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Der Bischof und das 8. Gebot

Von SPIEGEL-Rechtsabteilung

"Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten."

So steht es in der Bibel. Und daran, sollte man glauben, halten sich gerade Glaubensbrüder. Doch womöglich gelten für manche kirchlichen Würdenträger eigene Maßstäbe. Wie möglicherweise für den Bischof von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst?

Im vergangenen Jahr ging es bei einer Recherche um genau diesen Bischof. Der SPIEGEL hatte erfahren, der Gottesmann sei First Class in die Slums von Indien geflogen, um dort den Ärmsten der Armen zu helfen. Ein katholischer Bischof, der zusammen mit seinem Generalvikar in der Luxusklasse reist? Das drängte nach Aufklärung.

Fragen und Antworten gingen hin und her, Anwälte und Gericht wurden bemüht, alles nur, weil der Bischof die Frage nach seinem First-Class-Flug nicht mit einem einfachen, ehrlichen "Ja" beantwortete. Stattdessen legte Tebartz-van Elst bei Gericht sogar eine eidesstattliche Versicherung vor, deren Inhalt nicht wirklich der weltlichen Wahrheit entspricht.

Was war passiert? Ein Drama in fünf Akten.

1. Akt:

Im April vergangenen Jahres bekam unser Redakteur Martin Müller die Information, der Bischof sei auf einer Reise nach Indien nicht in der Business-, sondern vielmehr in der First Class geflogen. Das ist weder strafbar noch schlecht für die Lufthansa. Doch der Eindruck, der entsteht, wenn ein deutscher Bischof es sich bei einer Reise in eine Region der Ärmsten der Welt im Oberdeck gut gehen lässt, mag unpassend sein. Dilige et quod vis fac!* Das mag sich auch Seine Exzellenz gedacht haben. Jedenfalls ließ er seine Advokaten eine entsprechende Anfrage des SPIEGEL

am 5. April 2012 mit umfangreichen Worten beantworten (im folgenden Auszug):

Möglicherweise waren es Umfang und Aufbau dieser Ausführungen, dass diese Worte nicht als Bestätigung eines First-Class-Fluges, sondern so verstanden wurden, dass der Bischof nur Business Class geflogen war. Möglicherweise lag dies aber auch am Umstand, dass die Worte "First Class" oder "erste Klasse" darin gar nicht vorkamen. Oder möglicherweise wurde einfach nicht deutlich genug ausgesprochen, zu welcher Klasse ein Upgrade denn nun tatsächlich erfolgt war. Bene docet, qui bene distinguit.** Der Vorgang blieb jedenfalls zunächst, wo er war - in der Schublade.

2. Akt:

Einige Monate später allerdings bekam unabhängig davon unser Redakteur Peter Wensierski in anderem Zusammenhang erneut entsprechende Hinweise.

Eines schönen Vormittags, es war der 11. August im Jahre des Herrn 2012, befand sich Peter Wensierski dann auf Recherche vor dem Dom zu Limburg, als, wie es der Zufall wollte, Seine Exzellenz seinen Weg kreuzte. Er war nicht allein, der Domplatz war belebt, der Himmel blau, die Glocken läuteten. Seine Exzellenz schritt auf unseren Redakteur zu, man kennt sich, man sprach miteinander. Es entspann sich ein Dialog, und der folgende kleine Auszug wurde dann Teil einer sehr irdischen Auseinandersetzung:

Frage des Redakteurs: "Aber Generalvikar Kaspar hat das [Edelsteine fassen lassen] gemacht und mit dem sind Sie ja erster Klasse geflogen nach Indien hin und zurück?"

Antwort des Bischofs: "Nein, wir sind zu diesen Projekten hingeflogen und zwar so wie es die Reisekonditionen der Deutschen Bischofskonferenz und auch unseres Bistums sind."

Frage des Redakteurs: "Aber erster Klasse sind Sie geflogen?"

Antwort des Bischofs: "Business Class sind wir geflogen. Wir kamen um 3.30 Uhr dort an und ich hatte um halb sieben die Messe mit den Schwestern."

