Zum Inhalt springen

Einfluss von Lebensschützern Radikal-katholische Klinikkontrolle

Erzkonservative Katholiken haben heimlich Kölner Kliniken kontrolliert - auch jenes Krankenhaus, das kürzlich ein mögliches Vergewaltigungsopfer abwies. Die selbsternannten Lebensschützer überprüften, ob Ärzte die Pille danach verschreiben. Das Bistum reagierte ganz im Sinne der Radikalen.
Katholische Kirche: Selbsternannte Lebensschützer schauen Geistlichen auf die Finger

Katholische Kirche: Selbsternannte Lebensschützer schauen Geistlichen auf die Finger

Foto: dapd

Es war Ende Oktober 2011, als sich eine Frau in Köln in katholische Kliniken begab, um die Gynäkologen zu testen. Die Frau arbeitete für eine Detektei, ein selbsternannter Lebensschützer hatte sie beauftragt, die Krankenhäuser in einer verdeckten Aktion zu überprüfen: Würden die Ärzte der vermeintlichen Patientin die "Pille danach" verschreiben oder ihr zumindest zu einem Rezept verhelfen?

Lebensschützer sind Gläubige, für die jegliches Eingreifen in die Entstehung eines Menschen tabu ist. Der Initiator der Kölner Testaktion, der sich selbst als papsttreu bezeichnet und der Redaktion namentlich bekannt ist, erklärte seine Haltung gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Leben ist von Gott geschenkt, wir dürfen ungeborene Kinder nicht töten. Egal, ob bei einem One-Night-Stand, einem Seitensprung oder einer Vergewaltigung gezeugt."

Der heimliche Kliniktest ist nun in den Schlagzeilen. Denn rund ein Jahr später, im Dezember 2012, gab es in Köln einen ähnlichen Fall - und dieser war echt: Eine Frau war offenbar mit K.o.-Tropfen betäubt worden. Nun sollte festgestellt werden, ob sie vergewaltigt worden war. Zwei katholische Kliniken wiesen sie nach Darstellung der sie behandelnden Notärztin ab, die Ärztinnen empfahlen, andere Häuser anzufragen, schließlich dürften sie selbst die "Pille danach" nicht verschreiben.

Hatte der Test von Ende Oktober 2011 Einfluss auf das Verhalten der Ärztinnen? Und wie geht die Kirche überhaupt mit Erzkonservativen und deren fragwürdigen Methoden um? Als vor kurzem Kreuz.net am Pranger stand, distanzierten sich Bischöfe entschieden von dem homophoben und teilweise menschenverachtenden Hetzportal. Doch verhallt die Stimme der Radikalen tatsächlich ungehört?

Die Kampagne der Konservativen

Gruppen wie die Lebensschützer sind von Misstrauen getrieben: Zu liberal sei die Tendenz der Kirche, zu sehr sprächen die Kirchenoberen dem Volk nach dem Mund, zu wenig handelten die Kirchenmitarbeiter nach Glaubensgrundsätzen. Mit teils sehr schroffem Ton versuchen sie, ihre Interessen in den Bistümern durchzusetzen: durch Denunziantentum und eine regelrechte Jagd auf Liberale.

Bestes Beispiel: der Kliniktest in Köln. Die vermeintliche Patientin wurde in einigen Krankenhäusern vorstellig; in den meisten Kliniken, so berichtet es der Papsttreue heute, wurde sie abgewiesen, ohne auch nur einen Tipp zu bekommen, an welcher Stelle sie ein Kontrazeptivum bekommen könnte. An vier Kliniken aber wurde sie weiterverwiesen an die Notfallpraxen, die sich zwar auf dem Gelände oder im Gebäude der katholischen Einrichtungen befinden, aber kassenärztlich betrieben und daher nicht an die Richtlinien der Kirche gebunden sind.

