Zweifelhafte "Inobhutnahme" von Kindern durch das Jugendamt

Durch einen aktuellen Vorfall wurde das ursprüngliche Thema der Montagsdemo "Unmenschliche Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern durch Auslagerung der Produktion von namhaften Konzernen" nachrangig diskutiert. Die Montagsdemo wurde bereits in der vorigen Woche darüber informiert, dass durch das Jugendamt drei Kinder von einer italienischen Familie getrennt wurde, obwohl es darüber keinen eindeutigen Gerichtsbeschluss gab. Eine Freudin der betroffenen Familie wandte sich daraufhin an die Montagsdemo.

Einer der Moderatoren leitete die Diskussion wie folgt ein: "Wir haben auf der heutigen Kundgebung zwei Themenschwerpunkte. Zum einem geht es um eine rechtlich umstrittene Kindeswegnahme durch das Jugendamt Bochum bei der italienischen Familie L., zum anderen um die Ausbeutung der Textilarbeiter in den Entwicklungsländern durch internationale Textilkonzerne bzw. deren Produktionsverlagerungen in diese Länder".

Die Freundin der betroffenen Familie L. berichtete: "Nach einer Anhörung vom 6.5.13 vor dem Familiengericht Bochum um das Sorgerecht gab das Gericht dem Antrag des Jugendamtes recht, das Sorgerecht für drei Kinder der Familie abzuerkennen und an das Jugendamt zu übertragen. In diesem Urteil wurde jedoch nicht eindeutig festgelegt, ob die Kinder außerhalb der Familie untergebracht werden müssen. Vor diesem Anhörungsverfahren gab es bereits zwei Gerichtsverfahren, in denen die Richter eindeutig entschieden, dass die Kinder bei ihren Eltern bleiben können. Kaum hatte das Jugendamt Kenntnis über das letzte Gerichtsurteil, informierte es sofort die zwei Schulen, wo die Kinder Milanka und Lugi nichtsahnend im Unterricht waren durch ein Telefonat. Die Schulleitung gab die Kinder - ohne sich vorher das entsprechende Urteil zeigen zu lassen - den Mitarbeitern des Jugendamtes mit. Ähnlich erging es dem kleinsten Kind Concetta im Kindergarten. Auf meine Frage, warum diese Kinder ohne schriftliche Vorlage des Gerichtsurteils einfach herausgegeben wurden, antwortete die Schulleiterin lakonisch, dass man den Fall prüfen werde. Die Kindergartenleitung räumte zwar einen Fehler ein, sie sei aber dem Jugendamt verpflichtet. Die Schulen als auch der Kindergarten berichteten nur Positives über die Entwicklung der Kinder und den Umgang mit ihren Eltern. Die Eltern, denen man Erziehungsunfähigkeit aufgrund mangelnder Kooperation mit dem Jugendamt vorwirft, haben lediglich die Telefonnummer von dem Heim, wo Milanka und Lugi untergebracht sind. Von Concetta wissen sie nur, dass das Kind bei Pflegeeltern in Unna ist. Ein Kontakt der Kinder zu den Eltern war bisher kaum möglich".

Der Vater der Familie L. äußerte sich: "Ich kann Deutschland nicht verstehen. Ich bin bereits seit 40 Jahren hier und habe lange Zeit hier gearbeitet, meine Steuern gezahlt, jetzt bin ich arbeitslos und in Hartz IV, da will mir das Jugendamt meine Kinder wegnehmen. Ich war immer gut zu meinen Kindern, sie hatten genug zu essen, gingen regelmäßig zur Schule, ich nehme keine Drogen und trotzdem nahm mir das Jugendamt meine Kinder weg. Was ist Deutschland nur für ein Land!"

Die Freundin der Familie L. hatte das Vorgehen des Jugendamtes in einem Flugblatt publik gemacht. "Ich entnehme aus dem Inhalt dieses Flugblattes, dass die Kindeswegnahme in Bochum kein Einzelfall ist. Auch in Günzburg bei Bamberg im oberfränkischen Land hat es einen ähnlichen Vorfall gegeben. Selbst Ärzte forderten die Jugendbehörden auf, ein Kind mit dem Namen Aeneas sofort zurück an die Mutter zu geben. Angeblich hatte das Kind Borreliose", teilte ein Moderator mit.