Soweit so hübsch dementiert. Noch klarer kann man dies weiß Gott kaum formulieren. Was die weltlichen Vertreter Seiner Exzellenz dem Redakteur und der Redaktion mit Schreiben vom 15. August 2012 auch gern bestätigten (Auszug):

Dem Dementi verliehen die Advokaten weiter Ausdruck, indem sie zusätzlich die Abgabe der folgenden auszugsweise wiedergegebenen Unterlassungserklärung verlangten, wonach unter anderem nicht weiter behauptet werden dürfte: "Herr Bischof Dr. Tebartz-van Elst ist erste Klasse mit dem Flugzeug nach Indien geflogen.":

Da stand es also, ohne Wenn und Aber: kein Erste-Klasse-Flug!

3. Akt:

Die Verwunderung hierüber war allerdings groß, hatte die Redaktion doch mittlerweile einen Beleg für die Reise im Oberdeck in der Hand. Und dazu der bemerkenswerte Hinweis im Anschreiben, dass die Unwahrheit ja "bereits aus dem Schreiben an Ihren Kollegen … vom 05.04.2012 bekannt" sei. Nun gut, also nochmals das Schreiben vom 5. April zur Hand genommen und nachgeschaut, nachgedacht, nachjustiert und beim Sprecher des Bistums noch am selben Tag nachgefragt:

Die Antwort kam prompt am nächsten Tag (Auszug):

Aha. Das Dementi des Dementis. Da war sie nun also endlich, die eindeutige Bestätigung, dass der Bischof also doch ein "Upgrade in die erste Klasse" genossen hatte. Business gebucht, Upgrade in die First Class bekommen. Alle bisherigen Ausführungen Sprachakrobatik? Nun ist Dementieren nichts Besonderes und selbst Leugnen begegnet einem im Alltagsgeschäft einer Rechtsabteilung eines Medienunternehmens mittlerweile mit erschreckender Regelmäßigkeit. Wobei, von einem Mitglied des Episkopats hätten wir aber vielleicht doch anderes erwartet. Doch das sollte nicht das Ende des Liedes sein.

4. Akt:

Es erschien sodann ein Beitrag im SPIEGEL  und ein ähnlicher bei SPIEGEL ONLINE. Dieser Beitrag bei SPIEGEL ONLINE enthielt nun eine Passage, die den kurzen geschilderten Gesprächsauszug auf dem Domplatz wie folgt zusammenfasste:

"War es aber dazu nötig, erster Klasse nach Indien zu fliegen?"
"Nein, wir sind nicht erster Klasse geflogen, sondern Business-Klasse."

Dies gefiel dem Bischof offenbar schon wieder nicht, jedenfalls bekamen Autor und SPIEGEL ONLINE die Aufforderung, neben anderen auch diese Behauptung künftig - strafbewehrt - zu unterlassen. Wir lehnten freundlich ab mit dem Hinweis, dass es nun einmal so gewesen sei. Daraufhin ließ der Bischof seine Anwälte eine einstweilige Verfügung beantragen, die unter anderem mit Hilfe einer eidesstattlichen Versicherung auch tatsächlich erwirkt wurde. In dieser eidesstattlichen Versicherung (hier auszugsweise) gibt Seine Exzellenz das fragliche Gespräch wie folgt wieder (Hervorhebung durch uns):

Nun sind auch falsche eidesstattliche Versicherungen (bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Begehung strafbar nach §§ 156, 161 StGB) insbesondere über Gesprächsabläufe nicht so ungewöhnlich und Gottes Strafe wird selten weltlich durchgesetzt, weil Aussage gegen Aussage steht und dem Staatsanwalt die Allmacht fehlt herauszufinden, was wirklich war. In unserem Fall jedoch verhielt es sich so, dass unser Redakteur, als ihm der Bischof auf dem Domplatz über den Weg lief und ihm die verfängliche Rede und Antwort stand, just dabei war, die nebenan liegende imposante bischöfliche Baustelle zu filmen und die offen getragene und vom Bischof erkannte Kamera während des Gesprächs noch weiter lief. Man kann sich die Szene dieser Begegnung so vorstellen:

Foto: DER SPIEGEL

Für Mobilnutzer: Hier klicken, um das Video zu sehen.

Gemein, mag man rufen, der Bischof hat doch möglicherweise gar nicht geahnt, dass das Gespräch aufgezeichnet wurde. Aber wäre das dann Rechtfertigung, um an Eides statt zu versichern, also als sicheres Wissen zu behaupten, das Gespräch habe einen bestimmten Inhalt nicht gehabt, den es aber tatsächlich doch hatte? Und das, um damit eine vielleicht unbedachte, in jedem Fall unglückliche und nicht der Wahrheit entsprechende Äußerung, wenn schon nicht vor Gott, so zumindest vor den Menschen mit der Autorität eines weltlichen Gerichts ungeschehen zu machen? Denn tatsächlich war ja der kleine Dialog zum Flug nach Indien, wie schon im zweiten Akt beschrieben, so:

Foto: DER SPIEGEL

Für Mobilnutzer: Hier klicken, um das Video zu sehen.