Aus Sicht der Lebensschützer machten sich Ärzte dieser vier Kliniken schuldig: Sie leisteten Hilfe zur Verhinderung einer Schwangerschaft. Canon 1398 Codex Iuris Canonici: "Wer eine Abtreibung vornimmt, zieht sich mit erfolgter Ausführung die Tatstrafe der Exkommunikation zu." Das ist geltendes Kirchenrecht.

Die Konservativen fühlten sich in ihrem Misstrauen bestätigt, was folgte, glich einer Kampagne. "Gloria.tv", ein stramm katholischer Internetsender, wurde informiert, am 7. November 2011 schrieb der Lebensschützer dem Kölner Erzbischof Joachim Meisner. "Gloria.tv" berichtete, freilich nur von den vier Fällen, bei denen die Ärzte es nicht beim "Nein" beließen. Und das Bistum reagierte.

Der damalige Generalvikar Dominik Schwaderlapp antwortete dem Initiator der Testaktion am 16. Januar 2012 in einem Brief. Schwaderlapp schrieb, man sei den Hinweisen "selbstverständlich nachgegangen": "Wir … haben hier auf allen Ebenen - auch der Krankenhausträger - recherchiert."

Das Bistum reagierte

Auf Nachfrage versichert Christoph Heckeley, Sprecher des Erzbistums Köln, man halte von den Methoden der Lebensschützer "gar nichts". Wenn es allerdings Dinge gebe, "die zu Unklarheiten führen könnten, sind wir bemüht, sie aus der Welt zu schaffen".

Vor Gericht dürfen Beweismittel unter Umständen nicht verwendet werden, die durch unlautere Methoden beschafft wurden. Die Kirche verfährt anders. Die Anzeigen der Lebensschützer finden Gehör, denn oft genug ist der Kreis der Adressaten groß. Die Kritik wird nicht nur beim Bischof geäußert, sondern in Kopie an den Chef der Glaubenskongregation in Rom gesandt, oder direkt an den Heiligen Stuhl. Jede Stelle muss die nächsthöhere fürchten.

Schwaderlapp stellte in seinem Brief zwar die "investigative Methode sehr deutlich in Frage", gab den Lebensschützern aber zugleich Recht: Es könne in den katholischen Kliniken mancherorts der Eindruck entstehen, die Notfallpraxen "seien Teil des katholischen Krankenhauses". Und er beschrieb die Reaktion des Bistums: Man sei im Gespräch mit den Kliniken, man habe "die Träger der Krankenhäuser bis in die höchste Ebene" einbezogen. Selbst die Auflösung von Mietverträgen mit Notfallpraxen schloss Schwaderlapp nicht aus, entscheidend dürften nicht "die wirtschaftlichen Interessen der Krankenhäuser an ausreichender Auslastung durch Einweisungen" sein, sondern "die Glaubwürdigkeit und das Selbstverständnis des katholischen Trägers".

Die radikal-katholischen Lebensschützer hatten ihr Ziel erreicht, das Bistum wurde tätig. Rund vier Wochen nach Schwaderlapps Brief verschickte der Diözesan-Caritasverband, Dach der katholischen Kliniken, ein Rundschreiben, in dem der Generalvikar an die "Null-Toleranzgrenze" der Kirche in Sachen Schwangerschaftsabbruch erinnerte. Zudem bat er die Klinikträger, zu prüfen, "ob die (räumliche und personelle) Trennung" zwischen katholischer Klinik und Notfallpraxis verdeutlicht werden könne. Dies könne etwa durch unterschiedliche Arbeitskleidung geschehen.

Und: Die Leiterin der Ethikkommission der Stiftung der Cellitinnen erarbeitete eine Stellungnahme, in der das richtige Verhalten der Ärzte geregelt wurde. Am 7. November war das Papier fertig, etwas mehr als einen Monat später geschah das, was nun bundesweit für Empörung sorgt: Zwei Kölner Kliniken der katholischen Cellitinnen-Stiftung lehnten die Frau ab, die vermutlich mit K.o.-Tropfen schachmatt gesetzt und womöglich vergewaltigt worden war. Es sollten mögliche Spuren einer Gewalttat gesichert werden, doch dazu kam es an den katholischen Kliniken nicht. Begründung für die Abweisung: Man dürfe kein Rezept für die "Pille danach" ausstellen.

