Am Montagfrüh verstummte der Mann, der sonst so selbstbewusst kommuniziert hatte. Christian Lüth war zuvor als Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion freigestellt worden. Als Journalisten am Montag vor seiner Wohnung im bürgerlichen Berliner Stadtteil Zehlendorf gewartet haben sollen, um mehr über die plötzliche Beurlaubung zu erfahren, antwortete er nicht mehr auf ihre Fragen. Lüth hatte sieben Jahre für die Partei und die Fraktion Pressekonferenzen mit den Parteichefs organisiert, sich für Hintergrundgespräche mit Journalisten in Cafés getroffen oder Pressemitteilungen verschickt. In eigener Sache ist er nun still geworden.

Am Sonntag hatte ZEIT ONLINE berichtet, dass Christian Lüth mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als Pressesprecher der AfD-Fraktion im Bundestag freigestellt worden war – und zwar von Fraktionschef Alexander Gauland persönlich. Bis zur Prüfung der Vorwürfe sei er beurlaubt, das bestätigte auch Parteichef Tino Chrupalla.

Die Vorwürfe sind komplex und teilweise privater Natur. Sie bestehen unter anderem auch darin, dass Lüth sich in einem Chat selbst als "Faschist" bezeichnet und stolz auf seine "arische" Abstammung und einen Verwandten gezeigt habe, der als Kriegsheld im Nationalsozialismus gefeiert wurde. Christian Lüth wollte trotz mehrfacher Anfrage nicht zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Auch die Partei äußert sich aus arbeitsrechtlichen Gründen offiziell nicht weiter im Detail. Zu "Personalangelegenheiten gebe man grundsätzlich keine Auskünfte", sagte ein Sprecher heute.

Seit Lüths Freistellung kursieren in der Partei und in den Medien widersprüchliche Versionen über die Umstände. ZEIT ONLINE liegen nun exklusiv die WhatsApp-Chats vor, auf die sich der AfD-Fraktionsvorsitzende Gauland bei seiner Entscheidung berufen hatte. Damit klärt sich das Bild zu einem gewissen Grad. Einige Spekulationen in dieser Causa erweisen sich als falsch.

Die Chats, um die es geht, umfassen eine Korrespondenz zwischen Christian Lüth und einer jungen Frau, die Mitglied der CDU ist. Erst wenige Wochen zuvor hatten sich Lüth und die Frau das erste Mal geschrieben, er hatte ihr das Du angeboten, aber persönlich getroffen hatten sie sich zu dem Zeitpunkt noch nie. Am Abend des 6. Dezember 2019 fragt die Gesprächspartnerin den AfD-Fraktionssprecher in dem Chat, ob er reaktionär sei? Seine knappe Antwort: "Faschist." Als die Frau erwidert "Du warst Ex-FDPler. Da wird man nicht zum Faschisten", bekräftigt er: "Oh doch". Als sie erneut fragt, ob Lüth dies ernst meine, bekräftigt er: "Natürlich." Viele Medien spekulierten, dass Lüth Bekenntnis zum Faschismus "ironisch" gemeint sein könne. In den Original-Chats klingt es nicht danach.

Im weiteren Verlauf des Chats fragt die Gesprächspartnerin: "Wie definierst du Faschist?" Daraufhin sendet Christian Lüth ihr den Link zu einem Video, in dem historische Wochenschau-Aufnahmen aus der Zeit des Nationalsozialismus den "Korvettenkapitän Wolfgang Lüth" zeigen – unter anderem wie dieser von Adolf Hitler persönlich ausgezeichnet wird. Tage später bezieht er sich im Chat noch mal auf den Nationalsozialisten Wolfgang Lüth und antwortet auf eine Frage: "Arisch halt" und "Siehe meinen Großvater". Auch gegenüber Personen in der AfD soll Lüth mehrfach von seinem Nazivorfahren erzählt haben. Mittlerweile fand diese Information sogar Eingang in das Onlinelexikon Wikipedia.

Allerdings ist Wolfgang Lüth gar nicht Christian Lüths Großvater. Das bestätigt ZEIT ONLINE die Tochter von Wolfgang Lüth, Lady Ilske Carter: "Wir vier Kinder von Wolfgang Lüth legen viel Wert auf unser Privatleben, wären aber für eine öffentliche Korrektur dankbar", sagte die 78-Jährige, die in Edinburgh lebt. Eine private Adressliste der verzweigten Großfamilie und ein Eintrag in einem genealogischen Register bestätigen die Aussage Carters. Demnach ist Wolfgang Lüth Christian Lüths Großonkel. Lüths Großvater aus der Lüth-Linie war kein hochrangiger Militär in Zeiten des Nationalsozialismus. Warum Lüth in dem Chat den Eindruck erweckt, Wolfgang Lüth sei sein Großvater gewesen, bleibt unklar.