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»Göttliche Kraft am Steißbein«

SPIEGEL-Redakteur Heinz Höfl über die fränkische Prophetin Gabriele Wittek und ihr Heimholungswerk *
aus DER SPIEGEL 19/1985

Wahrlich, wahrlich, ich bin euch nahe«, spricht die Prophetin Gabriele, »näher als eure Arme und Beine, näher als euer Atem.«

»O erkennet«, sagt sie, »in vielen Ländern errichte ich wahre echte christliche Lichtzentren«, zu denen »die unendliche Kraft« aus einem »Christuszentrum« strömen wird.

Denn, so die Prophetin mit anschwellender Stimme: »Aine grooße Zaith hath begonnen, die Zaith des Christus« - Pause - »maine Zaith.«

Auch in Lautschrift läßt sich nur unzureichend darstellen, mit welchem biblischen Pathos Gabriele Wittek, 52, Hausfrau und Prophetin aus Würzburg-Lengfeld, bei »Offenbarungen« und »Großoffenbarungen« auf ihr Auditorium mit zuweilen 2000 Menschen einredet - und das mit wachsendem Erfolg.

Allein in der Bundesrepublik gibt es mittlerweile rund hundert »Kirchen der Inneren Religion« nach Würzburger Art, und Gabriele Witteks Offenbarungen werden schon in 24 Sprachen von Afrikaans bis Yoruba übersetzt. 60 freiwillige Helfer arbeiten als Übersetzer, Dolmetscher, Korrekturleser und Schreiber an Spezialschreibmaschinen für das »Heimholungswerk Jesu Christi e. V.«.

Vierzig Referenten und »Jung-Propheten« sind in der Bundesrepublik, in Österreich, in der Schweiz, in Italien, Spanien, Frankreich und den USA unterwegs, um das Würzburger Werk in Vorträgen zu erläutern - in der katholischen Bischofsstadt am Main hat sich eine religiöse Gesellschaft etabliert, die sich mit ihren 40 000 Anhängern auch neben Groß-Sekten wie denen von Bhagwan oder Mun sehen lassen kann.

Vor allem handelt es sich, wie die »Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen« fast respektvoll anerkennt, um eine »genuin deutsche Sonderbildung«, die »nicht als Importware und Fremdkörper angesprochen« werden könne. Offenbarung made in Germany.

Das »religiöse Geschäftsunternehmen«, das mit »meditativer Indoktrination«, einem »gesteigerten Messianismus« sowie »modernsten Werbe- und Marketingstrategien« in eine »emotionale Marktlücke« vorstößt, wie das Bischöfliche Ordinariat in Würzburg sich ausdrückt, hat für Broschüren, Flugblätter und Plakate bereits 78,8 Tonnen Papier verbraucht. Die »Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen« fügt in ihrem »Materialdienst« über die »Prophetin der Jetztzeit« hinzu: »Auch der Teufel kann Erfolg haben.«

Gabriele Witteks steiler Weg nach oben erinnert stark an eine religiöse Tellerwäscherkarriere. Nach eigener Erinnerung wuchs sie »in einfachen und schlichten Verhältnissen« in der Nähe von Augsburg auf, durchlief »so recht und schlecht« die Volksschule und arbeitete dann als Kontoristin in einer Tuchgroßhandlung.

Außer einem kindlichen Silvestererlebnis, bei dem sie »auf der Fensterbank ein kleines Wesen stehen« sah, erinnerte bei der Heranwachsenden, die im Kirchenchor sang und gerne Handball spielte, noch nichts an die himmlische Zukunft.

Mit ihrem Mann Rudolf, einem Ingenieur bei einer Flüssiggas-Firma, und ihrer Tochter Michaela, heute 20, zog sie erst nach München und dann nach Würzburg. Dort hatte sie ihr »lebensänderndes Grunderlebnis« - den frühen Tod der Mutter. Er brachte sie »total aus dem Gleichgewicht« und zu der Frage: »Was ist das für ein Leben, nur Arbeit, nur sparen, nur Tag für Tag ums tägliche Brot sorgen?«

Bald erschien ihr die verstorbene Mutter und ein »Wesen im lichtblauen Kleid mit langen blonden Haaren«. Am 6. Januar 1975 hörte sie erstmals auch Stimmen: »Fürchte dich nicht, denn die reingeistige Welt ist um dich«, und von da an »brach tagtäglich der Heilige Geist hindurch«.

