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Caroline Fourest: Wie Gedankenpolizei die Hochschulen erfasst

Die linksliberale Sachbuchautorin Caroline Fourest kritisiert in ihrem neuestem Werk „Generation Beleidigt“ die Auswüchse linker Identitätspolitik.
Demonstrant
Foto: Ben Kriemann, imago-images | Die Auswüchse der linken Identitätspolitik zeigen sich auch in der Radikalität der Proteste: Wer sich als Opfer fühlt, meint er sei im Recht und will gegen das "Unrecht" seine Partikularinteressen durchsetzen.

Diese Frau passt in kein Schema: Die französische 1975 geborene Autorin Caroline Fourest hat für Charlie Hebdo gearbeitet, sie analysiert die Spannung zwischen Multikulturalismus und Universalismus, sie gilt als La Polémiste (ein französischer Titel für eine engagierte Intellektuelle) und sie schrieb Bücher.

Mit analytischer Schärfe hat sich Fourest auch mit dem Aufstieg des Front National, insbesondere mit Marine Le Pen, auseinandergesetzt. Das hat ihr – zunächst – Lob bei den Linken eingebracht. Allerdings stieß sie dort in dem Moment auf Ablehnung, als sie den Fundamentalismus und Antisemitismus der „Kulturtaliban“ in migrantischen und islamistischen Milieus zu untersuchen begann. Mit ihrem 2004 veröffentlichten Buch Frere Tariq (Bruder Tariq), in dem sie sich kritisch mit dem islamistischen Intellektuellen Tariq Ramadan auseinandersetzt, wurde sie zum Hassobjekt linker und islamistischer Kreise.

„Jeden Tag taucht eine neue Minderheit auf,
die sich zur Opfergruppe hochstilisiert“

Nun ist Fourests topaktuelles Buch „Génération offensée. De la police de la culture a la police de la pensée“ ins Deutsche übersetzt worden. Der deutsche Titel lautet: „Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei“. Die Kernaussage des Buches ist: Jeden Tag taucht eine neue Minderheit auf, die sich zur Opfergruppe hochstilisiert. Unter Berufung auf Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe versucht man, die Hegemonie über die öffentliche Rede zu erreichen. Allen vor sind die Universitäten die naiven Steigbügelhalter der neuen, identitären Linken geworden.

Caroline Fourest unterscheidet überhaupt zwischen einer universalistischen, laizistischen, freiheitlichen Linken (zu der sie sich selbst rechnet) und einer radikalen, fundamentalistischen, puristischen, totalitär-gestimmten identitären Linken, die „Identitätspolitik“ als Politik der aktiven, ja privilegierten Akzeptanz von – willkürlich konstruierten – Opfer- und Minderheitengruppen versteht.

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Kampf gegen Abweichler, nicht gegen Herrschende

Unter dem Label „Kampf gegen Islamophobie“ macht sich die identitäre, übrigens auch die feministische Linke in schier schizophrener Weise mit der Ideologie des politischen (frauenverachtenden) Islams gemein. Hier wird unter Einsatz von Ellenbogen die Rasse-, Geschlechter- oder Gender-Karte gespielt, wenn es identitären linken Zielen zu nützen scheint. Bereits die Kapitelüberschriften von Fourests Buch lassen aufhorchen – zum Beispiel: „Die zwei Gesichter des Antirassismus“, „Das Abdriften der Identitätspolitik“, „Wettbewerb der Opfer“, „Die Universität der Angst“, „Hexenjagd“. Im Besonderen aber nimmt die Autorin die heutige „akademische“ Jugend ins Visier. Eine Meute von „Inquisitoren“ nennt sie sie mit Blick auf die Universitäten vor allem in den USA, aber auch in Kanada, Belgien und Frankreich. (Für eine Neuauflage des Buches könnte man einige deutsche Beispiele beisteuern.) Eine Art Lynchjustiz würden lautstarke und aktivistische Teile der studentischen Jugend über die sozialen Netzwerke betreiben – im Gegensatz zu ihren protestierenden Vorfahren, die mit Spruchbändern in die Kälte auf die Straße gegangen seien. Heute meckert man bequem von zu Hause aus, im Warmen sitzend und aus der Anonymität heraus.

Ein nicht geringer Teil der heutigen Massenhysterie, so Fourest, habe mit der extremen Dünnhäutigkeit der jüngeren Generation sowie mit der Tatsache zu tun, dass ihr die existenzielle Bedeutung des ständigen Jammerns und Anklagens beigebracht worden sei. Während Ehrgemeinschaften einst dem Heldentum kriegerischer Männlichkeit geschmeichelt hätten, sei die heute protestierende Jugend ständig auf der Suche nach irgendeinem Opferstatus. Dieser Viktimisierungswahn richte sich aber weniger gegen die Herrschenden, sondern gegen abweichende Stimmen. Seit einigen Jahren hätten Professoren denn auch große Angst, über Themen zu sprechen, die ihre Studenten als „beleidigend“ oder als „Mikroaggressionen“ wahrnähmen könnten.

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Verbrechen verschweigen, um Minderheiten zu helfen

Caroline Fourest wartet zur Veranschaulichung mit zahlreichen, zum Teil auch selbst erlebten und erlittenen Beispielen auf. In Kanada erhielten behinderte Studierende seit langer Zeit Yogaunterricht. Aktivisten forderten, mit dieser „kulturellen Aneignung“ Schluss zu machen, denn Yoga gehöre den Indern. An der Columbia-Universität in New York forderten Studenten, Ovids „Metamorphosen“ aus dem Lehrplan zu nehmen, weil der Text „eurozentrisch“ und „zu gewalttätig“ sei. In Frankreich wähnen sich linke Gruppen traumatisiert, wenn Weiße sich eine Afrofrisur verpassen lassen, während es für sie normal ist, wenn weiße Studentinnen am „Hijab-Tag“ aus Solidarität mit dem Kopftuch herumlaufen.

Eine Sprecherin der linksidentitären Gruppe „Indigenes de la République“ forderte gar, Vergewaltigungen nicht anzuzeigen, wenn der Täter muslimisch ist, um ihn vor rassistischer Polizei- und Staatsgewalt zu schützen. Fourest erinnert hier an den Fall einer Französin, die 1976 von einem migrantischen Arbeiter vergewaltigt wurde. Feministinnen hatten damals versucht, das Opfer von einer Anzeige abzuhalten – mit dem Hinweis, die Strafverfolgung schade dem Proletariat und nützt den rassistischen Unternehmern. Heute erklären Feministinnen jungen Frauen gar, dass der Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung und das Kopftuch den Rassisten helfe.

Einschüchterung trotzen, "Wokeness" zurückweisen

Alles in allem: Caroline Fourest ist eine mutige Frau, denn sie nimmt es in Kauf, als „rassistisch“ und „islamophob“ beschuldigt zu werden. Dennoch meint sie: Man müsse der Einschüchterung trotzen, wenn man dem Krieg der Identitäten Einhalt gebieten wolle. Eine solche Intervention erfordere, dass man die absurden Anschuldigungen nicht länger hinnehme; dass man die Universitäten zurückerobere. Ehe es zu spät sei und die Universität vor lauter bornierter„wokeness“ wie die Sorbonne in Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ zur muslimischen Universität geworden ist.


Caroline Fourest: Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. edition TIAMAT, Berlin 2020, 143 Seiten, ISBN-13: 978-389320-266-9, EUR 18,–

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