Reinhold Schneider – ein christlicher Denker ****

In den dunklen Jahren der Nazi-Herrschaft wurde in Deutschland heimlich ein Gedicht weitergegeben, das so beginnt: „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob[1] unseren Häuptern aufzuhalten…“. Es stammt von Reinhold Schneider. Er hat durch illegale Schriften im 3. Reich viele Menschen getröstet und gestärkt. Inmitten aller Zerstörung hat er zum Glauben an Christus und sein kommendes Reich aufgerufen.

Von Glaubensferne zu einer bewussten Entscheidung

Schneider wurde 1903 in Baden-Baden geboren. Er wurde katholisch erzogen, stand aber zunächst dem christlichen Glauben fern. Er war ein schwermütiger, komplizierter Mensch. Er litt unter der Not in der Welt. So zog ihn zunächst der Pessimismus Schopenhauers und anderer Philosophen an.

Ab 1928 war Schneider als freier Schriftsteller tätig. Er schrieb Aufsätze, Bücher, Gedichte und Dramen. Zunächst wohnte er in Potsdam. Ab 1938 bis zu seinem Tod lebte er in Freiburg. Geheiratet hat er nicht. [2] Eine Jugendfreundin begleitete ihn als Lebensgefährtin.

Schneider machte häufig Reisen z.B. nach Portugal, Spanien, Italien, England. Dabei begegnete er in der Geschichte dieser Völker dem christlichen Glauben. Man kann sagen: Gott redete dadurch zu ihm und zog ihn zu sich. So wie Gott auch zu jedem von uns durch Erlebnisse, Bücher, Menschen, Ereignisse spricht und uns dadurch zu sich ziehen will. Jedenfalls entschied sich Schneider 1937 bewusst für den christlichen Glauben in der Form der katholischen Kirche.

Schneider fand in seinem Pessimismus einen festen Halt an Gott und seinen Ordnungen. Auch wenn das Böse in dieser Welt oft siegt, so wird doch einmal Christus alles Böse besiegen. Schneider erlebte, was der Kirchenvater Augustin so ausdrückt: „Du, Gott, hast uns zu dir hin geschaffen. Und unruhig ist unser Herz, bis es seine Ruhe in dir gefunden hat“.

Geschichte als „Gericht“

Schneider geht es in allen seinen Werken um die Frage: Haben Könige und Völker den Ruf Gottes zum Glauben und zum Leben in Gottes Ordnungen gehört oder nicht? Wo haben Herrscher auf möglichst gewaltlose Weise für Glauben, Frieden und Wohlergehen ihrer Völker gesorgt, und wo haben sie in Auflehnung gegen Gott mit Macht und Gewalt Kriege und Zerstörung herbeigeführt? Geschichte ist ein Kampf zwischen Gott und Satan (Augustin). Von daher schrieb Schneider seine Bücher z.B. über Philipp II. von Spanien, die Hohenzollern und Elisabeth von England.

Schneiders literarisches wie kulturphilosophisches Werk ist von christlich-humanistischer Tradition geprägt. Seine leidenschaftliche Formkraft wandte sich immer wieder der Geschichte zu, die er als Heils- und Unheilsgeschehen, als „Gericht“ begriff. Die tragische Auseinandersetzung zwischen Glauben und Unglauben, Gewissen und Macht, Staat und Kirche und der innere Kampf in der Seele der Täter sind die Themen seiner Erzählungen, Dramen und Abhandlungen. Traditionsbewusstsein verbindet sich bei Schneider mit einem unbestechlichen Blick für die geistig-politische Zeitproblematik.

Unter Hitler wurde Schneider mit einem Schreibverbot belegt[3]. Aber in geheim gedruckten oder handgeschriebenen Gedichten und Erzählungen kritisierte er die Nazidiktatur. Mit Werner Bergengruen[4] u. a. stand Schneider im Zentrum des katholischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. In der Erzählung „Las Casas vor Karl V.“ protestierte er verschlüsselt gegen die Judenverfolgung. Sein Gedicht „Der Antichrist“ meint Hitler.

1944 wurde Schneider wegen Hochverrats angeklagt. Mit knapper Not entging er infolge des baldigen Kriegsendes dem Tod. [5] Nach 1945 bekam Schneider viele Ehrungen. Er starb 1958.

Sind Schneiders Fragen nicht auch heute sehr aktuell? Ist Machtgebrauch, etwa im Krieg, erlaubt oder nicht? Und wenn ja, wann? Und hat Schneider im Blick auf Hitler und andere nicht recht, wenn er mit der Bibel sagt: „Wenn Gott nicht das Haus baut, so arbeiten die Bauleute daran umsonst“ (Psalm 127,1)?

Hans Misdorf


[1] ob: (hier) veraltet für oberhalb, über
[2] Er konnte es wohl nicht.
[3] jmdn. / etw. mit etwas belegen: bewirken, dass etwas (meist Unangenehmes) für jemanden / etwas zur Pflicht wird
[4] Das Werk des 1892 in Riga geborenen Schriftstellers behandelt häufig historische Stoffe mit religiöser Thematik und wird gekennzeichnet durch ausgewogene Erzählkunst, Geschlossenheit der inneren und äußeren Form sowie Fabulierfreude.
[5] Schneider war ein gütiger, bescheidener Mensch. In seiner Friedensliebe wandte er sich gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands nach 1945. Manche tadelten ihn deshalb als „Kommunisten“.