Der frühe Lebensweg der angehenden Prophetin wurde von dem aus dem nahen Kitzingen stammenden Ökonomie-Professor Walter Hofmann überliefert. Er hatte bereits 20 Jahre lang »versucht, Gott in mir näher zu kommen«, unter anderem durch »neun Forschungsreisen in das Himalaja-Gebiet« und Einkehr bei »Meistern aus dem fernen Osten« - doch bei alledem »nichts verspürt«.

Bei Gabriele Wittek hingegen, »einer schlichten, einfachen Frau«, spürte der Professor auf Anhieb den »reinen und absoluten Gottesgeist« und sich selber »frei von Untugenden und von niederen Gedanken«. Oft bis tief in die Nacht stellte er der »Prophetin des Herrn« viele Fragen, und »in echter Feldforschungsarbeit« quartierte er sich schließlich im Reihenhaus der Witteks ein, »um die Vorgänge ununterbrochen zu beobachten« und sich »ein untrügliches Bild machen zu können«.

Penibel, wie Professoren nun einmal sind, hat Hofmann in einer Broschüre ("Ein ehemals geistig unwissender Mensch auf dem Pfad zu Gott") aufgeschrieben, wie sich Offenbarungen und Prophezeiungen von Grund auf entwickeln: Zuerst wurde die angehende Prophetin von »schweren Seelenkämpfen« durchgeschüttelt, die sie »Tag und Nacht peitschten«. Danach stand sie »zwischen Licht und Finsternis«. Gabriele Wittek: »Es war ein Ziehen und Zerren.«

Die Fromme mußte ja in der »1. Klasse der Grundschule des Geistes« anfangen und wurde »von Null an aufgebaut«. Ausbilder war kein Geringerer als der »Geistlehrer Bruder Emanuel, Cherub der Göttlichen Weisheit«. Er brachte ihr die »Lichtsprache« bei sowie »die

Aufnahme und Wiedergabe des reinen Gotteswortes«.

Doch mit den göttlichen Eingebungen nahmen offenbar auch die Komplikationen zu. Zuerst empfand die Prophetin nur einen »ständigen Wind um die Stirn«, so als sei »Zugluft im Raum«. Doch es war bereits das »Wehen des Heiligen Geistes«. Nach wenigen Monaten fühlte sie schon »eine Art Bächlein nach unten laufen und von unten wieder nach oben«.

Bei fortschreitender »Belichtung der Gehirnzellen« mehrten sich die Symptome. Zuerst wird es laut Professor Hofmann bei herannahenden Offenbarungen »im Scheitelbereich sehr kühl«, dann fließt die »göttliche Kraft in der linken Körperseite« abwärts und sammelt sich »in der Höhe des Steißbeins«, doch gleich zieht sie »rechts an der Wirbelsäule wieder empor«, dringt »aus den Augen und aus den Wangen«, strömt in Kehlkopf und Stimmbänder und »dringt dann als kühler Hauch aus dem Mund«.

Der kühle Hauch von Gabriele, und das ist das Phänomenale am Würzburger Heimholungswerk, schmeißt zuweilen die stärksten Männer um. Da ist zum Beispiel der Würzburger Bäckermeister Rudi Schönleber, 58, Herr etlicher Gesellen und Lehrbuben und eines florierenden Geschäfts, Vater zweier Söhne und ehedem ein eifriger Handballspieler, der kein Spanferkelessen ausließ und auch mal einen »Saufabend« einlegte.

Nach einem Meditationskursus bei Professor Hofmann und dem Besuch etlicher Wittek-Offenbarungen gelangte Schönleber zu der Erkenntnis, daß es »net Sinn und Zweck des Lebens ist, nur zu essen und zu trinken«. Er ließ ab von den Spanferkeln, und sein Bekanntenkreis wurde »kleiner«. Auch die Familie zog nicht voll mit; sein ältester Sohn, ein Beamter des Freistaats, distanzierte sich, und Vater Schönleber findet: »Der is noch so, wie ich früher war.«