Auftrag an eine Privatdetektivin

Natürlich konnten die Ärztinnen als Angestellte einer katholischen Klinik der Patientin die "Pille danach" nicht verschreiben, aber sie rundheraus abweisen? Die Vermutung liegt nahe, dass durch den heimlichen Test, durch das Aktivwerden des Generalvikars und den Rundbrief der Caritas ein enormer Druck auf den Ärzten der katholischen Kliniken lastete.

Ähnlich dürfte es einer Mitarbeiterin der katholischen Schwangerenberatung Esperanza gegangen sein: Im Herbst 2011 schickte der emsige Kölner Lebensschützer eine Privatdetektivin aus Düsseldorf in die Beratungsstelle des Erzbistums. Sie gab eine Notsituation vor: Wenn sie nicht abtreibe, laufe ihr der Mann davon. Den nötigen Beratungsschein gab ihr die Esperanza-Mitarbeiterin nicht, aber sie besorgte der Frau einen Termin bei einer evangelischen Stelle, nachdem es bei "Pro Familia" nicht geklappt hatte. Das Ergebnis der Aktion ging ans Bistum.

Lebensschützer können es sich auf die Fahnen schreiben, dass die Kirche sich seit 1998 bei der Schwangerschaftskonfliktberatung zurückhält, die bis dahin von der Caritas und dem Sozialdienst Katholischer Frauen durchgeführt wurde. Sie diffamierten den Beratungsnachweis, der für eine Abtreibung verlangt wird, als "Tötungslizenz", sie übten in Rom großen Druck aus. Im Januar 1998 schrieb der damalige Papst Johannes Paul II. an die deutschen Bischöfe: "Von unserem Glauben her ist klar, dass von kirchlichen Institutionen nichts getan werden darf, was in irgendeiner Form der Rechtfertigung der Abtreibung dienen kann."

"Ums Geld geht es in solchen Fällen nicht"

Die Kölner Fälle zeigen, wie Erzkonservative auf die Kirche und ihre Institutionen einwirken. "Die Lebensschützer haben einen erkennbaren Einfluss auf die Kirche. Unter anderem auch, weil ihnen viele Wirtschaftsmächtige angehören", sagt der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. Wie viel die Aktionen kosten, ist unerheblich, bestätigt auch der Kölner Lebensschützer: "Ums Geld geht es in solchen Fällen nicht."

Die Bewegung, die in den vergangenen Jahren Rückenwind aus Rom bekommen hat, ist zwar nicht groß, aber am rechten Kirchenrand gut vernetzt: mit dem Hetzportal kreuz.net, das inzwischen offline ist; mit dem konservativen Netzwerk katholischer Priester. Und sie verfügt über gute Kontakte in den Vatikan.

Gerade bei vielen jungen Bischöfen stoßen die Lebensschützer mit ihren Botschaften und Briefen auf offene Ohren - und bei alt eingesessenen Konservativen. Denn unter den jungen Geistlichen gibt es viele, die ihre eigene Karriere im Blick haben. Dem Aufstieg schadet Kritik aus Rom und der Eindruck, das eigene Bistum nicht im Griff zu haben. Vor allem aber geht es um Macht, um Druck und Angst.

Die Entwicklung ist auch Ausdruck eines Generationenwechsels innerhalb des Klerus: Eine Reihe furchtloser Priester und Bischöfe, die geprägt waren durch das Zweite Vatikanische Konzil, verabschiedete sich in den Ruhestand.

Heute ärgern sich einige im Erzbistum in Köln, dass nach dem heimlichen Kliniktest nicht der Staatsanwalt eingeschaltet wurde. Zumindest hätte man doch den Versuch der Einflussnahme ignorieren können. Doch offen aussprechen will das keiner.