"Nachdem ich das Jugendamt als Kinderklau-Behörde bezeichnet hatte, erklärte mir der Vormund der Kinder, dass die Kosten für einen Heimplatz pro Kind 3200 Euro im Monat betragen und daher das Jugendamt nicht daran interessiert sei, Kinder aus Familien zu reißen", sagte daraufhin die Freundin der Familie L, "ich erwiderte, warum denn dann in Deutschland im Jahr über 32000 Kinder und Jugendliche im Heime und bei Pflegeeltern untergebracht sind - die Antwort blieb aus".

"Auch die Familiengerichte und die in deren Auftrag angeforderten Gutachten über die Eignung der Eltern als Sorgeberechtigte sind anzuzweifeln. Zum einem sind die Familienrichter meist schlecht ausgebildet und überfordert, zum anderen sind die Gutachten nicht neutral. Ein Gegengutachten ist für die betroffenen Eltern aus Kostengründen nicht möglich. Ich fordere, dass in Familiengerichten nur Laienrichter bzw. Richterinnen oder Richter sitzen, die selbst Kinder haben und sich daher vorstellen können, wie es ist, wenn man ihnen diese Kinder wegnimmt", schilderte ein Redner.

"Auch mir wurden zwei Kinder durch das Jugendamt weggenommen", teilte eine andere Mutter mit. "Ich erwarte jetzt noch ein Kind, dass ich ebenfalls abgeben soll, aber dagegen gehe ich anwaltlich vor".

Während der gesamten Debatte blieben immer mehr Passanten stehen und hörten aufmerksam zu.

Nach einem musikalischen Intermezzo beschlossen die Montagsdemonstranten einhellig, der Familie L. beizustehen und ein Schreiben an das Jugendamt zu richten. DIese Behörde soll Rechenschaft darüber ablegen, warum die drei Kinder ohne einen eindeutigen Gerichtsbeschluss bzw. ohne Abwarten eines Einspruchs der betroffenen Familie mit größter Eile aus der Familie gerissen wurde.

In einer weiteren Wortmeldung hieß es: "Gegen die Praktiken der Jugendämter gibt es bereits mehrere Petitionen bzw. der Europäische Gerichtshof wurde eingeschaltet".

Die Diskussion wechselte danach zum dem Thema Bangladesch und der Ausbeutung der Textilarbeiter durch die Verlagerung der Produktion internationaler Textilkonzerne in die Entwicklungsländer. "Namhafte Unternehmen wie KIK, Addias, C & A und andere lassen ihre Produkte aus Profitgründen in Drittländern wie Bangladesch, Indien, China fertigen, um sie dann in Deutschland billig vermarkten zu können", bemerkte einer der Moderatoren. "Das betrifft nicht nur Billigprodukte, sondern auch Markenwaren", stellte ein Redner fest, "dabei ist der Gewinn für diese Konzerne besonders hoch. Der Verbraucher soll mit den hohen Preisen überzeugt werden, dass er Spitzenqualität erwirbt, was nicht der Fall ist. Nur der gemeinsame internationale Kampf gegen diese unzumutbaren Arbeitsbedingungen und das herrschende System des Kapitalismus kann die Lage der Ausgebeuteten entscheidend verbessern". "Kann ich als Verbraucher etwas bewirken, wenn ich nur Ware mit dem Label Made in Germany kaufe?", hieß es in einer Frage. "Bei den Labels kann genauso betrogen werden wie bei den aktuellen Bioprodukten", antwortete eine Rednerin, "es kann sein, dass bei der Produktion weniger Giftstoffe eingesetzt werden, diese Produktionsweise hat aber keinen Einfluss auf die schrecklichen Arbeitsgebindungen". "Wenn man persönlich einen Textilherstellerbetrieb in Deutschland kennt, sollte man nach Möglichkeit dessen Produkte kaufen", lautete eine weitere Wortmeldung.

Nach weiteren Diskussionsbeiträgen endete die Kundgebung gegen 19.30 Uhr mit der Abschlusshymne. Für den nächsten Montag am 3.6.13 gibt es je nach Entwicklung der Situation zwei Themen: Situation der Bewohner des Altenpflegeheims St. Antonius (es entscheidet sich in Kürze, ob die Bewohner dieser Einrichtung am 31.5.13 verlegt werden) oder die aktuelle Situation bei Opel (Streik?). Sollten die Bewohner des St. Antonius-Stifts ihr Heim besetzen, ist ein Demozug der Montagsdemonstranten dorthin vorgesehen, falls das nicht der Fall ist, steht die aktuelle Entwicklung bei Opel auf der Agenda.

Die Moderatoren
Ulrich Achenbach
Christoph Schweitzer

Autor:

Ulrich Achenbach aus Bochum

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