Allerdings hält sich Bäckermeister Schönleber mit seinem religiösen Engagement noch im Zaum. Er ist zwar mit zehntausend Mark bei der »Kosmobio-Nahrungs GmbH & Co. Beteiligungs KG«, der »Führungsgesellschaft für alle gewerblichen Aktivitäten« des Heimholungswerks (Gründungsmitglieder: Gabriele und Rudolf Wittek), eingestiegen, doch seine ganze Bäckerei will er vorerst lieber »nicht einbringen«. Schönleber: »Wenn ich fanatisch wäre, tät' ich es.«

Kein Zweifel, daß sich das Heimholungswerk auch eine Bäckerei einverleiben würde. Denn bei den unternehmerischen Aktivitäten wird Jesus Christus, so wie er aus Gabriele Wittek spricht, in seinen Offenbarungen ganz schön deutlich. »Mein nächstes Anliegen wäre ein Bauernhof«, sprach Gott aus der Prophetin, »dort will ich das Manna vom Himmel regnen lassen und eure Felder bewässern, eure Felder bestellen.«

Die Gemeinde reagierte prompt. Binnen eines Jahres hatte die werkseigene »Kosmobio-Nahrungs GmbH« für 900 000 Mark ein Anwesen im Weiler Ruppertzaint, Gemeinde Gänheim bei Arnstein, requiriert mit 15 Hektar Feld und zwei Hektar Wald. Der Bauernhof trägt den Namen »Gut zu leben« und

wird von zwei jungen Ehepaaren und zwei gläubigen Bäckern bewirtschaftet. Es gibt »kein Fernsehen und kein Fleisch« (Schönleber), und das Heimholungswerk sagt klipp und klar, wem der karge Rest versagt bleibt: »Faulenzer und Tagediebe haben in unseren Betrieben keinen Zutritt.«

Der Bauernhof, eine der geplanten »Versorgungsquellen für die Kinder Gottes«, beliefert bereits das sekteneigene vegetarische Restaurant »mal was anderes« in der Würzburger Bahnhofstraße und wohl bald auch das aus einem ehemaligen Hotel entstandene »Haus des Gemeinwohls« in der Würzburger City direkt neben dem DGB-Haus und der unterfränkischen CSU-Geschäftsstelle.

Mit dem »Haus des Gemeinwohls« bekommt die Sekte erstmals eine feste Zentrale. Denn seit der ersten Offenbarung vor acht Jahren in einer Nürnberger Gaststätte hat das Heimholungswerk ausschließlich ambulant operiert. Sogar an ihrem Wohnort Würzburg nahm die Prophetin, die auch in New York, Rom, Marseille und New Haven auftrat, mit einem gemieteten Vortragssaal im Hauptbahnhof vorlieb.

Die unstete Organisation entsprach auch dem Selbstverständnis des Heimholungswerks. Es wollte erklärtermaßen »keine Statuten, Satzungen und Glaubensbekenntnisse, keine Hochgestellten und keine Untergebenen, keine Dogmen, Zeremonien und Riten, keine Institutionen und Sekten, keine prunkvollen goldüberladenen Gebetshäuser, keine Geweihten, sondern nur Brüder und Schwestern«.

Das hat sich mit dem ersten eigenen Haus ein wenig geändert. Jeden Freitagabend trifft sich nun die Würzburger Gemeinde mit ihrer Prophetin. Auch für das »urchristliche Heilen« der Sekte ("Bei Krebs gehe man des morgens, ganz auf die Gotteskraft ausgerichtet, durch Weizen- und Roggenfelder") ist in dem vierstöckigen Gebäude jetzt reichlich Platz. Entgegen der Urvorstellung gibt es in Bruder Pius Wipfler auch schon eine Art Beerdigungspfarrer.

An der Pforte im neuen Haus sitzt Schwester Eva, Tochter eines Sanatoriumsbesitzers im Allgäu, die sich ihr Brot als Verwaltungsangestellte beim Vater verdient - und an jedem freien Tag nach Würzburg kommt, um ehrenamtlich für ihre Sekte zu arbeiten. Wohlsortiert und griffbereit hat sie die vielen Broschüren und Tonbandkassetten mit den Offenbarungen von Schwester Gabriele zum Verkauf ausliegen. Inzwischen ist auch schon die vierte Ausgabe des monatlichen Verbandsblatts »Der Christusstaat« ("Unabhängig-überkonfessionell") auf dem Markt.

Das Zwei-Seiten-Blättchen kann nicht abonniert werden, wird aber gegen Zeichnung eines Festbetrags ("ab DM 10,- monatlich") gern zugesandt.

