Blasen auf Wasseroberfläche im Baltischen Meer
IMAGO/Kustbevakningen
„Nord Stream“-Pipelines

Dänische Regierung spricht von Explosionen

Die Gaslecks in den Ostsee-Pipelines „Nord Stream 1“ und „Nord Stream 2“ sind nach Angaben der dänischen Regierung nicht auf einen Unfall zurückzuführen. Die Behörden seien zu der eindeutigen Bewertung gekommen, dass es sich um absichtliche Taten handle und nicht um ein Unglück, sagte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Die Europäische Union teilt diese Ansicht.

Innerhalb kurzer Zeit seien mehrere Explosionen beobachtet worden. Es gebe noch keine Informationen dazu, wer dahinterstecke. Zu den Vorfällen sei es in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens vor der Ostsee-Insel Bornholm gekommen, sagte Frederiksen. Es handle sich nicht um einen Angriff auf Dänemark, sagte sie auf eine Frage, ob es sich um eine gegen ihr Land verübte Kriegshandlung handle.

Klima- und Energieminister Dan Jörgensen bestätigte vorherige Angaben von Geologen, dass es am Montag zunächst um 2.03 Uhr eine Explosion an „Nord Stream 2“ südöstlich von Bornholm sowie um 19.03 Uhr eine weitere an „Nord Stream 1“ nordöstlich von der Insel entfernt gegeben habe. Die Gasleitungen lägen tief im Wasser und bestünden aus Stahl und Beton. Die Größe der Lecks deute darauf hin, dass es sich nicht um ein Unglück etwa mit einem Schiffsanker handeln könne.

Schweden vermutet Sabotage

Nach schwedischen Einschätzungen sind die Explosionen auf Sabotage zurückzuführen. Die Informationslage sei noch alles andere als vollständig, aber zwei Explosionen seien identifiziert worden, die drei Lecks verursacht hätten, sagte Ministerpräsidentin Magdalena Andersson am Dienstagabend auf einer Pressekonferenz in Stockholm. Basierend auf schwedischen und dänischen Informationen komme man zu dem Schluss, dass es sich vermutlich um eine absichtliche Tat handle. „Es ist also wahrscheinlich eine Frage der Sabotage“, sagte sie.

Grafik zur Nord Stream und Gaslecks
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/dpa/BBC

EU droht mit Sanktionen

Auch die Europäische Union hält Sabotage als Ursache für die Lecks wahrscheinlich und hat mit Gegenmaßnahmen gedroht. „Alle verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung sind“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch im Namen der 27 Mitgliedsstaaten. Jede vorsätzliche Störung der europäischen Energieinfrastruktur werde „mit einer robusten und gemeinsamen Reaktion beantwortet werden“. Ähnlich hatte sich zuvor schon EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter geäußert.

Ukraine macht Russland verantwortlich

Während die NATO die „Situation in der Ostsee genau“ beobachtet, sieht Kiew Russland verantwortlich. „Das ist nichts anderes als ein von Russland geplanter Terrorakt und ein Aggressionsakt gegen die EU“, schrieb der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychailo Podoljak, am Dienstag auf Twitter. Moskau wolle damit die wirtschaftliche Situation in Europa destabilisieren und „Panik vor dem Winter“ erzeugen.

Beide Leitungen binnen eines Tages leckgeschlagen

An einen Zufall zu glauben erscheint ohnehin schwierig: Innerhalb eines Tages dürften beide deutsch-russischen Gasleitungen durch die Ostsee leckgeschlagen sein. In beiden Röhren der „Nord Stream 1“-Pipeline habe das Kontrollzentrum einen Druckabfall festgestellt, teilte der Leitungsbetreiber in der Nacht auf Dienstag mit. Die Kapazität der Pipeline sei ungeplant auf null gesunken.

