 Staaten abgestimmt, sodass diese nun ein politisches Gewicht hat. Die Daten sind auch Grundlage für die Weltklimakonferenz im Dezember im polnischen Katowice. Der globale Ausstoß etwa von Kohlendioxid muss laut dem IPCC-Bericht für das 1,5-Grad-Ziel von 2010 bis 2030 um 45 Prozent fallen und im Jahr 2050 null erreichen.

Nach dem neuen IPCC-Bericht kann der Mensch im Vergleich zu älteren Berichten möglicherweise etwas mehr CO2 ausstoßen, um dennoch dass 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Für den Direktor des deutschen Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, ist das kein Grund zur Entspannung. „Gegenüber früheren Abschätzungen des IPCC haben wir höchstens einen Zeitgewinn von sieben Jahren.“ Der sei aber „schon längst verfrühstückt“ angesichts der geplanten und existierenden Kohlekraftwerke, die oft noch Jahrzehnte CO2 ausstießen.

„Es gibt zwar keinen Grund zum Fatalismus, aber es gibt einen gewaltigen Handlungsdruck. Wenn wir global nicht bald aus der Kohle aussteigen, schlagen wir die Tür zum 1,5-Grad-Ziel ein für alle Mal zu.“

Was jeder und jede tun kann

Es gibt viele kleine Schritte, die jeder und jede auf einem möglichen Weg aus der Klimakrise gehen kann. Neben dem Verzicht auf Flugreisen und dem Umstieg auf erneuerbare Energien spielt auch der Fleischkonsum eine große Rolle – mehr dazu in Kleine Schritte gegen die Klimakrise.

Warnung vor Geoengineering

Der Bericht zeigt vor allem Szenarien auf, die nicht zu einem Overshoot führen, einer kurzzeitigen Überschreitung des 1,5-Grad-Ziels. Beim Overshoot müsste der Mensch später mehr CO2 aus der Atmosphäre ziehen, als er produziert. Das kann durch Geoengineering geschehen. Die Techniken dazu sind im großen Maßstab jedoch noch ungeprüft. Einige könnten zudem große Risiken bergen, warnen die IPCC-Autoren.

„Dem Thema Geoengineering wird im IPCC-Report zum Glück eine deutliche Absage erteilt“, sagte die Referentin für Internationale Klimapolitik bei der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung, Linda Schneider, die an den IPCC-Beratungen im südkoreanischen Incheon teilgenommen hatte. Dagegen gebe es die Möglichkeiten der CO2-Bindung durch die Wiederherstellung von natürlichen Ökosystemen, „vor allem Wäldern, die der Bericht wegen ihrer Vorteile für Biodiversität, Bodenqualität und lokale Ernährungssicherheit“ als sehr positiv bewerte, sagte Lindner.

Appell aus Brüssel

Nach den eindringlichen Warnungen des Weltklimarates forderte die EU-Kommission weltweit mehr Anstrengungen. „Die Welt muss den gemeinsamen Ehrgeiz erhöhen“, erklärte EU-Klimakommissar Miguel Arias Canete am Montag in Brüssel. Der EU-Umweltministerrat berät am Dienstag in Luxemburg über die europäischen Ziele für die Reduzierung von Treibhausgasen. Ziel ist eine gemeinsame Position vor der Weltklimakonferenz Anfang Dezember in Polen.