Die Kinderopfer der Inkas


Eine der Eismumien: Ein Kind, das von den Inkas den Göttern als Menschenopfer gebracht wurde.
Eine der Eismumien: Ein Kind, das von den Inkas den Göttern als Menschenopfer gebracht wurde.

(Lima) Ohne direk­ten Zusam­men­hang mit der Ama­zo­nas­syn­ode wur­de Ende Sep­tem­ber über die Arbeit von Archäo­lo­gen in Peru berich­tet. Eine For­schungs­tä­tig­keit, die ange­sichts der jüngst so pene­tran­ten Prä­senz von Pacha­ma­ma-Dar­stel­lun­gen eine beson­de­re Rele­vanz erhält.

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Die Pacha­ma­ma, was wört­lich „Welt­mut­ter“, und nicht „Mut­ter Erde“ heißt, war eine Gott­heit Süd­ame­ri­kas, die über eine von meh­re­ren Wel­ten (Pacha heißt Welt, Pach­a­ku­na sind die Wel­ten) herrsch­te, was auch Kos­mos und Ära meint.

Die Inkas, die Hoch­kul­tur Süd­ame­ri­kas, auf wel­che die Spa­ni­er stie­ßen, als sie den neu­ent­deck­ten Kon­ti­nent erkun­de­ten, ver­ehr­ten die Pacha­ma­ma als Dra­chen­göt­tin. Ihr und ande­ren Gott­hei­ten opfer­ten sie Tie­re und zu beson­ders wich­ti­gen Anläs­sen auch Men­schen. Die Men­schen­op­fer, die bis­her nach­ge­wie­sen wer­den konn­ten, waren alles Kinder.

Die Archäo­lo­gen wis­sen inzwi­schen soviel: Die­se Kin­der, die den heid­ni­schen Göt­tern von den Inkas geop­fert wur­den und die von Archäo­lo­gen auf den Gip­feln von Vul­ka­nen gefun­den wur­den, konn­ten aus ver­schie­de­nen Tei­len des Rei­ches stam­men. Die Archäo­lo­gen, ins­be­son­de­re pol­ni­sche, ken­nen min­de­stens ein Dut­zend Orte in Peru, an denen die Inkas vor etwa 500 Jah­ren auf den Gip­feln von Ber­gen oder Vul­ka­nen ihren Göt­tern Kin­der opfer­ten. Die­se Men­schen­op­fer waren Teil des Capacocha-Rituals.

Dag­ma­ra Socha, Bio­ar­chäo­lo­gin des Cen­tro de Estu­di­os Andi­nos (CEAC) der Uni­ver­si­tät War­schau in Cuz­co, unter­such­te im Rah­men eines gemein­sam mit Rudi Cha­vez Perea, Direk­tor des San­tua­ri­os Andi­nos Muse­ums der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät San­ta Maria (Uni­ver­si­dad Cato­li­ca de San­ta Maria) in Are­qui­pa (Peru), durch­ge­führ­ten Pro­jekts meh­re­re Jah­re lang die Über­re­ste die­ser Kinder.

In die­sem Jahr kon­zen­trier­ten sich die For­scher auf die Kin­der­op­fer, die auf zwei Vul­ka­nen, dem 6288 Meter hohen Ampa­to und dem 5665 Meter hohen Pic­chu Pic­chu, pla­ziert wur­den. Vor eini­gen Jahr­zehn­ten fand der US-ame­ri­ka­ni­sche Anthro­po­lo­ge Johan Rein­hard die Mumi­en die­ser Kin­der in sit­zen­der Posi­ti­on auf stei­ner­nen Platt­for­men. Gegen­wär­tig wer­den die­se Eis­mu­mi­en im Museo Sanc­tu­ri­os Andi­nos gekühlt aufbewahrt.

Laut Dr. Socha glaub­ten die Inkas, daß Kin­der zum Zeit­punkt der Opfe­rung zu Ver­mitt­lern zwi­schen den Göt­tern und der Mensch­heit wür­den. Die Inkas, so die Wis­sen­schaft­le­rin, betrach­te­ten die Kin­der als rein und makel­los. Makel­los und jung­fräu­lich muß­ten die Men­schen­op­fer daher sein. Ent­spre­chend sorg­sam wur­den sie offen­bar aus­ge­wählt. Ihr Sta­tus soll­te es den Göt­tern erleich­tern, kon­kre­te Ent­schei­dun­gen zu treffen.

