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Gewaltfreier Widerstand Gesetz der 3,5 Prozent: Wie wenige Aktivisten Regierungen in die Knie zwingen können

Fridays for Future plant keinen "Regime Change" aber einen radikalen Umschwung der Klimapolitik-
Fridays for Future plant keinen "Regime Change" aber einen radikalen Umschwung der Klimapolitik-
© Peter Niedung / Picture Alliance
Damit eine Protestbewegung Erfolg hat, muss nicht die ganze Bevölkerung auf die Straße gehen. 3,5 Prozent gilt als magische Zahl – dann muss die Regierung reagieren.

Erica Chenoweth entdeckte das "Gesetz der 3,5 Prozent" – es besagt, dass keineswegs die große Mehrheit der Bevölkerung revoltieren muss, um politischen Veränderungen zu erzwingen. Chenoweth hat Bewegungen untersucht, deren Ziel der Sturz eines Regimes oder einer Regierung war. Aber auch Protestbewegungen, die einen Wechsel der Politik erzwingen wollen, fallen unter dieses Gesetz.

Wer macht eine Revolution?

Bei Revolutionen spricht man gern davon, dass sich das "Volk" erhoben habe. Meist wird gar nicht weiter nachgefragt, wer dieses ominöse "Volk" wirklich war. Aber schon ein Blick auf die bekanntesten Aufstände – die französische wie auch die russische Revolution – zeigt, dass das Volk keineswegs den Großteil der Bevölkerung umfassen muss. Es reicht durchaus, wenn relative kleine Gruppen von "Aktivisten" – um ein heutiges Modewort zu benutzen – sich erheben.

Gewaltfreiheit zahlt sich aus

Und auch in der Gegenwart lässt sich ein Umsturz eines gesamten Systems herbeiführen, wenn nur ein geringer Anteil der Bevölkerung ihn unterstützt. In der grundlegenden Studie "The Success of Nonviolent Civil Resistance" (Der Erfolg des gewaltfreien zivilen Widerstandes) hat Erica Chenoweth, Politikwissenschaftlerin an der Harvard University, Erhebungen und Proteste zwischen 1900 und 2006 untersucht. Anders als man vielleicht denken könnte, haben nicht die radikalsten und gewalttätigsten Bewegungen Erfolg gehabt. Die erstaunliche Erkenntnis der Forscherin: Gewaltfreie Proteste sind doppelt so erfolgreich wie bewaffnete Konflikte. Wem es gelingt, einen Schwellenwert von 3,5 Prozent der Bevölkerung zu mobilisieren, hat immer auch Veränderungen herbeigeführt.

Chenoweth fokussiert sich auf Prozesse, die einen Regimewechsel zum Ziel hatten. Insgesamt gingen 323 gewalttätige und gewaltfreie Kampagnen in ihre Untersuchung ein. Gewaltfreie Bewegungen führten in 53 Prozent zu politischen Veränderungen, verglichen mit nur 26 Prozent bei den gewalttätigen Protesten. Gewaltfreiheit ist also nicht nur moralisch besser, sie zahlt sich auch noch aus. Übrigens zur Verwunderung von Chenoweth, die aus der Terrorismusforschung kam, und ein anderes Ergebnis erwartet hat. "Ich war wirklich skeptisch, dass gewaltfreier Widerstand eine effektive Methode sein könnte, um große Veränderungen in der Gesellschaft zu erreichen", sagte sie der "BBC".

Die Fähigkeit zu mobilisieren

Chenoweth nimmt einen entscheidenden Faktor an, und das ist der Mobilisierungsgrad. Gewaltfreiheit macht es den Aktivisten leichter, große Teile der Bevölkerung für ihre Ziele zu gewinnen. Unterstützen diese die Proteste, führt das schnell zu Störungen und Lähmungen der Gesellschaft. Es reicht allerdings nicht aus, wenn 3,5 Prozent die Bewegung im stillen Kämmerchen unterstützen, diese 3,5 Prozent müssen aktiv werden.

"Es gab keine Bewegungen, die gescheitert waren, nachdem sie eine Teilnahme von 3,5 Prozent an einer Spitzenveranstaltung erreicht hatten", so Chenoweth. In den Gesellschaften der Europäischen Union geht es heute meist nicht um einen "Regimewechsel", sondern eher um ein Umschwenken der Politik. Doch offenbar gilt auch hier die 3,5 Prozent Regel.

Obwohl diese Zahl bezogen auf die Gesamtbevölkerung nur eine kleine Minderheit darstellt, reichen offenbar schon diese Mengen an Aktivisten aus, um deutliche Antworten der Regierung hervorzurufen. 3,5 Prozent hört sich allerdings wenig an, bezogen auf die Erwachsenen wären das in BRD allerdings etwa zwei Millionen Aktivisten. Die Bewegung von Extinction Rebellion bezieht sich direkt auf die Forschungen von Chenoweth. Auch der Einfluss der "Fridays for Future"-Bewegung passt in dieses Muster. Das ist ermutigend. Doch könnte man den Richtungswechsel in der Flüchtlingspolitik im Jahr 2016 eben auch als "Erfolg" einer "Protestbewegung" begreifen.

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Sackgasse der Gewalt

Es gibt viele Gründe, warum gewaltfreier Widerstand größere Gruppen anspricht. Viele Menschen lehnen Gewalt ab oder haben einfach Angst an brutalen Straßenschlachten teilzunehmen. Zudem werden gewalttätige Auseinandersetzungen stets von jungen Männern getragen – andere Gruppen wie Ältere oder Mütter sind praktisch ausgeschlossen. Die große Anzahl bei friedfertigen Protesten lähmt dagegen den Einsatzwillen von Polizei und Militär, gewalttätige Aktionen stärken ihn.

Quellen: Harvard GazetteBBCCivil Resistance: What Everyone Needs to KnowWhy Civil Resistance Work PDF

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