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Hatune Dogan: Nonne gegen den IS

Foto: privat

Deutsche Nonne im IS-Kriegsgebiet "Ich habe keine Tränen mehr"

Mit nur einem Koffer reist eine deutsche Ordensfrau nach Syrien und in den Irak - um zu helfen. Eine gefährliche Reise, doch die Nonne hat keine Angst um ihr eigenes Leben. Was sie an den Rand der Verzweiflung bringt, ist die Grausamkeit dieses Kriegs.

Zwei Koffer und eine Plastiktüte, mehr braucht die Nonne Hatune Dogan nicht für ihre Reise nach Syrien und in den Irak. Das wenigste davon ist für sie selbst: In dem großen Koffer ist Kleidung für die Flüchtlinge, vor allem für Kinder. In den kleineren hat sie ihre Ausrüstung gepackt: Laptop, Kamera, Diktiergerät, Notizblöcke, ein Stethoskop. In der Plastiktüte steckt eine zweite Nonnenkutte. "Das reicht für mich", sagt sie und lacht.

Hatune Dogan, Nonne am syrisch-orthodoxen Kloster im westfälischen Warburg, will in die Flüchtlingscamps im Südosten der Türkei und dann weiter in die Krisengebiete. Sie will Menschen helfen, die auf der Flucht vor den Milizen des "Islamischen Staats" (IS) sind. Darunter sind viele Christen, sie liegen der Ordensschwester besonders am Herzen. Aber sie helfe auch allen anderen. "Wer bin ich denn, Unterschiede zu machen, wenn Jesus Christus es nicht getan hat?", sagt sie.

Es wirkt naiv, mit einem Koffer voller Kleidung in eine Region zu reisen, in der mehrere Millionen Menschen heimatlos sind, auf der Suche nach einer neuen Bleibe, einer neuen Zukunft. Aber Hatune hat viel mehr im Gepäck: ihre Fähigkeit, Menschen, deren Angehörige umgebracht wurden, zuzuhören, sie an ihrer Schulter weinen zu lassen, ihnen Gespräche anzubieten.

Humanitäre Großmacht

"Besonders besorgt mich das Schicksal der Frauen, die als Sexsklavinnen missbraucht werden", sagt sie. Rund 4000 seien in der Gewalt der Extremisten. Dogan grübelt, wie man diesen Frauen helfen könne. "Viele trauen sich, wenn sie freikommen, nicht mehr nach Hause, weil sie sich schämen." Kürzlich erst hätten sich 40 Mädchen gemeinsam von einem Felsen in den Tod gestürzt, erzählt Dogan, nachdem sie von IS-Kämpfern vergewaltigt worden waren.

Wenn man Hatune Dogan mit ihrer Plastiktüte sieht, ahnt man nicht, dass sie eine humanitäre Großmacht ist. Nach einer Reise nach Indien vor 15 Jahren hat sie die "Stiftung Hatune - Helfende Hände für die Armen" aufgebaut. Inzwischen kümmert die sich um Menschen in vielen Ländern, mit weltweit rund 5000 freiwilligen Helfern. Ihre Mitarbeiter in der Türkei und im selbsternannten "Kalifat" kaufen jetzt mit Spendengeldern auf den örtlichen Märkten Lebensmittel, Kleidung und Medikamente für die Flüchtlinge.

Ist das nicht eine gefährliche Arbeit? "Natürlich", antwortet sie. "Wir müssen sehr aufpassen." Sie selbst habe keine Angst vor dem Tod. "Das einzige, was ich fürchte, ist, misshandelt und gequält zu werden."

Flucht, Verfolgung, Demütigung kennt Hatune Dogan seit ihrer Kindheit. Geboren wurde sie 1970 im Dorf Zaz, im Südosten der Türkei. Ihre Muttersprache ist Aramäisch, "die Sprache Jesu", wie sie anmerkt. Jahrhundertelang war es eine mehrheitlich christliche Region. Dann eroberten islamische Herrscher das Gebiet. Glaubenskriege und Vertreibungen prägen seither die Geschichte.

Mit 14 Jahren nach Deutschland geflohen

Die Familie von Hatune Dogan hat das am eigenen Leib erfahren. Als sie 14 Jahre alt war, flüchtete sie mit ihren Eltern und Geschwistern. Ihr Vater hatte mehrere Diebe auf seinem Weinberg erwischt, die daraufhin von der Dorfgemeinschaft verspottet wurden. Jetzt wollten sie sich an ihm rächen und ihn am liebsten umbringen. Überstürzt fuhren die Dogans nach Istanbul, von dort weiter nach Deutschland, wo ihnen Asyl gewährt wurde.

Vier Jahre später, mit 18, trat Hatune Dogan einem Orden bei, studierte an der Katholischen Fachhochschule Mainz. Anschließend arbeitete sie in einem Hospiz, für "ein fürstliches Gehalt von 8000 Mark", wie sie in ihrem Buch "Es geht ums Überleben. Mein Einsatz für die Christen im Irak" schreibt. Als sie in Indien die Armen sah, kündigte sie den Hospizjob, um sich den Bedürftigen zu widmen. Seither weigert sie sich, sich auf das reine Klosterleben zu beschränken.

Heute, 30 Jahre nach ihrer eigenen Flucht, erkennt Dogan sich in den Vertriebenen wieder. "Die meisten haben wie wir damals nichts, nur das, was sie tragen können." Die neuen Bilder belasten sie. Zum Beispiel die von den drei Kindern - fünf, sechs und sieben Jahre alt. Ein IS-Anhänger filmt sie. In der linken Hand hält er die Kamera, in der rechten ein Messer. "Wer von euch will zuerst sterben?", fragt er. Die Kleinen weinen, jedes zeigt voller Panik auf ein anderes. Die Eltern dieser Geschwister sind gefesselt und werden gezwungen, diesem grausamen Treiben zuzusehen.

"Was soll man da machen?", sagt Dogan leise und schüttelt den Kopf. Sie hat das Video auf ihrem Laptop gespeichert. Das furchtbare Ende ist darauf nicht zu sehen. "Es sind Kinder einer christlichen Familie. Sie sind umgebracht worden. Meine Mitarbeiter vor Ort haben es bestätigt." Tatsächlich kursieren aber auch Gerüchte, es handele sich um ein gestelltes Video, und die Kinder seien wohlbehalten.

Davon weiß Hatune aber nichts. Für sie ist das Ausmaß der Gewalt vorstellbar, das genügt ihr, und keineswegs neu, sagt sie und klingt dabei verbittert. Solche Grausamkeiten seien schon vor tausend Jahren verübt worden, bei den ersten Massenvertreibungen von Christen. Und auch 1915 sei das so gewesen, beim Völkermord an Armeniern und Christen im Osmanischen Reich, den die Türkei bis heute nicht als solchen bezeichnet. Ihre Großelterngeneration habe davon noch erzählen können, berichtet sie. Man merkt, dass ihre Sicht von den Erlebnissen ihrer Familie geprägt ist.

Derzeit hält Dogan sich in Flüchtlingscamps in der Türkei auf. Die Sätze, die sie von dort ins Telefon spricht, klingen niederschmetternd. Mal sagt sie: "Ich habe keine Tränen mehr." Dann, an einem anderen Tag: "Mein Herz weiß keine Lösung." Trotzdem reist sie demnächst nach Syrien und in den Irak. Wann und wohin genau, will sie aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht wissen.