5. Akt:

Die Richter führten sich den von uns vorgelegten Videomitschnitt zu Gemüte und erklärten daraufhin in der Verhandlung, dass der Dialog vor dem Dom im Beitrag von SPIEGEL ONLINE zutreffend wiedergegeben worden war - worauf der Vertreter des Bischofs den entsprechenden Unterlassungsantrag zurücknahm. Damit war dieser Punkt gewonnen. Aber wir wollen nicht verschweigen, dass auch wir einen Fehler gemacht haben, als wir das Schreiben vom April einfach so als Dementi einer Reise in der First Class ansahen und sowohl im SPIEGEL als auch bei SPIEGEL ONLINE geschrieben hatten, dass der Bischof von Anfang an geleugnet habe. Auch wenn uns dieser Fehler in Anbetracht des Umstandes, dass die Anwälte des Bischofs bei ihrem ausdrücklichen Dementi selbst unter Missdeutung ihres eigenen früheren Schreibens erklärt hatten, dass uns "die Unwahrheit … bereits aus dem Schreiben … vom 05.04.2012 bekannt" sei, vielleicht verziehen sein mag. Wir haben uns also entschieden, über diesen Punkt der einstweiligen Verfügungen gegen SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE nicht weiter zu streiten, ihn anzuerkennen und uns künftig darauf zu beschränken, nur noch zu behaupten, der Bischof habe erst im August geleugnet und nicht schon zuvor im April.

* "Liebe (Gott) und tue, was du willst" (Augustinus)

** "Gut lehrt, wer die Unterschiede klar darlegt."


Ergänzung am 21.02.2013:

Im Nachgang zu unserem an dieser Stelle veröffentlichten Beitrag über das eigentümliche Verständnis des Bischofs von Limburg von der Wahrheit und seinem Umgang mit ihr in einer eidesstattlichen Versicherung sind bei der Staatsanwaltschaft Limburg mittlerweile drei Strafanzeigen gegen den Bischof wegen des Verdachts der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung eingegangen. Die Staatsanwaltschaft prüft derzeit ihre Zuständigkeit.

Nachdem das Bistum gestern zu entsprechenden Berichten der Lokalpresse eine aktuelle Stellungnahme veröffentlicht hat, möchten wir hierzu gerne ein wenig Klarheit schaffen. In seiner Stellungnahme wirft uns das Bistum vor, die eidesstattliche Versicherung "verkürzt und im Ergebnis sinnentstellend" wiedergegeben zu haben. Um nicht erneut den Vorwurf einer vermeintlichen Verkürzung zu riskieren, hier zunächst die Stellungnahme des Bistums im Wortlaut:

Foto: DER SPIEGEL

Zu den einzelnen Punkten der bischöflichen Stellungnahme hier nun also unsere Sicht der Dinge:

Zu 1.:

Dem Vorwurf der sinnentstellenden Verkürzung durch lediglich auszugsweise Veröffentlichung lässt sich am besten durch vollständige Veröffentlichung begegnen. Hier nun also die komplette eidesstattliche Versicherung des Bischofs, die er sowohl im Verfahren gegen den SPIEGEL als auch gegen SPIEGEL ONLINE beim Landgericht Hamburg, Az: 324 O 504/12 und 324 O 526/12 vorgelegt hat und die maßgeblich ursächlich dafür war, dass die Verfügung in den später zurückgenommenen Teilen erlassen wurde:

Zu 2. und 4.:

Es ist für uns schwer nachvollziehbar, was an unserer Darstellung sinnentstellend gewesen sein soll. Das Bistum differenziert in seiner Stellungnahme zwischen dem ersten Teil der eidesstattlichen Versicherung (gemeint ist offenbar der Teil bis zu dem von uns zitierten Auszug) und dem - von uns zunächst als Auszug wiedergegebenen - zweiten Teil der eidesstattlichen Versicherung. Aus dem ersten Teil ergebe sich bereits, dass der "Herr Bischof aus seiner Erinnerung heraus im Ergebnis nichts anderes äußerte, als dies dem vom SPIEGEL veröffentlichten Mitschnitt zu entnehmen ist", während der zweite Teil Behauptungen des SPIEGEL und einem seiner Redakteure befasst, "die so, wie sie dargestellt worden waren, nicht zutrafen".

