Politik

Der Bundestag sagt: Geh endlich Steinbachs letzte Demütigung

Als die ehemalige CDU-Abgeordnete Erika Steinbach zum letzten Mal das Rednerpult verlässt, bleibt es still im Parlament. Dann meldet sich Bundestagspräsident Lammert mit einer "Klarstellung".

Eine knappe Stunde hat die Debatte über den "Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts" gedauert - so heißt der Gesetzentwurf, der heute im Bundestag verabschiedet wurde. Wie stets, wenn die Abgeordneten über Gewissensentscheidungen diskutieren, war die Debatte ernsthaft und ruhig. Mit drei Ausnahmen.

Die erste Ausnahme war Erika Steinbach. Wäre sie nicht schon im Januar aus der CDU und aus der Unionsfraktion ausgetreten, so hätte sie es wohl heute getan. Niemandem werde etwas weggenommen, hatte Steinbachs Vorredner, der Linken-Abgeordnete Harald Petzold gerade gesagt. "Es wird lediglich ein paar mehr glückliche Menschen geben."

Dass Steinbach kein glücklicher Mensch ist, zumindest nicht an diesem Tag, kann man ihr ansehen. Sie wirkt aufgeregt, nach 27 Jahren ist dies ihr letzter Auftritt im Bundestag. Steinbach beginnt nüchtern, mit einem Satz, den man so ähnlich heute schon von ihrem ehemaligen Fraktionschef Volker Kauder gehört hat. "Das Grundgesetz stellt in Artikel 6, Absatz 1 Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung." Dann zitiert sie aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni 2012: "Die Ehe als allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut erfährt durch Artikel 6, Absatz 1 einen eigenständigen, verfassungsrechtlichen Schutz."

Doch schon mit ihrem dritten Satz löst sie Unmut im Plenum aus: "Der heute in einer Art Sturzgeburt zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, steht diesem Urteil diametral entgegen." Ob die Ehe für alle wirklich dem Grundgesetz widerspricht, ist umstritten. Aber die Proteste der Abgeordneten richten sich nicht gegen Steinbachs juristische Auffassung, sondern gegen das Wort "Sturzgeburt".

"Merkel ließ sich hinreißen, generös die Abstimmung freizugeben"

Sie könne Unionsfraktionschef Kauder verstehen, so Steinbach weiter, "wenn er sich über diese erzwungene Abstimmung empört". Sucht Steinbach an ihrem letzten Tag die Versöhnung? Natürlich nicht, im Gegenteil - man kann ihr Verhältnis zur CDU nur als verbittert bezeichnen. Kauder, fährt die 73-Jährige fort, ziele mit seiner Kritik an der SPD auf den falschen Adressaten. "Es war die Bundeskanzlerin und nicht die SPD-Fraktion, die mit ihrer wohlkalkulierten Einlassung, dass dies allein eine Frage des Gewissens sei, die Türen für die heutige überstürzte Entscheidung sperrangelweit geöffnet hat - und sich auch noch als quasi neue Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion dazu hat hinreißen lassen, generös die Abstimmung freizugeben."

Dieser Satz enthält mehrere Vorwürfe. Erstens, Merkel sei schuld, dass über die Ehe für alle abgestimmt werde - eine Sicht, die von der Union vehement bestritten wird. Dies sei "die Interpretation der SPD", hatte Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer am Donnerstag im Interview mit n-tv.de gesagt. Merkel habe lediglich erklärt, "dass dieses Thema in der Gesellschaft derzeit diskutiert wird und dass es außerhalb eines emotional geführten Wahlkampfes eine Abstimmung geben soll, bei der die Abgeordneten nach gründlicher Prüfung ihrem Gewissen folgen können".

Der zweite Vorwurf wiegt schwerer: Merkel habe sich angemaßt, über das Gewissen der Abgeordneten zu entscheiden. Steinbach sagt es nicht, aber sie meint folgendes: Merkel habe ganz nebenbei den Fraktionszwang aufgehoben. Dies jedoch komme nur dem Fraktionsvorsitzenden zu. Auch damit löst sie Unruhe und Widerspruch bei den Abgeordneten aus - jetzt in den Reihen der Union.

"Beschlüsse der CDU sind das Papier nicht wert"

Steinbach sagt dann noch, die Freigabe der Abstimmung stehe gegen das Grundsatzprogramm der CDU. Auch daraus zitiert sie: "Die Ehe ist unser Leitbild der Gemeinschaft von Mann und Frau." Beschlüsse der CDU "sind offenkundig nicht das Papier wert, auf dem sie stehen".