Auch mit Großanzeigen gegen die evangelische und katholische Kirche, »die beiden Großsekten«, gewann das Heimholungswerk Profil - und natürlich auch von dem giftigen Echo, das von dort zurückhallte: »Gefährliche Sekte«, »dämonisch-satanisch«, »knallharte Geschäftsgründung«.

Ohne Echo blieb bislang ein Brief der Prophetin an den Papst: »Lieber Bruder ... der Herr wünscht ein Zwiegespräch mit dem Oberhaupt einer kirchlichen Organisation, die sich wohl dem Namen nach christlich nennt, jedoch weit entfernt vom wahren christlichen Denken und Handeln ist ... Die wahre Kirche heißt Heimholungswerk Jesu Christi ... gez. Geistlehrer Bruder Emanuel.«

Die geistlichen wie die ökonomischen Aktivitäten des eingetragenen Vereins haben ständig zugenommen, und das alles soll erst der Anfang sein. Der aus Schwester Gabriele redende Geist Christi setzt strikt auf Expansion.

»Handwerksbetriebe möchte ich«, sprach er am 24. Januar 1983 in der »Inneren Geist-Christus-Kirche« in Salzburg, und fügte in aller göttlichen Deutlichkeit hinzu: »Wer liebt, der gibt.«

Drei Tage später in Nürnberg machte Gabriele Witteks Geist, der sich nach Angaben der Prophetin auch bei der »Umgestaltung der Eßecke in unserem Wohnzimmer« schon mal kurz »einschaltet«, Personalwerbung fürs Heimholungswerk: »Bist du ein Bäcker, so komme, bist du ein Schreiner, so komme, bist du ein Schuster, so komme, bist du ein Schneider, so komme, bist du ein gesitteter, guter Verkäufer, so komme.«

Allenfalls der letzten Kategorie konnte sich ein hagerer, blasser Mann zugehörig fühlen, der neuerdings oft im Würzburger »Haus des Gemeinwohls« anzutreffen ist: Bruder Jens, der eigentlich in einer Millionärs-Villa am Starnberger See wohnt und dem in München ein Maschinenbauunternehmen mit 1,3 Milliarden Mark Jahresumsatz und zehntausend Beschäftigten gehört.

Dr. Jens D. von Bandemer, 49, hat nach einem Studium der Volkswirtschaft in Basel promoviert und anschließend die Managerschule Insead in Fontainebleau bei Paris absolviert. Zwei Jahrzehnte lang arbeitete er in seiner »Knorr-Bremse KG«, wo er sich im Lauf der Jahre gegen seinen Onkel und Partner Joachim Vielmetter durchsetzte und zuletzt über 99 Prozent der Anteile hielt.

Doch »einen Monat nachdem ich die Firma ganz hatte, zog ich mich zurück«,

erläutert von Bandemer. Er nahm dabei in Kauf, daß »die Leute glaubten, daß sie nun von einer Sekte regiert würden oder einem Verrücktgewordenen gehören«. Denn neben seiner beruflichen Karriere, bei der er sich »nie voll ausgelastet« fühlte, betrat der Multimillionär vor einigen Jahren einen religiösen Pfad, der ihn nach vielen Umwegen schließlich nach Würzburg führte.

Aus einem einst »engagierten Konfirmanden«, so der Edelmann über sich selbst, wurde ein »lauer Christ«. Erst nachdem er sich in fernöstlich orientierten Meditationen »Sinne, Hören und Sehen verbessern« und das »Bewußtsein erweitern« hatte lassen, nahm seine geistige Laufbahn eine »relativ rasante Entwicklung«. Nach der Einkehr bei den Anthroposophen und »einem kurzen Flirt« bei den Scientologen intensivierte er seine Kirchenbesuche - aber alles ohne rechte Befriedigung.

Schließlich lockte ihn ein Plakat »Christus spricht wieder« zur Prophetin aus Würzburg - die ihn freilich auch »nicht auf Anhieb überzeugt« hat. Immerhin sah er, daß die bei Gabriele Wittek versammelten Menschen »irgendwas ausstrahlten«, »sehr ernst und wirklich ergriffen« waren und einfach die »ganze Atmosphäre etwas anderes war als in der Kirche«.

