Kirche und Loge nur „scheinbar“ unvereinbar?

Freimaurerei


Erwiderung auf die Behauptung, Kirche und Loge seien nur „scheinbar“ unvereinbar.
Erwiderung auf die Behauptung, Kirche und Loge seien nur „scheinbar“ unvereinbar.

(Rom) In der Zeit­schrift Nuo­vo Hiram des Groß­ori­ents von Ita­li­en (1/​2019) wur­de der Arti­kel „Katho­li­scher Glau­be und Frei­mau­re­rei: eine schein­ba­re Unver­ein­bar­keit“[1] von Fabio Amici, Mei­ster vom Stuhl der Loge „Gugli­e­mo Mili­oc­chi“ Nr. 1020 von Peru­gia, ver­öf­fent­licht. Der Katho­lik Fabio Can­cel­li ant­wor­tet dem Freimaurer.

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Amici gibt zu, daß „alle Doku­men­te, die vom Hei­li­gen Stuhl als gül­tig betrach­tet wer­den, eine radi­ka­le, objek­ti­ve und grund­sätz­li­che Unver­ein­bar­keit zwi­schen christ­li­chem Glau­ben und der Mit­glied­schaft in der Frei­mau­re­rei zum Aus­druck brin­gen, sowohl in theo­lo­gi­scher als auch in mora­li­scher Hin­sicht“. Dann geht er zum offe­nen Brief von Kar­di­nal Gian­fran­co Rava­si über, der am 14. Febru­ar 2016 in der Wirt­schafts­zei­tung Il Sole 24 Ore den Wunsch nach einem Dia­log zwi­schen Kir­che und Frei­mau­re­rei auf der Grund­la­ge der „zahl­rei­chen gemein­sa­men Wer­te“ äußerte.

Zur Geschich­te des Ver­hält­nis­ses von Kir­che und Loge von 1738 bis heu­te sagt der Frei­mau­rer Amici, daß die unmit­tel­ba­re Nach­kon­zils­zeit von 1965 bis 1983 eine Peri­ode der „geschei­ter­ten Ver­söh­nung“ war. Trotz ver­schie­de­ner Dia­lo­ge und der Bemü­hun­gen von Gelehr­ten, Kir­chen­ver­tre­tern und Bischofs­kon­fe­ren­zen bekräf­tig­te die römi­sche Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on die Unver­ein­bar­keit zwi­schen Kir­che und Frei­mau­re­rei, zuerst 1981 und erneut 1983. 

Nuovo Hiram, Ausgabe 1/2019
Nuo­vo Hiram, Aus­ga­be 1/​2019

Amici bezeich­net die von der Kir­che vor­ge­brach­te Begrün­dung der Unver­ein­bar­keit als „halt­lo­se Argu­men­te“, denn die Frei­mau­re­rei sei weder ratio­na­li­stisch noch rela­ti­vi­stisch noch dei­stisch. Er zitiert zum Beleg zwei Stel­len aus Gau­de­te et exul­ta­te, dem drit­ten und bis­her jüng­sten Apo­sto­li­schen Schrei­ben von Papst Fran­zis­kus, um davon zu über­zeu­gen, daß das Fest­hal­ten an der Vor­stel­lung einer siche­ren und unab­än­der­li­chen katho­li­schen Glau­bens­leh­re Abschot­tung, gei­sti­ge Ver­en­gung, Här­te und „Neo-Gno­stizi­mus“ zur Fol­ge hät­te. Er, Amici, bevor­zu­ge dage­gen „einen offe­nen und dia­lo­gi­schen Ansatz der nach­kon­zi­lia­ren Kir­che von Fran­zis­kus, der mit der eben­so offe­nen Sicht­wei­se der Frei­mau­re­rei ver­ein­bar und nicht in Kon­flikt scheint.“

Ipse dixit!

Wir wol­len dem Frei­mau­rer Amici aber ant­wor­ten, indem wir die Schrit­te sei­nes Arti­kels auf­grei­fen. Amici zitiert den Jesui­ten, P. Jean Bap­ti­ste Bey­er (1914–2002), Dekan der Fakul­tät für Kir­chen­recht an der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Gre­go­ria­na in Rom. Seit Anfang der 70er Jah­re des vori­gen Jahr­hun­derts behaup­te­te P. Bey­er, daß man nicht gene­rell von einer Unver­ein­bar­keit zwi­schen christ­li­chem Glau­ben und Frei­mau­re­rei spre­chen kön­ne, son­dern die­se „von Fall zu Fall und auf der Grund­la­ge der rea­len und objek­ti­ven Situa­ti­on einer jeden frei­mau­re­ri­schen Obö­di­enz fest­stel­len“ müsse. 

Die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on wider­spricht P. Bey­er in die­sem Punkt.

