www. St Josef.at
Die katholische Informationsseite der Gemeinschaft v. hl. Josef
Navigation

Gott als Offenbarung und Geheimnis

Josef Spindelböck

Ein guter Bekannter meinte, er könne nicht verstehen, wieso wir im Christentum noch von einem „Geheimnis“ sprechen müßten: Der Mensch sei doch als Bild Gottes geschaffen. Wo bleibe da – bei dieser großen Ähnlichkeit von Schöpfer und Geschöpf – noch Raum für das Geheimnis oder Mysterium? Die folgenden Überlegungen sollen ein wenig zur Klärung der Frage beitragen.

Jeder Mensch ist sich selber – bei aller Selbsterkenntnis – irgendwie ein Rätsel. Das ist nicht erst seit der wissenschaftlichen Erforschung des Unbewußten anerkannt, sondern entspricht der persönlichen Erfahrung eines jeden, wenn er nur ehrlich gegenüber sich selber ist: Wer versteht vollkommen seine eigenen Gedanken, Gefühle, Wünsche, Sehnsüchte und Entscheidungen?

Umso mehr gilt das von anderen, selbst wenn diese seine Freunde oder sein Ehepartner sind. Ja, die ganze Schöpfung und vor allem das Reich des Lebendigen gibt uns immer wieder neue Fragen auf und weckt unser ständiges Staunen!

Und der Schöpfer? In unserer Beziehung zum lebendigen und wahren Gott besteht nach unserem katholischen Glauben eine unaufhebbare Spannung zwischen „Offenbarung“ und „Geheimnis“ (Mysterium).

Gott offenbart sich

Einerseits gilt, daß der Mensch „nach dem Bilde Gottes“ geschaffen ist (vgl. Gen 1,27). In jedem Menschen – ob Mann oder Frau – offenbart und spiegelt sich so das Wesen Gottes wider. Dann hat sich Gott auch geschichtlich offenbart: zuerst den Stammeltern und Patriarchen, später durch die Propheten und andere große Gestalten des Alten Testamentes. Die vollendete Offenbarung Gottes ist uns in Jesus Christus, dem fleischgewordenen Wort des Vaters, geschenkt. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.“ (Joh 15,15) Der Kirche ist im Heiligen Geist eine vertiefte Erkenntnis dieser Offenbarung verheißen: „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird sagen, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird.“ (Joh 16,13)

Gott bleibt das unaussprechliche Geheimnis

Andererseits kann der Wesensunterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht aufgehoben werden. Für die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf gilt, daß hierbei keine noch so große Ähnlichkeit ausgesagt werden kann, ohne daß diese nicht eine noch größere Unähnlichkeit einschlösse.[1] Wir sind „geschaffener Gott“[2] immer nur als Abbild Gottes sowie durch gnadenhafte Teilhabe an der göttlichen Natur. Dabei wird uns vom Vater als „Söhnen im Sohn“ die Annahme an Kindes statt im Heiligen Geist geschenkt ist (vgl. Röm 8,15; Gal 4,6).

So gilt jedenfalls für die Zeit unseres Pilgerstandes auf Erden: Gott wohnt „in unzugänglichem Licht“ (1 Tim 6,16). Unsere Erkenntnis Gottes ist zweifach: Wir wissen von ihm das, was unser natürlicher Verstand erkennt (natürliche Offenbarung), und wir glauben von ihm jenes, was er uns auf übernatürliche Weise offenbart hat.[3] Eine erschöpfende Erkenntnis von sich hat nur Gott selber.[4] Wir werden – so lehrt es die katholische Dogmatik[5] – auch in der Herrlichkeit des Himmels, in der Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht, trotz aller Klarheit Gott als dem unauslotbaren Mysterium der trinitarischen Liebe begegnen. Seine unbegreifliche Größe wird für eine ganze Ewigkeit genügen, um uns selig zu machen.

Gott bleibt immer der je Größere („Deus semper maior“), wie dies besonders der hl. Anselm von Canterbury herausgestellt hat.

„Obwohl Gott sich offenbart, bleibt er doch ein unaussprechliches Geheimnis: ‚Verstündest du ihn, es wäre nicht Gott‘.“[6]


[1] “... quia inter Creatorem et creaturam non potest similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda“ – 4. Laterankonzil, 1215, Denzinger-Schönmetzer/Hünermann (= DS/DzH) Nr. 806; vgl. Katechismus der Katholischen Kirche (= KKK), Nr. 43.

[2] Klemens von Alexandrien spricht in diesem Sinn von der „theiosis“ (Vergottung), ähnlich auch griechische Kirchenväter (z.B. Gregor v. Nazianz). Vgl. Kleine Katholische Dogmatik, hg. v. Johann Auer und Joseph Ratzinger, Bd V: Johann Auer, Das Evangelium der Gnade, Regensburg 19803, 117.

[3] Denn es gibt Wahrheiten, die wir nur erkennen können, weil sie uns Gott auf übernatürliche Weise offenbart hat: „... weil uns außer dem, was die natürliche Vernunft erfassen kann, in Gott verborgene Geheimnisse zu glauben vorgelegt werden, die nie in den Bereich unseres Erkennens kämen, wenn sie uns nicht von Gott geoffenbart wären.“ – 1. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution „Dei Filius“, Kap. 4, DS/DzH 3015, dt. Übersetzung nach Neuner-Roos (= NR), Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, Nr. 38.
„Wer sagt, in der göttlichen Offenbarung gebe es nicht wahre Geheimnisse im eigentlichen Sinn, sondern alle Glaubenssätze könnten durch die richtig gebildete Vernunft von den natürlichen Grundsätzen aus verstanden und bewiesen werden, der sei ausgeschlossen.“ – 1. Vat. Konz., Can. 1 zu Kap. 4 von „Dei Filius“, DS/DzH 3041 und NR 55.

[4] „Kein Menschenverstand ist fähig, Gottes Wesen zu erschöpfen, adäquat zu erfassen. Adäquat, erschöpfend erkennt nur Gott sich selbst. Und der Ausdruck dieser vollkommenen, restlosen Gotteserkenntnis ist eine eigene Person in der Gottheit, der Logos, das wesenhafte Wort, in dem der Vater von Ewigkeit in unendlich vollkommener Weise sich selbst ausspricht.“ – Matthias Premm, Katholische Glaubenskunde. Ein Lehrbuch der Dogmatik, Bd I, Wien 19562, 87.

[5] Vgl. Premm, Katholische Glaubenskunde, Bd IV, Wien 1953, 589 f.

[6] KKK Nr. 230 zitiert Augustinus, Sermo 52,6,16, in: PL 38,360.