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Der türkische Präsident Recip Tayyip Erdogan in der Hagia Sophia

© Murat Cetinmuhurdar/Reuters

Update

Erdogan gibt dem Westen eine „doppelte Ohrfeige“: Hunderttausende bei Freitagsgebet in der Hagia Sophia

Die Umwandlung der Hagia Sophia und der knapp verhinderte Militärkonflikt mit Griechenland zeigen: Die nationalistischen Achsen verschieben sich in Ankara.

Die Türkei hat die Wiedereröffnung der Hagia Sophia in Istanbul am Freitag als nationalistische Siegesfeier zelebriert. Wie als Zeichen einer Eroberung wurden vor dem 1500 Jahre alten Gebäude in den vergangenen Tagen türkische Fahnen gehisst.

„Du bist seit ewig unser, und wir sind dein“, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan in einer Videobotschaft über die Hagia Sophia und blendete dabei die tausendjährige Vorgeschichte des Baus als Kirche einfach aus. Die Umwandlung der Hagia Sophia wird damit ganz bewusst zu einem Symbol für die Abwendung der Türkei vom Westen stilisiert.

Ein mit osmanischer Nostalgie unterlegter Nationalismus wird mehr und mehr zum tragenden Prinzip der Politik. Auch in den neuen Spannungen mit Griechenland in der Ägäis und im Libyen-Konflikt kommt die nationalistische Achsenverschiebung zum Ausdruck. Die Türkei hat keine westlichen Verbündeten mehr – und ist stolz darauf.

Mit der Umwandlung der Hagia Sophia und der Entsendung eines militärisch eskortierten seismischen Forschungsschiffes in die Gewässer um die griechische Insel Kastellorizo verpasse die Türkei dem Nachbarn Griechenland eine „doppelte Ohrfeige“, titelte die Erdogan-freundliche Zeitung „Türkiye“ am Donnerstag.

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Das türkische Forschungsschiff „Oruc Reis“ wird in der Ägäis von Kriegsschiffen, Kampfflugzeugen und Drohnen begleitet. Griechenland hat als Reaktion seine eigenen Marineverbände in Alarmbereitschaft versetzt und fordert EU-Sanktionen gegen Ankara, die derzeit ausgearbeitet werden. Schon in wenigen Wochen könnten die Strafmaßnahmen in Kraft gesetzt werden, wenn die Spannungen weiter anhalten.

Darauf deutet derzeit alles hin. Die türkischen Behörden erklären die Umwandlung der Hagia Sophia zum Triumph des Islam und zum Sieg über den Westen. Der Istanbuler Gouverneur Ali Yerlikaya erinnerte an die Einnahme der Stadt durch die Osmanen im 15. Jahrhundert und erklärte, er gedenke in Dankbarkeit dem damaligen Sultan Mehmet II, der „Istanbul und die Hagia Sophia für unsere Zivilisation erobert“ habe. Alle Muslime seien aufgeregt vor Vorfreude.

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Die Kirche Hagia Sophia wurde 1453 zur Moschee erklärt

Mehmet II hatte die Hagia Sophia, die im sechsten Jahrhundert als Reichskirche der Byzantiner gebaut wurde, bei der Eroberung des damaligen Konstantinopel im Jahr 1453 zur Moschee erklärt. In den 1930er Jahren wurde sie in ein Museum umgewandelt, doch Erdogan ordnete nach einem Gerichtsurteil vor zwei Wochen die Rückumwandlung in eine Moschee an. Christliche Mosaiken sollen während der islamischen Gebetszeiten mit Vorhängen verhüllt werden.

[Mehr zum Thema: Erdogan zelebriert die Einweihung – Hunderttausende begleiten erstes Freitagsgebet in der Hagia Sophia]

Am ersten Freitagsgebet in der Hagia Sophia seit mehr als 80 Jahren haben in dem Gebäude selbst nur Erdogan und einige hundert geladene Gäste teilgenommen. Auf Plätzen in der Umgebung der ehemaligen Kirche waren jedoch zehntausende Gläubige anwesend. Hauptverkehrsstraßen in der Istanbuler Altstadt wurden gesperrt, tausende Polizisten aufgeboten. Wegen des Massenansturms bleibt die Hagia Sophia auch am Freitagnachmittag, am Abend und in der Nacht zum Samstag für Gebete geöffnet.

Hagia Sophia als Symbol: Erdogan sieht Türkei als regionale Führungsmacht

Dass die Wiedereröffnung der „Hagia-Sophia-Moschee“ als Staatsakt und nationalistisches Hochamt inszeniert wurde, ist Ausdruck eines grundlegend veränderten Politikverständnisses in Ankara. Unter Erdogan sieht sich die Türkei in der Tradition des Osmanenreiches als regionale Führungsmacht, die ihre eigenen Interessen verfolgt und mit den Großmächten auf Augenhöhe verhandelt.

Das Land sieht sich nicht mehr als festen Teil des Westens, sondern als Akteur, der je nach Lage mit Europa, den USA, Russland oder China zusammenarbeitet. Das türkische Engagement in Syrien und in Libyen sowie die aggressive Politik im Streit um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer sind Folgen dieser Achsenverschiebung.

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Bei chronischen außenpolitischen Problemen ist die Türkei heute deshalb weniger kompromissbereit als noch vor einigen Jahren. Im Streit mit Griechenland um Gebietsansprüche in der Ägäis setzte Ankara lange auf eine Politik der Deeskalation und der vertrauensbildenden Maßnahmen.

Die Türkei will setzt ihre Interessen mit der Brechstange durch. Die Kursänderung hat die Türkei international weitgehend isoliert; außer dem kleinen Katar und Aserbaidschan sind keine Verbündeten mehr übrig. Doch das scheint Ankara nicht zu stören.

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