Vom deutschen Wirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur hatte es daraufhin geheißen, man stehe miteinander und mit den betroffenen Behörden im Austausch, um den Sachverhalt aufzuklären. „Aktuell kennen wir die Ursachen für den Druckabfall nicht“, hieß es zu den Problemen an „Nord Stream 1“. Das dürfte sich inzwischen aber geändert haben. Dienstagfrüh gaben die schwedischen Behörden eine Warnung wegen zweier Lecks in schwedischen und dänischen Gewässern aus – jeweils die Pipeline „Nord Stream 1“ betreffend. Auch die dänische Schifffahrtsbehörde warnte vor einem Leck in der Pipeline nordöstlich der Insel Bornholm.

Kampfjets sichten aufsteigende Blasen

Ganz ähnlich hatte sich die Situation bereits am Montag rund um „Nord Stream 2“ entwickelt. In der Nacht auf Montag hatte der Betreiber wegen Druckproblemen an einer der Röhren alle Marinebehörden der Ostsee-Anrainer informiert. Im Verlauf des Tages wurde dann die wahrscheinliche Ursache für den Druckabfall ausfindig gemacht: Südöstlich der Insel Bornholm sei ein Gasleck beobachtet worden, hieß es in einem Hinweis der zuständigen dänischen Behörde. Das Leck sei gefährlich für die Schifffahrt und das Fahren innerhalb eines Bereichs von fünf Seemeilen von der besagten Position verboten.

Innerhalb von 24 Stunden sind aus den beiden – derzeit ohnehin nicht für den Gastransport genutzten – „Nord Stream“-Pipelines Druckverluste gemeldet worden. Bereits zu Wochenbeginn sackte der Gasdruck in „Nord Stream 2“ ab. Das Gleiche passierte dann in der Nacht auf Dienstag in der bis vor Kurzem noch aktiven Pipeline „Nord Stream 1“. Noch läuft die Ursachenforschung. Im Raum stehen auch gezielte Anschläge. Wie die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ unter Berufung auf das dänische Militär berichtete, wurde das Leck an „Nord Stream 2“ am Montag von dänischen F-16-Kampfjets entdeckt. Sie wurden von Bornholm aus in die Luft geschickt, um das Gebiet zu fotografieren. Sie hätten dabei entdeckt, dass an einem Punkt südöstlich der Insel Blasen aus dem Wasser aufgestiegen seien.

Wie die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ unter Berufung auf das dänische Militär berichtete, wurde das Leck an „Nord Stream 2“ am Montag von dänischen F-16-Kampfjets entdeckt. Sie wurden von Bornholm aus in die Luft geschickt, um das Gebiet zu fotografieren. Sie hätten dabei entdeckt, dass an einem Punkt südöstlich der Insel Blasen aus dem Wasser aufgestiegen seien.

Das dänische Verteidigungsministerium stellte ein Video auf Twitter. Darauf ist zu sehen, wie in einem Gebiet mit mehreren hundert Metern Durchmesser Gasblasen an die Oberfläche steigen.

Wer hinter dem vermutlichen Sabotageakt stecken könnte, scheint derzeit allerdings nur Gegenstand von Vermutungen zu sein. Laut dem „Tagesspiegel“ könnten sowohl proukrainische Kräfte dafür verantwortlich sein wie auch eine russische Operation. Für die ukrainische Seite könnte es darum gehen, die russisch-deutschen Ostsee-Pipelines als russisches Druckmittel gegenüber dem Westen zu eliminieren. Zugleich würden damit die über Polen laufende Verbindung „Jamal“ und das ukrainische Pipeline-Netz noch wichtiger. Eine russische „False-Flag-Operation“ könnte hingegen zum Ziel haben, im Westen zusätzliche Verunsicherung zu schüren.

Grafik zum Gas-Pipelinenetz in Europa
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ENTSOG

Kreml: Keine Variante ausgeschlossen

Dienstagvormittag äußerte sich auch der Kreml zu den Vorfällen rund um die beiden Pipelines. Derzeit könne keine Option ausgeschlossen werden, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in einer Telefonkonferenz mit Reportern. Der Kreml sei sehr besorgt und fordere eine „sofortige Untersuchung“, da es sich um eine Frage der Energiesicherheit für den „gesamten Kontinent“ handle.