Nach ihrer Rede ging Erika Steinbach zurück zu ihrem Platz in der letzten Reihe des Parlaments.

Nach ihrer Rede ging Erika Steinbach zurück zu ihrem Platz in der letzten Reihe des Parlaments.

(Foto: AP)

Dann verabschiedet sich Steinbach. Dafür ändert sie abrupt den Tonfall: "Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach 27 Jahren im Deutschen Bundestag ist das heute meine letzte Rede." Dafür gibt es Applaus - aber nicht freundlichen Beifall, wie ihn in diesen Tagen viele scheidende Abgeordnete auch von politischen Gegnern erhalten. Dieser Applaus meint: Geh endlich. Steinbach versucht, sich nichts anmerken zu lassen. "Danke für den Beifall", sagt sie. Sie bedankt sich "bei den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen des Hauses für eine konstruktive, teils harmonische, teils kontroverse, zumeist respektvolle Zusammenarbeit". Bei jedem anderen Redner wäre spätestens jetzt freundlich applaudiert worden. Respekt und Harmonie? Nicht jetzt, nicht für und nicht mit Steinbach.

Es wäre auch unpassend gewesen, denn Steinbach ist noch nicht fertig. Man weiß, dass sie die AfD im Bundestagswahlkampf unterstützen will, sie plant gemeinsame Auftritte mit dem brandenburgischen AfD-Chef Alexander Gauland. So weit, das Rednerpult im Bundestag zu nutzen, um dieser Partei eine öffentliche Liebeserklärung zu machen, geht Steinbach nicht. Aber fast. "Vom neuen Bundestag erhoffe ich, dass er seine Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung verantwortungsvoller wahrnimmt, als es in den letzten Jahren geschehen ist. Wir haben keine Kanzlerdemokratie, wir haben eine parlamentarische Demokratie", so Steinbach mit leicht zitternder Stimme. Seltsam, dass die Kanzlerin später genauso abstimmen wird wie Steinbach.

In die Stille hinein kündigt Lammert eine Klarstellung an

Niemand ruft und niemand klatscht, als Steinbach zurück zu ihrem Platz in der letzten Reihe geht. In die Stille hinein kündigt Lammert eine "Klarstellung" an. "Nach unserer Verfassung entscheidet jeder einzelne Abgeordnete, wie er sich zu jedem einzelnen" - er unterbricht sich, als er sieht, dass Steinbach ihm antworten will. "Sie haben jetzt nicht noch einmal das Wort, ich habe jetzt nicht die Absicht, mit Ihnen eine Debatte zu führen", weist Lammert sie zurecht. Und er fährt fort: "… entscheidet jeder einzelne Abgeordnete, wie er sich zu welchem beliebigen Tagesordnungspunkt auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages verhält. Dazu bedarf es keiner Freigabe. Weder durch Fraktionen noch durch Parteien."

Man kann darüber diskutieren, ob es den Fraktionszwang gibt oder nicht - wahrscheinlich wäre Fraktionsdisziplin das bessere Wort. Im Grundgesetz steht, Abgeordnete seien "nur ihrem Gewissen unterworfen". Darauf wollte Lammert hinaus.

Dieser Tag ist der letzte Sitzungstag der laufenden Legislaturperiode - auch für Lammert ist es der letzte Auftritt im Parlament. Er war nicht nur der Präsident des Bundestags, er war immer auch dessen erster Anwalt. Nicht lange nach Steinbachs Auftritt kann man sehen, dass er in alle Richtungen austeilt, wenn er die Würde des Hauses in Gefahr sieht. Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs wirft Merkel vor, sie habe seit 2005 die Diskriminierung von Lesben und Schwulen unterstützt. Seinen heftigen und wütenden Auftritt beendet er mit dem Ausruf: "Ehrlicherweise Frau Merkel: Vielen Dank für nichts!" Dazu sagt Lammert nur: "Na ja."

Für die dritte Abweichung von der ansonsten ruhigen Debatte sorgen die Grünen, die Konfetti werfen, als Lammert das Ergebnis der Abstimmung bekannt gibt. Dies sei eine "unangemessene Reaktion", rügt Lammert. Er fände es besonders bedauerlich, "wenn diejenigen, die sich mit ihrem Anliegen heute durchgesetzt haben, dadurch in den Verdacht der Albernheit gerieten". Volker Beck, der Grünen-Abgeordnete, der gerade ebenfalls seine letzte Rede im Bundestag gehalten hat, freut sich dennoch. Er gehört heute ganz eindeutig zu den glücklichen Menschen.

Quelle: ntv.de

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