Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU), im Hintergrund Finanzminister Olaf Scholz (SPD)
Reuters/Kay Nietfeld
Nach Kritik

Doch keine Osterruhe in Deutschland

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach harter Kritik entschieden, den Bund-Länder-Entschluss zur Osterruhe zu stoppen. Das teilte Merkel am Mittwoch in einer kurzfristig einberufenen Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten der Länder mit, wie Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bestätigte. Details will Merkel zu Mittag in einer Pressekonferenz verkünden.

„Die Regelung durch eine Bundesverordnung ist jetzt nicht für Ostern vorgesehen“, sagte Laschet am Mittwoch im nordrhein-westfälischen Landtag in Düsseldorf. Nach einer Rechtsprüfung durch unterschiedliche Ministerien hätten sich zahlreiche Probleme gezeigt, „das war in dieser Form ein Fehler und so nicht durchsetzbar“, so Laschet.

Laut Medienberichten habe Merkel gesagt, sie habe am Vormittag entschieden, die Verordnungen zu Osterruhe nicht auf den Weg zu bringen, sondern zu stoppen. „Der Fehler ist mein Fehler“, sagte Merkel laut den Angaben. Aufwand und Nutzen stünden in keinem guten Verhältnis, wurde Merkel von Teilnehmern der Videokonferenz zitiert.

Möglicherweise nur Appell statt verordneter Osterruhe

Unmut hatte sich vor allem daran entzündet, dass nach den stundenlangen Beratungen in der Nacht auf Dienstag die Umsetzung zentraler Beschlüsse noch offen war. Nach AFP-Informationen wird es stattdessen einen Appell geben, an den Feiertagen zu Hause zu bleiben. Die im Bundestag geplante Regierungsbefragung mit der Kanzlerin am Nachmittag sollte nach anderen Informationen wie vorgesehen stattfinden.

Laschet sagte im Landtag in Düsseldorf, die Bundeskanzlerin habe kurzfristig erneut eingeladen. „Und ich denke, dass wir dort sehr kritisch über das reden, was da vor zwei Tagen passiert ist. Das ist jedenfalls meine Erwartung.“ Er kritisierte die langwierigen Abstimmungsprozesse und die stundenlangen Verhandlungen in kleinen Gruppen.

Viel Kritik trotz gemeinsamer Beschlüsse

An den Beschlüssen hatte es sehr viel Kritik auch aus den eigenen Reihen gegeben. Innenminister Horst Seehofer (CSU) monierte gegenüber „Bild“, dass auch keine physischen Gottesdienste stattfinden sollen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte schon am Dienstag „Nachbesserungen“ und Öffnungsperspektiven nach Ostern gefordert. Laschet und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wiederum hatten kritisiert, dass weiter Flüge nach Mallorca möglich sind, aber kein Urlaub in Deutschland selbst. Zugleich hatte Laschet am Dienstagabend betont, dass alle Ministerpräsidenten von CDU, CSU, SPD, Grünen und Linken die Beschlüsse gemeinsam getroffen hätten.

Die Autoindustrie begrüßte die Meldungen über die Rücknahme der Osterruhe. „Ich finde es ein Zeichen von Größe, wenn man Fehler eingesteht“, sagte die Chefin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller. Der VDA hatte schwere Bedenken gegen den Regierungsplan, der zum Betriebsstopp in der Autoindustrie geführt hätte.

Ursprünglicher Plan: Einmalig fünf Tage Ruhe

Die Regelung hätte vorgesehen, Gründonnerstag und Karsamstag einmalig als Ruhetage zu definieren und mit weitgehenden Kontaktbeschränkungen zu verbinden. „Es gilt damit an fünf zusammenhängenden Tagen das Prinzip #WirBleibenZuHause“, hieß es in dem Beschlusspapier. Nur am Karsamstag sollte der Lebensmittelhandel im engeren Sinne geöffnet bleiben. Private Zusammenkünfte sollten auf den eigenen und einen weiteren Haushalt, maximal fünf Personen insgesamt, beschränkt werden.

Ansammlungen im öffentlichen Raum hätten dem Beschluss zufolge in dieser Zeit generell untersagt werden sollen. Wo bereits Außengastronomie offen ist, hätte sie für diese fünf Tage wieder geschlossen werden müssen. Nur Impf- und Testzentren sollten offen bleiben. Kirchen und Religionsgemeinschaft sollten zu Ostern nur Onlineangebote für die Gläubigen machen. Die katholische Kirche in Deutschland wollte dennoch an Präsenzgottesdiensten festhalten – man sei irritiert und von der Bitte überrascht worden, hieß es – mehr dazu in religion.ORF.at.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der berliner Bürgermeister Michael Muller und Bayerns Premierminister Markus Söder.
AP/Pool Photo/Michael Kappeler
Erst kurz vor 3.00 Uhr fand der deutsche Bund-Länder-Gipfel am Dienstag ein Ende

Stundenlange Beratungen wegen Streits über Urlaubsfrage

Vorausgegangen war die schwierigste Verhandlungsrunde von Deutschlands Kanzlerin und Länderregierungschefs seit dem Ausbruch der Pandemie. Mehr als elf Stunden lang wurde verhandelt – wegen eines Streits über „kontaktarmen Urlaub“ im eigenen Bundesland war die große Runde allerdings stundenlang unterbrochen.