Indem wir die Von-Fall-zu-Fall-Theo­rie auf­grei­fen, wol­len wir uns den Groß­ori­ent von Ita­li­en anschau­en, dem Amici ange­hört. Der Mei­ster vom Stuhl der Loge Nr. 1020 behaup­tet, daß es in der Frei­mau­re­rei weder Rela­ti­vis­mus noch Deis­mus gibt. Der Frei­mau­rer San­ti Fede­le gibt uns aber etwas ande­res zu ver­ste­hen. Fede­le ist seit 2014 Bei­geord­ne­ter Groß­mei­ster des Groß­ori­ents von Ita­li­en und seit 2019 auch Mit­glied der ita­lie­ni­schen Kom­mis­si­on der UNESCO. San­ti schreibt in Nuo­vo Hiram (2/​2017), daß im Groß­ori­ent von Ita­li­en der Logen­bru­der frei ist, den „Gro­ßen Bau­mei­ster aller Wel­ten“ im the­isti­schen oder dei­sti­schen, im tran­szen­den­ten oder imma­nen­ten Sinn, als „schöp­fe­ri­sches Wesen“ oder als „ord­nen­de Kraft“ zu verstehen.

Loge des Großorients von Italien: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Loge des Groß­ori­ents von Ita­li­en: Frei­heit, Gleich­heit, Brüderlichkeit

Amici schreibt, daß in der Frei­mau­re­rei „die Ableh­nung des Dog­ma­tis­mus nicht die Dog­men des reli­giö­sen ‚Glau­bens‘ betrifft, weil – wie wir wis­sen – die Frei­mau­re­rei sich weder mit Reli­gi­on befaßt noch reli­giö­se Wege anbie­tet. Der Hin­weis bezieht sich auf den phi­lo­so­phi­schen Dog­ma­tis­mus, ver­stan­den im moder­nen und dia­lek­ti­schen Sinn der Aver­si­on gegen jene, die dazu nei­gen, ihre Theo­rien zu ver­ab­so­lu­tie­ren, ohne bereit zu sein, sie kri­tisch zur Dis­kus­si­on zu stel­len (und schon gar nicht, sie zu über­den­ken oder zurückzuweisen)“.

In Wirk­lich­keit unter­gräbt auch der phi­lo­so­phi­sche Anti­dog­ma­tis­mus, den Amici ver­tei­digt, die reli­giö­sen Dog­men, die frü­her oder spä­ter vom frei­mau­re­ri­schen Geist zur Dis­kus­si­on gestellt oder bezwei­felt und damit rela­ti­viert wer­den. Die Ableh­nung des „Dog­ma­tis­mus“ ist eine der Alten Pflich­ten des Frei­mau­rers und als Pflicht auch wie­der im Arti­kel 9 der neu­ge­faß­ten Kon­sti­tu­tio­nen des Groß­ori­ents von Ita­li­en fest­ge­schrie­ben, die 2018 beschlos­sen wurden. 

Amici hal­ten wir auch ent­ge­gen, daß die Gno­sis und die Neo-Gno­sis nichts mit uns Katho­li­ken, die wir in den Glau­bens- und Moral­dog­men ver­an­kert sind, zu tun haben. Gno­sis und Neo-Gno­sis erhe­ben viel­mehr den Anspruch, die­se Dog­men im Namen einer initia­ti­schen, eso­te­ri­schen oder alchi­mi­sti­schen Erkennt­nis zu über­win­den, indem Initia­ti­ons­ri­ten des „sym­bo­li­schen Todes“ oder der „com­ple­xio oppo­si­torum“ prak­ti­ziert werden. 

Was den eso­te­ri­schen Aspekt der Frei­mau­re­rei betrifft, sind die Schrif­ten des Groß­red­ners Clau­dio Bon­vec­chio erhel­lend, der dann Bei­geord­ne­ter Groß­mei­ster des Groß­ori­ents von Ita­li­en wur­de (z.B. sein Auf­satz „Frei­mau­re­rei und Eso­te­rik, in: Nuo­vo Hiram, 3/​2017). Und in der Tat, wenn man die Tür zur initia­ti­schen und eso­te­ri­schen Dimen­si­on öff­net, erfaßt man deut­li­cher die wirk­li­che Unver­ein­bar­keit zwi­schen Loge und Kirche.

Auch der Frei­mau­rer Amici öff­net in sei­nem Arti­kel die­se Tür ein biß­chen, wenn er schreibt: „Das ein­zi­ge wah­re Ziel der frei­mau­re­ri­schen Initia­ti­on ist es, in den Men­schen die ‚Kraft des Hei­li­gen‘ zu wecken und zu ver­stär­ken, das heißt, eine Dimen­si­on, die über das Gewöhn­li­che hin­aus­geht, sowohl in ethi­schen (dem Wer­te-Sakra­len) als auch in spi­ri­tu­el­len Begrif­fen (dem Göttlich-Sakralen)“. 

Erzbischof Riccardo Fontana, Bischof von Arezzo, bei der Freimaurertagung.
Erz­bi­schof Ric­car­do Fon­ta­na, Bischof von Arez­zo, bei der Frei­mau­rer­ta­gung 2019.