Hohe Kunst der Wortakrobatik. Doch auch mit Gehalt? Wir meinen: Nein. Denn sowohl im ersten wie im zweiten Teil der eidesstattlichen Versicherung geht es um ein und dasselbe: Den Inhalt des Gesprächs zwischen Bischof und Redakteur auf dem Vorplatz des Limburger Doms - nur dass es einmal um die Darstellung dieses Gesprächs auf SPIEGEL ONLINE (erster Teil) und einmal in unserem Schreiben vom 31. August 2012 geht. Und während der Bischof im ersten Teil keineswegs einräumt, auf die Frage "Aber erster Klasse sind Sie geflogen?" mit "Business Class sind wir geflogen" geantwortet zu haben, streitet er dies im zweiten Teil am Ende eindeutig ab:

Foto: DER SPIEGEL

Aber möge sich jeder selbst ein Bild machen, was da von uns nun sinnentstellend verkürzt sein soll und auch welche Worte nur nach der Erinnerung des Bischofs gefallen sein sollen und was dagegen auf gar keinen Fall geäußert wurde. Wir haben im Blog-Beitrag sowohl im Protokoll als auch im Film selbst belegt, wie der genaue Wortlaut des Dialogs vor dem Dom war. Und soweit der Bischof im ersten Teil der eidesstattlichen Versicherung bestreitet, dass der Wortlaut des Gesprächs nicht zutreffend wiedergegeben worden sei, hat das Landgericht Hamburg im Übrigen keinen Zweifel daran gelassen, dass unsere Zusammenfassung zulässig und nicht zu beanstanden war. Deshalb haben die Vertreter des Bischofs ja auch den Antrag diesbezüglich zurückgenommen und es besteht insoweit keinerlei Unterlassungsverpflichtung.

Diese zunächst nicht wiedergegebenen Passagen der eidesstattlichen Versicherungen ändern deshalb rein gar nichts an der glasklaren falschen Behauptung am Ende der Versicherung. Zumindest nach objektiven Maßstäben hat der Bischof hier ohne Wenn und Aber eidesstattlich versichert, was nicht stimmt. Nur darauf haben wir hingewiesen.

Kurz und bündig:

Die letzte Passage der eidesstattlichen Versicherung ist angesichts dieses Wortwechsels

(Rück)Frage des Redakteurs: "Aber erster Klasse sind Sie geflogen?"

Antwort des Bischofs: "Business Class sind wir geflogen. …"

mindestens fahrlässig falsch eidesstattlich versichert. Und diese Passage wurde schlicht anmoderiert zunächst mit den Worten: "Es trifft auf keinen Fall zu" und dann konkret "Es gab auch keine …".

Zu 3.

Der Umgang des Bistums mit der vollständigen Wahrheit lässt auch bei der Frage der gegen uns erwirkten einstweiligen Verfügung zu wünschen übrig. Dass wir in einem Punkt einen Fehler gemacht hatten und die gegen uns ergangene einstweilige Verfügung in diesem Punkt hingenommen haben, haben wir in unserem Blog (im 5. Akt) keineswegs verschwiegen, sondern explizit eingeräumt. Irreführend ist es jedoch, wenn das Bistum nunmehr "vergisst", darauf hinzuweisen, dass der Bischof die einstweilige Verfügung - gestützt auf die objektiv falsche eidesstattliche Versicherung - zunächst auch hinsichtlich einer den Dialog vor dem Dom betreffenden Äußerung erwirkt hatte, dieser Teil der Verfügung aber nach deutlichem Hinweis des Gerichts an die Gegenseite und daraufhin erfolgter Antragsrücknahme im Termin aufgehoben worden ist.

Und dabei haben wir noch gar nicht erwähnt, dass von den ursprünglichen Anträgen im Verfahren gegen den SPIEGEL noch vor Erlass der Verfügung schon zwei zurückgenommen wurden und ganz am Ende inhaltlich nur der Punkt übrig geblieben ist, der sich auf die Auskunft im April bezog. Und diesen haben der SPIEGEL und vergleichbar SPIEGEL ONLINE in der Tat anerkannt. Aber das ist ja keine Neuigkeit.

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