Beschlossen wurde schließlich, dass Tourismus im Inland auch in den Osterferien nicht möglich sein wird. Hotels und andere Beherbergungsbetriebe sollen für Urlauber geschlossen bleiben. Dieser Punkt sorgte in den Beratungen für besonders viel Ärger. Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz drängten darauf, ihren Bürgern Urlaub in Ferienwohnungen, Ferienhäusern, Apartments, Wohnwagen und Wohnmobilen möglich zu machen, sofern diese über eigene Sanitäreinrichtungen verfügen und auch das Essen in Eigenregie organisiert werden kann. Davon war im Beschluss nichts mehr zu finden.

Für deutsche Urlauber im Ausland soll über eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes eine generelle Testpflicht vor dem Rückflug eingeführt werden. Sie soll zur Voraussetzung für die Einreise nach Deutschland gemacht werden. Schon jetzt müssen Einreisende einen negativen Test vom Abflug vorweisen, die aus „Hochinzidenzgebieten“ mit besonders vielen Infektionen sowie Gebieten mit neuen Virusvarianten kommen.

Verschärfungen bei Inzidenzen über 100

Angesichts des exponentiellen Wachstums der Infektionen wurde weiters beschlossen, dass die Anfang März vereinbarte „Notbremse“ konsequent umgesetzt werden müsse. Ab einer 7-Tage-Inzidenz von mehr als 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner sollen die Landkreise weitgehendere Schritte umsetzen. Als Möglichkeit genannt werden unter anderem Ausgangsbeschränkungen, verschärfte Kontaktbeschränkungen und die Pflicht zu tagesaktuellen Schnelltests in Bereichen, in denen das Abstandhalten oder konsequente Maskentragen erschwert sind.

„Wir sind in einem Wettlauf mit dem Impfen“, so die deutsche Kanzlerin. Je geringer die Neuinfektionen seien, desto schneller könnten Impfungen Wirkung auf die Gesamtlage haben. Daher komme es unter anderem auch darauf an, in besonders betroffenen Regionen die von Bund und Ländern vereinbarte „Notbremse“ anzuwenden. Ziel bleibe, dass es zu keiner Überlastung des Gesundheitswesens komme.

Seit dem Wochenende liegt die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz wieder über 100, am Mittwoch blieb sie nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) auf dem Wert des Vortages – 108,1. Zum Vergleich: In Österreich lag die 7-Tage-Inzidenz nach Angaben der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) am Dienstag bei 243,1.

Wirtschaft kritisiert „Tunnelmodus“

Die Wirtschaft reagierte mit teils scharfer Kritik auf die Beschlüsse. „Bund und Länder agieren nur noch im Tunnelmodus“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes HDE, Stefan Genth, am Dienstag. „Die alleinige Fixierung auf die Corona-Inzidenzwerte wird der komplexen Lage nicht gerecht.“

Als kontraproduktiv sieht der HDE die Schließung auch der Lebensmittelhändler am Gründonnerstag. Das führe zu erhöhtem Kundenandrang am vorhergehenden Mittwoch und dem folgenden Ostersamstag. „Den Lebensmittelhandel mit seinen nachweislich hervorragend funktionierenden Hygienekonzepten symbolisch für einen Tag zuzumachen hilft im Kampf gegen die Pandemie nicht weiter“, sagte Genth.

Reisebranche erleichtert

Die Reisebranche zeigte sich dagegen erleichtert, dass keine Quarantänepflicht bei der Rückkehr von Urlaubern aus Nicht-Risiko-Gebieten beschlossen wurde. Der Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV), Norbert Fiebig, plädierte im ZDF auch dafür, Inlandsreisen zu ermöglichen, wo das „gesundheitlich vertretbar“ sei. Das sei wichtig, damit die Branche wieder auf die Beine kommen könne.

Die Veranstaltungswirtschaft lehnte die neuen Beschlüsse ab. Statt der in Aussicht gestellten Öffnungen rudere die Politik getrieben von Inzidenzen und kurzfristigen Handlungshorizonten zurück, so der Fachverband FAMAB. Die Branche brauche endlich ein verbindliches Signal aus der Politik.

Handwerksverband fürchtet Firmenkollaps

Der Handwerksverband ZDH warnte vor einem breitflächigen Kollaps von Firmen. „Angesichts eines weiterhin fehlenden Planungshorizonts, dazu auch noch stockender oder unzureichender Überbrückungshilfen, werden viele Betriebe nicht überleben können“, sagte ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer im ZDF. Die Autohändler fürchteten das Aus für viele Betriebe der Branche. "Wir können und dürfen nicht warten, bis die Pleitewelle rollt.

Umfrage: Mehrheit gegen Verschärfung

In einer im Vorfeld des deutschen „Coronvirus-Gipfels“ veröffentlichten Umfrage des Instituts YouGov sprachen sich nur noch 30 Prozent der Befragten für eine erneute Ausweitung von Kontakteinschränkungen aus. Dagegen waren 23 Prozent für eine Beibehaltung der vorerst bis 28. März geltenden aktuellen Maßnahmen und 22 Prozent für Lockerungen. 15 Prozent befürworten laut der im Auftrag der dpa durchgeführten Umfrage ein Ende aller Einschränkungen.