Nach zweimal einem halben Jahr Würzburger Meditationen war von Bandemer dann doch sicher, »daß da wirklich Christus spricht«, und die Offenbarungen der Prophetin lehrten ihn, daß Gott »ein manifestiertes Wesen ist, das man auch schauen kann«, und »nicht der Mann mit dem Bart«.

Die religiöse Quintessenz nach jahrelangem Suchen ist für den inzwischen aus der evangelischen Kirche ausgetretenen Fabrikanten, daß die Kirchen nicht wegen zuviel frommem Brimborium an Mitgliederschwund leiden, sondern im Gegenteil »weil sie zu wenig bieten, was die Leute innerlich befriedigt«.

In dieser Hinsicht hat der adlige Bruder Jens bei der »Posaune Gottes« (Gabriele Wittek über Gabriele Wittek) wahrscheinlich nichts mehr zu entbehren. Die Speisevorschriften zum Beispiel beziehen sich ja nicht nur auf das knusprige Spanferkel des Bäckermeisters, sondern auch auf Wurst, Fleisch und Fisch ganz allgemein - alles »gesetzeswidrige Nahrung«. Die Prophetin: »Mir wird übel, wenn ich diese Dinge nur ansehen muß.«

Gabriele Wittek nimmt inzwischen nur noch, »was vom Baum und Strauch fällt«, zuweilen auch etwas Gemüse und Milchprodukte. Doch sie hofft, »daß mein Körper auch diese Stoffe bald nicht mehr brauchen wird«. In einigen Schriften wird ein in der Öffentlichkeit noch ziemlich unbekanntes Nahrungsmittel empfohlen: der »Äther« - »die beste, reinste und höchste Nahrung«.

Jedenfalls reicht sie mitunter nicht hin. Im Ruhrgebiet ist der Sektenanhänger Vladimir Peraic, 42, der die Lehren offenbar allzu wörtlich nahm, laut ärztlichem Bulletin »an Unterernährung, Eiweiß- und Fettentzug« gestorben.

Auch für den Bereich Sex und Sinnlichkeit hat Geistlehrer Bruder Emanuel über Gabriele Wittek längst seine »göttlichen Gesetze« durchgesagt, die sich in altfränkischer Rigorosität gegen »tierische Neigungen« und »zügelloses Leben« wenden. Wer aber trotz aller Hinwendung zu Gott seine »Körperplagen hinsichtlich der Sinnlichkeit« nicht völlig beherrschen könne, der müsse sich zumindest vor »dieser gesetzeswidrigen Handlung« mit folgendem »Merksatz programmieren": »Ich bin bestrebt, diese Neigungen zu lassen und mich ganz auf den Weg der Reinheit und Selbstlosigkeit zu begeben.«

Jens von Bandemer, Vater von zwei Söhnen und einer Tochter, ist über die Probleme der »niedrigen Schwingungen« durch falsches Essen und Leben wohl längst hinaus. »Mein Sinnen und Trachten ist, daß endlich die Lehre des Nazareners verwirklicht wird«, schrieb er an den Oberbürgermeister von Würzburg, »mit allem, was ich habe, möchte ich in der Nähe dieser Stadt, wenn möglich dort, wo Anschluß zu den Autobahnen ist, eine Gemeinde gründen, die wirklich die Bergpredigt lebt.«

Fürs erste will sich der Millionär mit einer Handwerkersiedlung begnügen, in der mittels Tausender neuer Arbeitsplätze die Grundbedürfnisse der Menschen nach Frieden und Harmonie nicht vernachlässigt werden sollen. »Wir ahnen, daß es sehr viel weiter gehen wird«, so von Bandemer, »warum soll zum Beispiel später nicht eine Kleider- oder Nudelfabrik hinzukommen?«

Das hört sich schon fast wieder nach Knorr-Bremse an, zumal der Baron auch als Manager des Glaubens nicht auf eine »Entscheidungshierarchie« verzichten möchte. Gleichwohl hofft er auf »eine andere Art von Wirtschaft«, »ohne Gewinnmaximierung« und basierend auf dem »Prinzip der Brüderlichkeit«.

Bruder Jens ganz persönlich macht schon die ersten Gehversuche im Geiste der Bergpredigt. »Kein Mensch braucht einen Achtzylinder«, hat von Bandemer richtig erkannt - und sich deshalb bei Mercedes einen Sechszylinder bestellt.

Heinz Höfl
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