„Nord Stream“: Lecks in beiden Pipelines

Innerhalb von 24 Stunden sind aus den beiden, derzeit nicht für den Gastransport genutzten, „Nord Stream“-Pipelines Druckverluste gemeldet worden. Bereits zu Wochenbeginn sackte der Gasdruck in „Nord Stream 2“ ab. Das Gleiche passierte dann in der Nacht auf Dienstag in der bis vor Kurzem noch aktiven Pipeline „Nord Stream 1“.

Laut „Nord Stream 2“-Sprecher Ulrich Lissek sind die Leitungen so verlegt, dass eine gleichzeitige Beschädigung mehrerer Leitungen etwa durch einen einzelnen Schiffsunfall höchst unwahrscheinlich ist. Von ähnlichen Vorfällen im Zusammenhang mit Offshore-Pipelines habe er „nie gehört“.

Keine kurzfristigen Folgen für Gasversorgung

Fakt ist: Bereits vor den Druckproblemen floss zuletzt weder durch „Nord Stream 1“ noch durch „Nord Stream 2“ Gas von Russland Richtung Deutschland. „Nord Stream 2“ war infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine nie in Betrieb genommen worden. Durch „Nord Stream 1“ hatte der russische Gaskonzern Gasprom die bereits zuvor reduzierten Lieferungen Anfang September ganz gestoppt – mit Verweis auf einen Ölaustritt in einer Kompressorstation. Die EU-Staaten sehen darin nur einen Vorwand.

Die unmittelbaren Folgen der Lecks für die europäische Gasversorgung dürften sich also vorerst in Grenzen halten. So hieß es auch vom deutschen Wirtschaftsministerium und der Netzagentur, die Speicherstände würden weiter „kontinuierlich“ ansteigen.

Zig Millionen Kubikmeter Gas in Pipelines

Eine andere Frage ist, welche Gefahren für Schifffahrt und Klima von den Lecks ausgehen. Denn auch wenn kein Gas durch die Pipelines fließt, waren sie bisher trotzdem damit gefüllt. Erdgas besteht zu überwiegenden Teilen aus Methan. Dieses ist hochentzündlich. Sollte es zu einer Explosion kommen, könnte das für Schiffe in der Nähe eine Gefahr darstellen – unter anderem deshalb auch die nun erlassenen Warnungen der dänischen und schwedischen Behörden.

Zugleich ist Methan aber auch ein Treibhausgas, das in der Atmosphäre 25-mal stärker wirkt als etwa CO2. Sollten die beiden Pipelines in den kommenden Tagen tatsächlich leerlaufen, dann würden zig Millionen Kubikmeter Gas entweichen. Allein „Nord Stream 2“ war bisher mit 177 Millionen Kubikmetern Gas gefüllt. Das entspricht etwas mehr als zwei Prozent des jährlichen Gasverbrauchs in Österreich.

Tagelanger Gasaustritt erwartet

Der Leiter der dänischen Energiebehörde sagte am Dienstag, er gehe davon aus, dass der Gasaustritt aus „Nord Stream 2“ noch mehrere Tage, wenn nicht sogar eine Woche andauern könne. „Nord Stream 2“-Sprecher Lissek stellte ein Leerlaufen der Pipeline in den Raum.

Zugleich bezeichnete Lissek die Möglichkeiten des Pipelinebetreibers zur Ursachenforschung als eingeschränkt. Man verfüge kaum noch über Personal, und Gelder seien aufgrund der Sanktionen eingefroren, sagte der Sprecher. In Lubmin, dem Ort, in dem die Pipeline in Deutschland anlandet, ist nach Wissen Lisseks kein Personal der Nord Stream 2 AG. Man könne auch keine Aufträge erteilen, da man diese nicht bezahlen könne, und müsse schauen, woher man nun Informationen erhalte, hieß es weiter.