Den genau­en Schlüs­sel bei der Aus­wahl der geop­fer­ten Kin­der ken­nen die Wis­sen­schaft­ler aller­dings noch nicht. Sie brauch­ten „auf jeden Fall außer­ge­wöhn­li­che Eigen­schaf­ten“ wie Schön­heit oder eine bestimm­te sozia­le Her­kunft, sag­te Socha gegen­über Szy­mon Zdzie­błow­ski von Sci­ence in Pol­and, einer Inter­net­sei­te des pol­ni­schen Wis­sen­schafts­mi­ni­ste­ri­ums. Bei einem der Mäd­chen, des­sen Über­re­ste auf einer Platt­form auf dem Pic­chu Pic­chu gefun­den wur­den, stell­ten die For­scher eine absicht­li­che Defor­ma­ti­on des Kop­fes fest, der gezielt ver­län­gert wur­de. Es ist bekannt, daß die­se Pra­xis nicht in den Ber­gen, son­dern in den Ebe­nen und an den Küsten des Inka-Rei­ches ange­wen­det wur­de. Dies könn­te bedeu­ten, daß die­ses Mäd­chen aus einer Fami­lie stamm­te, die in einer vom Opfer­platz weit ent­fern­ten Regi­on lebte.

Anhand der Zäh­ne konn­ten die Wis­sen­schaft­ler fest­stel­len, daß das Mäd­chen ent­we­der eine bestimm­te Zeit Hun­ger lei­den muß­te, oder ein schwe­res Trau­ma erlit­ten hat­te, und zwar im Alter von drei Jah­ren. Damals dürf­te das Mäd­chen von den Eltern nach Cuz­co gebracht wor­den sein, um dort drei Jah­re lang auf ihre Opfe­rung vor­be­rei­tet zu wer­den. Das Trau­ma könn­te durch die Tren­nung von den Eltern ver­ur­sacht wor­den sein, ent­we­der erst in Cuz­co oder bereits zu Hau­se. Dann wäre das Kind bereits von Ver­tre­tern des theo­kra­ti­schen Inka-Rei­ches in die Haupt­stadt gebracht worden.

Eini­ge der sterb­li­chen Über­re­ste von sechs Kin­dern, die in die­sem Jahr von Dag­ma­ra Socha unter­sucht wur­den, waren mumi­fi­ziert, wenn auch nicht alle. Ande­re Über­re­ste sind schlecht erhal­ten und eini­ge wei­sen Brand­spu­ren auf. Socha erklärt es damit, daß die Inkas Opfer­platt­for­men an Orten errich­te­ten, die dem Blitz aus­ge­setzt waren. Es gibt zahl­rei­che Bewei­se dafür, daß die­se Platt­for­men wie­der­holt von Blit­zen getrof­fen wur­den. Blit­ze stell­ten in der Kos­mo­lo­gie der Inkas Ver­bin­dun­gen zwi­schen den ver­schie­de­nen Göt­ter-Wel­ten (Pach­a­ku­na) und der Men­schen­welt dar.

Wäh­rend die Höhen­la­ge der Opfer­stät­ten dazu führ­te, daß die geop­fer­ten Kin­der als Per­ma­frost­lei­chen, soge­nann­te Eis­mu­mi­en, zum Teil sehr gut erhal­ten blie­ben, gilt das wegen der Blitz­ein­schlä­ge nicht immer für ihre Kleidung.

Laut den Inkas wur­de einer Per­son, die vom Blitz getrof­fen wur­de, eine gro­ße Ehre erwie­sen, da ein Gott Inter­es­se an ihr bekundete.

Die von der pol­ni­schen Archäo­lo­gin unter­such­ten Mumi­en sind jetzt in einem ähn­li­chen Zustand wie vor ihrer Ent­deckung. Die Mumi­en muß­ten nicht bewegt wer­den. Die Wis­sen­schaft­ler ver­wen­de­ten Rönt­gen­strah­len, um die Inter­fe­ren­zen mit den Über­re­sten zu mini­mie­ren. Dies ermög­lich­te es, auch zahl­rei­che Gegen­stän­de zu ent­decken, die den Kin­dern als Grab­bei­ga­ben mit­ge­ge­ben wur­den: Gold­bro­schen zur Befe­sti­gung der Gewän­der, höl­zer­ne Gegen­stän­de wie Ritu­al­be­cher, aber auch eine Gold­röh­re und sogar Blütenblätter.

Das bekann­te­ste Bei­spiel eines erhal­ten geblie­be­nen Men­schen­op­fers der Inkas ist der Jun­ge vom El Plo­mo, der 1954 nahe dem Gip­fel des 5424 Meter hohen Cer­ro El Plo­mo in Chi­le gefun­den wur­de. Zum Zeit­punkt sei­ner Opfe­rung war er acht Jah­re alt. Sei­ne Haut war zum Zeit­punkt der Auf­fin­dung noch weich, als wäre er soeben erst ver­stor­ben. Dabei lag die Opfe­rung fast 500 Jah­re zurück. Durch den Abtrans­port in tie­fe­re Lagen mumi­fi­ziert der Jun­ge dann und wur­de fast steinhart.

Ins­ge­samt konn­ten bis­her auf 192 Ber­gen im dama­li­gen Inka-Reich Anla­gen für Opfer­ze­re­mo­nien aus­fin­dig gemacht wer­den. Auf 14 Ber­gen wur­den bis­her 27 erhal­ten geblie­be­ne Men­schen­op­fer des Capa­co­cha-Ritu­als ent­deckt. Alle wur­den über 5400 Metern Mee­res­hö­he gefun­den, was ihre Kon­ser­vie­rung erklärt. 