In der­sel­ben Aus­ga­be 1/​2019 von Nuo­vo Hiram ist neben dem Arti­kel von Amici auch der Auf­satz des Frei­mau­rers Mar­co Roc­chi über den Bei­trag der Frei­mau­rer zu den Natur­kul­ten wäh­rend der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on inter­es­sant.[2] Wie könn­te man die Affi­ni­tät des Den­kens zwi­schen frei­mau­re­ri­schen Krei­sen und jenen nicht sehen, die die Natur sakra­li­sie­ren, also die „Mut­ter Erde“ zum „locus theo­lo­gi­cus“ erhe­ben und die anti­ken, heid­ni­schen Kul­te für Epi­pha­ni­en des Gei­stes halten? 

Immer in der­sel­ben Aus­ga­be von Nuo­vo Hiram erklärt der Frei­mau­rer Otto­ri­no Cata­ni, daß „unse­re Frei­mau­rer­ri­tua­le“ den Zugang zur „hei­li­gen Zeit“, näm­lich zum „Zen­trum“, dem „hei­li­gen Raum“ ermög­li­chen, in dem „die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit dem Him­mel oder mit der Höl­le“ mög­lich ist.[3]

Und immer in Nuo­vo Hiram 1/​2019 spielt der Frei­mau­rer Fran­ces­co Simo­net­ti auf „die initia­ti­sche Tod-Wie­der­ge­burt“ im frei­mau­re­ri­schen Ritu­al an.[4] Simo­net­ti schreibt: „Die Initia­ti­on führt zu einer tie­fen Trans­for­ma­ti­on des Selbst“ (S. 61).

Dar­aus ergibt sich die rhe­to­ri­sche Fra­ge: Geht es in den Riten des Groß­ori­ents von Ita­li­en auch um Magie? 

In der Tat hat der amtie­ren­de Groß­mei­ster des Groß­ori­ents, Staf­a­no Bisi, das Vor­wort zum erst jüngst erschie­ne­nen Buch des Frei­mau­rers Sal­va­to­re Luca d’Ascia, „Magie und Frei­mau­re­rei. Die initia­ti­sche Welt ver­ste­hen“, geschrie­ben.[5] In einem Inter­view erklärt d’Ascia, daß die Frei­mau­re­rei auf dop­pel­te Wei­se mit dem anti­ken Ägyp­ten ver­bun­den ist. Im Vor­wort schreibt Groß­mei­ster Bisi, daß das Buch „die Türen zum Ver­ständ­nis der wei­ten, viel­ge­stal­ti­gen und kom­ple­xen Welt der Initia­ti­on öff­net und […] ein frucht­ba­res und nütz­li­ches Instru­ment der Ana­ly­se und der Ver­tie­fung sein will für jene, die sich der Magie und der Frei­mau­re­rei mit gro­ßer Sorg­falt, Inter­es­se, Vor­sicht und Respekt annä­hern“. Das ach­te und letz­te Kapi­tel des Buches ist dem The­ma „Die Magie der Frei­mau­rer“ gewid­met.[6]

Was bleibt also von den beschwich­ti­gen­den Behaup­tun­gen des Frei­mau­rers Fabio Amici, wenn sie sogar in der­sel­ben Aus­ga­be von Nuo­vo Hiram auf so ekla­tan­te Wei­se wider­legt werden?

Ein Fra­ge.

Weiß der Erz­bi­schof von Arez­zo, der am 18. Mai 2019 an einem Fest­akt zum 150. Grün­dungs­ju­bi­lä­um der Loge „Bene­det­to Cai­ro­li“ Nr. 119 des Groß­ori­ents von Ita­li­en teil­nahm, die­se Dinge?

Großmeister Bisi (links) und Erzbischof Fontana bei der Freimaurertagung 2019.
Groß­mei­ster Bisi (links) und Erz­bi­schof Fon­ta­na bei der Frei­mau­rer­ta­gung 2019.

Text: Fabio Can­cel­li
Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: gran​de​ori​en​te​.it (Screen­shots)


[1] Fabio Amici: Fede cat­to­li­ca e Massoneria: una incon­ci­lia­bi­li­tà appa­ren­te, Nuo­vo Hiram, 1/​2019, S. 21–28.

[2] Mar­co Roc­chi: I con­tri­bu­ti masso­ni­ci ai cul­ti rivo­lu­zi­o­na­ri (Die frei­mau­re­ri­schen Bei­trä­ge zu den Revo­lu­ti­ons­kul­ten), Nuo­vo Hiram, 1/​2019, S. 4–13.

[3] Otto­ri­no Cata­ni: Il tem­po miti­co ed il tem­po masso­ni­co (Die mythi­sche Zeit und die frei­mau­re­ri­sche Zeit), in: Nuo­vo Hiram, 1/​2019, S. 32.

[4] Fran­ces­co Simo­net­ti: Ori­gi­ne del­le pra­ti­che ini­zia­ti­che e fun­zio­ne del Ritua­le (Ursprung der Initia­ti­ons­prak­ti­ken und Funk­tio­nen des Ritu­als), ), in: Nuo­vo Hiram, 1/​2019, S. 60.

[5] Sal­va­to­re Luca d’Ascia: Magia e Massoneria. Com­pren­de­re il mon­do ini­zia­ti­co, Edi­zio­ni Medi­ter­ra­nee, Roma 2019). 

[6] ibid. La magia dei masso­ni.

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