Das Anthropozän beginnt mit der Eroberung Amerikas

Darstellung von De Bry in Brevísima von De las Casas. Bild: public domain

Die Kleine Eiszeit ist nach einer Studie Folge der europäischen Invasion, durch die 90 Prozent der Indianer starben

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Die Eroberung Amerikas durch die europäischen Invasoren mit ihrer überlegenen Waffentechnik, ihrer Skrupellosigkeit und vermeintlichen rassischen Überlegenheit der christlich-abendländischen Tradition war ein regelrechter Völkermord. Die Indianer wurden vertrieben, getötet, versklavt und malträtiert, viele starben an Hunger und vor allem auch an den Seuchen, die die Eroberer wie Pocken oder Masern mit ins Land brachten. Mit der Eroberung blieb von der Bevölkerung der präkolumbianischen Zeit nur noch ein Bruchteil übrig.

Geografen des University College London und der University of Leeds sind nun einer interessanten Verbindung nachgegangen und versuchen zu zeigen, dass das Massensterben der amerikanischen Bevölkerung ein Auslöser der Kleinen Eiszeit gewesen sein könnte, die vom 16. Jahrhundert und bis Mitte des 19. Jahrhunderts anhielt. Das wäre auch ein Beleg dafür, dass die Menschen schon vor dem Anthropozän das Klima beeinflusst haben. Allerdings gibt es Hinweise, dass die Kleine Eiszeit früher begonnen hat, vielleicht bereits im 13. Jahrhundert. Allerdings nahm die Kälte im 16. und 17. Jahrhundert zu.

Neu ist die These nicht. Der Klimatologe William Ruddiman hatte bereits in einer Studie aus dem Jahr 2003, die in der Zeitschrift Climatic Change erschienen ist, darauf hingewiesen, dass die Pest, die zu einem teils atarken Bevölkerungsrückgang in Europa, Ostasien und im Nahen Osten geführt hat, einen Kühlungseffekt verursacht haben könnte. Weil die Bevölkerung ausstarb, wurden Ländereien weniger bewirtschaftet, was zu einer Rückkehr des Waldes führte. Dieser entzog der Atmosphäre mehr CO2, was zur Kühlung und damit zu einer Abkühlung des Klimas geführt haben könnte.

Dabei wies er auch daraufhin, dass die vorübergehende Entvölkerung von Süd- und Nordamerika ebenfalls eine Ausbreitung der Wälder und damit sinkende CO2-Emissionen verursacht haben könnte, die zumindest mit zur Kleinen Eiszeit beigetragen haben könnte. Für Ruddiman setzt die Eiszeit 1300 ein und reicht bis 1900. Für ihn setzt die anthropogene Beeinflussung des Klimas bereits vor 8000 Jahren mit der Ausbreitung der Landwirtschaft, und der Rodung der Wälder und vor 5000 Jahren mit der Reisbewässerung an.

Das "Große Sterben" und die Ausbreitung der Wälder

In der neuen Studie gehen die Wissenschaftler nach Bewertung zahlreicher Studien von einer präkolumbianischen Bevölkerung in Nord- und Südamerika von etwa 60 Millionen Indianern aus (44-78 Millionen). Pro Kopf seien 1.04 Hektar Land gebraucht worden, insgesamt wurden damit 62 Millionen Hektar v.a. landwirtschaftlich genutzt, in Teilen Mittel- und Südamerikas intensiv. Die landwirtschaftliche Nutzung war weitverbreitet, auch in Amazonien. Mit der Eroberung starben im Laufe von 100 Jahren 90 Prozent der einheimischen Bevölkerung aus (Great Dying).

Das habe zur Wiederbewaldung von mehr als 55 Millionen Hektar an verlassenem Land geführt, nur noch 6 Millionen Hektar wurden landwirtschaftlich genutzt. Das soll dazu geführt haben, dass die CO2-Konzentration dadurch um 3,5 ppm, zusammen mit Entwicklungen im Rest der Welt um insgesamt 5 ppm zurückgegangen ist und nach 1600 eine Abkühlung stattgefunden hat. Messungen aus Bohrkernen aus antarktischem Eis haben ergeben, dass ab 1500 die CO2-Konzentration zurückgegangen ist, am stärksten um 1600 herum. Zuvor war im 15. Jahrhundert die CO2-Aufnahme stark zurückgegangen, während logischerweise die CO2-Emissionen angestiegen sind. Zum Vergleich: In den letzten Jahren nahm die CO2-Konzentration jährlich um mehr als 2 ppm zu.

Nach den Wissenschaftlern lassen sich Klimaschwankungen, vulkanische Aktivitäten und Änderungen der Sonneneinstrahlung ausschließen. Die Menschen in der präkolumbianischen Zeit haben bereits Brandrodungen durchgeführt. Deren Rückgang könnte mit der Entvölkerung zu tun haben, mit der sich feuchtere Wälder ausbreiten konnten, die auch weniger brandanfällig sind. Wenn große Landflächen wieder mit Wald bedeckt werden, ist es auffällig, dass die CO2-Aufnahme zunächst in den ersten 20 Jahren schnell ansteigt, um sich dann zu verlangsamen. Nach der Global Charcoal Database lässt sich im 16. Jahrhundert ein Rückgang der Verbrennung von Biomasse erkennen, vor allem in Mittel- und Lateinamerika, das zumindest teilweise auf den Bevölkerungsrückgang zurückzuführen ist. Insgesamt schätzen die Wissenschaftler, dass 35-50 Prozent der gestiegenen CO2-Aufnahme seit Beginn des 16. Jahrhunderts bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts mit dem "Großen Sterben" der indianischen Bevölkerung zusammenhängen.

Belegen wollen die Wissenschaftler mit ihrer Studie vor allem wie bereits Ruddiman, dass die Entvölkerung von Süd- und Nordamerika den beobachteten Rückgang der atmosphärischen CO2-Konzentration mit verursacht hat. Für sie beginnt daher das Anthropozän nicht erst im Industriezeitalter, sondern schon 200 Jahre früher, wenn auch nicht als anthropogene Klimaerwärmung, sondern als globale Klimaabkühlung der Kleinen Eiszeit.

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