Das Capa­co­cha-Ritu­al war im Inka-Reich Teil des reli­gi­ös moti­vier­ten Staats­kul­tes. Der Jun­ge von El Plo­mo wur­de nach 1483, als Zen­tral­chi­le in das Inka-Reich ein­ge­glie­dert wur­de, und noch vor 1533 geop­fert, als die Spa­ni­er die Gegend erreich­ten und den Men­schen­op­fern ein Ende bereiteten.

Cronica: Menschenopfer auf den Bergen
Coro­ni­ca (1615): Men­schen­op­fer auf den Bergen

Die Kin­der wur­den laut den Wis­sen­schaft­lern mit Koka­blät­tern und fer­men­tier­ten Geträn­ken betäubt, bevor sie leben­dig „begra­ben“ wur­den. Zumin­dest in den hoch­ge­le­ge­nen Opfer­stät­ten erfro­ren sie schnell, wobei sie die hocken­de Kör­per­hal­tung weit­ge­hend bei­be­hiel­ten, in der sie zu sit­zen hat­ten. In die­ser Posi­ti­on wur­den sie dann ver­ehrt – schau­rig-gru­se­li­ge – wie leben­de Tote. 

Don Feli­pe Waman Puma de Aya­la, ein Indio, gebo­ren um 1550 im spa­ni­schen Vize­kö­nig­reich Peru, in einer Gegend, die heu­te im Süden des heu­ti­gen Peru liegt, ver­faß­te eine mehr als tau­send Sei­ten umfas­sen­de Geschich­te der Anden­völ­ker, die auch 398 Zeich­nun­gen ent­hält (sie­he Abbil­dung). Sei­ne Mut­ter­spra­che war Quechua, die Spra­che des Inka-Rei­ches. Als Kind lern­te er Spa­nisch. Eine sei­ner Zeich­nun­gen zeigt auch, wie ein auf einem Berg geop­fer­tes Kind ver­ehrt wird. Sei­ne Chro­nik endet mit sei­nem Tod im Jahr 1615. Die Beschrei­bung schil­dert, daß in vor­christ­li­cher (vor­ko­lum­bi­scher) Zeit, Men­schen­op­fer üblich waren. Die erwähn­te Zeich­nung bringt das zum Aus­druck, aber auch, daß am Beginn des 17. Jahr­hun­derts die geop­fer­ten Kin­der von Tei­len der Indi­os noch ver­ehrt wurden.

Aus­führ­lich schil­dert Don Feli­pe Waman Puma de Aya­la die Opfer­bräu­che für die ver­schie­de­nen Gott­hei­ten, dar­un­ter Pach­a­ka­maq. Allen waren neben ande­ren Opfer­ga­ben auch Kin­der in grö­ße­rer oder gerin­ge­rer Zahl geop­fert worden. 

Sei­ne Pri­mer Nue­va Coró­ni­ca y Buen Gobier­no wur­de vor eini­gen Jah­ren von der Kon­ge­li­gen Biblio­tek in Kopen­ha­gen, in deren Besitz sie sich befin­det, voll­stän­dig im Inter­net zugäng­lich gemacht.

Grund­sätz­lich ist anzu­mer­ken, daß es in ver­gan­ge­nen Epo­chen, län­ger oder weni­ger lang zurück­lie­gend, in vor­christ­li­cher Zeit in allen Völ­kern und Kul­tu­ren Men­schen­op­fer gab. Daß der wah­re Gott kei­ne Men­schen­op­fer will, mach­te er bereits in der Gene­sis, dem Ersten Buch der Bibel, in der ver­hin­der­ten Opfe­rung des Isaak durch sei­nen Vater Abra­ham klar. Zur Zeit Abra­hams, und noch lan­ge danach, waren Men­schen­op­fer im Nahen Osten offen­sicht­lich gän­gi­ge Pra­xis. In der Gött­li­chen Päd­ago­gik, dem gro­ßen zivi­li­sa­to­ri­schen Werk, führ­te Gott den Abra­ham und sei­ne Nach­kom­men vom Men­schen­op­fer weg vor­erst wegen des Unver­ständ­nis­ses der Men­schen, als Zwi­schen­stu­fe, zum Tier­op­fer, obwohl Gott selbst das nicht woll­te. Wo das Chri­sten­tum hin­kam, wur­de von ihm die­se Grau­sam­keit über­wun­den, was sei­ne her­aus­ra­gen­de zivi­li­sa­to­ri­sche Bedeu­tung ver­deut­licht – und den Kon­trast zur Wie­der­kehr heid­ni­scher Göt­zen wie der Pacha­ma­ma im Rah­men der Ama­zo­nas­syn­ode umso deut­li­cher macht.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Pri­mer Nue­va Coró­ni­ca y Buen Gobier­no (Screen­shots)

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