Die Staatsanwaltschaft Köln hat ein zweites förmliches Ermittlungsverfahren gegen den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki eröffnet. Wie die Behörde am Mittwoch WELT mitteilte, sieht sie einen Anfangsverdacht auf die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung des Kardinals über den Fall des Pfarrers D. Es gebe „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat nach § 156 StGB“, hieß es. Vor zwei Wochen hatte die Staatsanwaltschaft bereits wegen einer anderen Aussage Woelkis Ermittlungen aufgenommen. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft.
Das neue Verfahren bezieht sich auf den Fall des Pfarrers D. Der Geistliche soll im Jahr 2001 gemeinsam mit einem 16 Jahre alten Prostituierten masturbiert haben, er wurde dafür vom Erzbistum Köln ermahnt. In den Jahren danach gingen mehrfach weitere Vorwürfe gegen D. im Erzbistum ein. Sie bezogen sich meist auf die Zeit vor 2001. Darin ging es teilweise auch um mutmaßlich sexuell motivierte Handlungen vor Minderjährigen, etwa das gemeinsame Anschauen von Pornos unter Alkoholeinfluss. Im Jahr 2017 beförderte Woelki D. zum stellvertretenden Stadtdechanten.
Zur Frage, inwieweit er da bereits über dessen Vorgeschichte im Bilde war, erklärte Woelki im Rahmen eines presserechtlichen Verfahrens gegen die Axel Springer SE (zu der auch WELT gehört) am 6. Mai 2021 an Eides statt: „Ich hatte zu diesem Vorgang davon gehört, dass Pfarrer D. im Jahr 2001, also 16 Jahre vor der Ernennungsentscheidung, einen Kontakt zu einem Prostituierten gehabt haben soll. Es gab auch weitere Gerüchte, die sich um den Pfarrer rankten. Auf mein Nachfragen bei den für die Ernennung des Pfarrers werbenden Funktionsträgern wurde mir versichert, dass sich keines dieser Gerüchte je bestätigt hätte.“
Man habe ihm, Woelki, gesagt, es liege nichts Konkretes gegen D. vor und dieser mache gute Arbeit. „Mir war zum Zeitpunkt der Ernennungsentscheidung im Jahr 2017 die Personalakte des Pfarrers D. nicht bekannt. Ich habe mir diese nicht vorlegen lassen, da es üblich war und ist, dass die Akten in der Personalabteilung geführt und durch diese bewertet werden.“
„Wenn er wieder anzüglich wurde“
In der vergangenen Woche dagegen hatte die langjährige Sekretärin von Woelkis Vorgänger Joachim Meisner vor dem Kölner Landgericht eine Aussage gemacht, die Zweifel an Woelkis Darstellung weckt. Die 72-Jährige hatte angegeben, sie habe Woelki schon zu dessen Zeit als Kölner Weihbischof (bis 2011) telefonisch über mutmaßliches Fehlverhalten von D. informiert.
Sie habe Woelki berichtet, dass D. immer wieder zudringlich gegenüber Jugendlichen werde. Bei einer Fahrt nach Rom habe D. mit einer Gruppe von Messdienern „so Unterhosen gekauft, wo ein Penis und alles drauf war“. Er gehe auch mit Messdienern in die Sauna, das habe D. ihr selbst gesagt. Irgendwann sei sie dazu übergegangen, D. auf Reisen zu begleiten, „wenn er dann wieder etwas anzüglich wurde bei den Jugendlichen, dass ich ihm dann mahnend was sagen konnte“.
Woelkis eidesstattliche Versicherung warf schon länger Fragen auf. Wie WELT AM SONNTAG im September berichtete, erhielt Woelki bereits 2010, ebenfalls in seiner Zeit als Weihbischof, ein anonymes Schreiben, das Vorwürfe gegen D. enthielt. 2015 leitete das Erzbistum sogar ein offizielles Leitlinienverfahren ein, in dem D. auf Woelkis Anweisung als „Beschuldigter“ gehört wurde. D. bestritt alle Vorwürfe, Konsequenzen zog man trotzdem: D. sagte zu, sich künftig aus der Kinder- und Jugendarbeit herauszuhalten.