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Panorama Verschwörungstheoretiker

Der Arzt, der behauptet, Krebs heilen zu können

Facebook Screenshot Wunderheiler Bernd Klein Leonard Coldwell Facebook Screenshot Wunderheiler Bernd Klein Leonard Coldwell
Ein Wunderheiler? Der Facebookauftritt von Leonard Coldwell
Quelle: Screenshot Die Welt
Jeder Krebs, behauptet Bernd Klein alias Dr. Coldwell, sei in kurzer Zeit heilbar. Das angebliche Erfolgsrezept: Positives Denken ist gesund, Stress macht krank. Wer ist der Mann, dem viele glauben?

Bernd Klein läuft auf der Bühne auf und ab. Er trägt ein weit geschnittenes Sakko. Er sieht darin aus wie ein Offizier.

Die Bilder stammen von einem seiner seltenen Auftritte vor Publikum, die gefilmt und im Internet veröffentlicht wurden. Klein erzählt an diesem Tag im April 2015 die Geschichte, die er eigentlich immer erzählt: „Als ich zwölf Jahre alt war und meine Mutter noch sechs Monate zu leben hatte, da habe ich gesagt“, er hält inne, „‚Gott, wenn du mir hilfst, meine Mutter zu heilen, werde ich den Rest meines Lebens damit verbringen, anderen Eltern und Kindern zu ersparen, was meine Mutter und ich durchmachen mussten.‘“

In der Kongresshalle in Kassel herrscht Stille. Klein schaut ins Publikum: „Ich bin heute hier, um mein Versprechen zu halten“, sagt er. Der Rest seines Satzes geht im Applaus unter.

Klein ist ein begabter Redner. Wenn er auf der Bühne steht, spult er routiniert sein Programm ab. Wie ein Kabarettist, der seine Sketche erzählt, springt er von Kunstpause zu Kunstpause. Er spricht über die „Lügen der Ärzte, der Industrie und der Politik“. Er warnt vor einer großen Verschwörung. Vor allem aber spricht Klein über sich selbst. Seine Rolle heißt Dr. Leonard Coldwell. Zwischen Klein und einem Kabarettisten gibt es nur einen Unterschied: Klein meint seine Sache ernst.

Bernd Klein war einmal ein eher unbedeutender Motivationstrainer. Aber er hatte, sagen ehemalige Mitstreiter hinter vorgehaltener Hand, schon immer ein großes Ego. Irgendwann nannte sich Klein „Leonard Codwell“. Aus den USA, wo er seit Mitte der Neunziger Jahre lebt, gibt es sogar eine Urkunde für die Namensänderung. Dazu erwarb Klein einige Doktortitel von Universitäten wie der Columbia State. Titelmühlen, die für Geld akademische Grade verhökern. Geboren war „Dr. Coldwell“.

In Coldwells Biografie, die er von sich verbreitet, heißt es, „Dr. C“ sei „nach Meinung aller maßgeblichen Gesundheitsexperten die weltweit größte Autorität für natürliche Heilmittel und Heilmethoden für Krebs“. Er habe eine dokumentierte 92-prozentige Heilungsrate der Krankheit – allein, die Dokumentation bleibt Coldwell schuldig. Die Pharmaindustrie, „Feinde der Volksgesundheit“, jedoch bekämpfe ihn mit allen Mitteln: Druck auf seine Therapeuten, Bestechung seiner Patienten und sogar mit Auftragskillern.

Verschwörungstheorien und soziale Netzwerke

Fakt und Fiktion verschwimmen nicht selten. Verschwörungstheorien boomen. Und auch Coldwell profitiert von diesem Zeitgeist. Trotz seiner zweifelsohne besonderen rhetorischen Begabung vor Live-Publikum, sind es die sozialen Netzwerke, die Coldwell nach vielen Jahren relativer Bedeutungslosigkeit zu wachsender Popularität verhelfen. Er und sein Team posten heute Ausschweifungen zu „Pharmalügen“ und „Krankmachern“, sondern auch zu Themen wie „Chemtrails“, Flüchtlinge und eine zionistische Weltverschwörung. Mit Erfolg: Mehr als 20.000 Menschen folgen Coldwell mittlerweile auf Facebook, Tendenz steigend.

An seiner „Karriere“ lässt sich nachzeichnen, wie ideologische Brandstifter die sozialen Medien nutzen. Da wird provoziert, werden Andersdenkende der Lüge bezichtigt und da verlässt man sich auf die algorithmusbedingte Blindheit der Netzwerke.

Wer wissen will, welche Thesen der 59-Jährige vertritt, muss nicht lange suchen. Es gibt stundenlange Videos auf Youtube. Interviews zum Beispiel, mit dem früheren Dokumentarfilmer Michael Vogt, der heute als Verschwörungstheoretiker auftritt und Kontakte in die rechtsextreme Szene pflegt. Coldwell spricht meistens von seinem Lieblingsthema, dem Betrug der Pharmaindustrie, die Menschen krank mache, um aus ihnen Profit zu schlagen. Jeder Krebs, behauptet er, sei in wenigen Wochen heilbar. Das vermeintliche Erfolgsrezept: Positives Denken ist gesund. Stress macht krank.

Er wurde bereits als Hochstapler entlarvt

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Das Erfolgsrezept der Populisten, auf Fakten zu verzichten und gegen jede Vernunft zu argumentieren, hat Coldwell verinnerlicht. Mehr als 30.000 Krebspatienten habe er erfolgreich behandelt, behauptet Coldwell immerzu, und verweist auf die bereits zitierte Heilungsquote. Auch wird er nicht müde, sein persönliches Risiko zu erwähnen: Weil mehrere Mordanschläge auf ihn verübt worden seien, beschütze ihn nun der Bodyguard von US-General David Petraeus persönlich. Und während er all das sagt und schreibt, erfreut er sich immer mehr Jubel und Likes.

Die ZDF-Sendung „Frontal 21“ hatte Coldwell bereits Ende der Neunziger Jahre als Hochstapler entlarvt. Coldwell warb damals damit, für große Unternehmen wie Telekom oder Lufthansa zu arbeiten. 1999 fragten die Journalisten bei den betreffenden Firmen nach. Das Ergebnis: Von Coldwell hatte man dort nie gehört.

Coldwells Geschichte kann man als die eines Spinners abtun, die es schon immer gegeben hat. Doch wann wird solche Spinnerei gefährlich? Wahrscheinlich, wenn einer seiner Anhänger an Krebs erkrankt, oder noch schlimmer: Wenn es ein Kind trifft und die Eltern es mit Backpulver behandeln anstatt ins Krankenhaus zu gehen. Dabei haben angebliche Wunderheiler Tradition.

Wortgewaltig in der Reichsbürger-Szene

Coldwell wurde um so politischer je mehr Zuspruch es ihm einbrachte. Es gipfelte in der öffentlichen Unterstützung für Adrian Ursache im vergangenen Sommer. Schon im Juli machte sich Coldwell auf seinen Online-Kanälen für seinen „Freund“ stark, lud das selbst ernannte Oberhaupt des Staates Ur in seine Radio-Sendung „Dr. Coldwell Meinung“ ein und schimpfte mit ihm gemeinsam gegen „Regierungsschergen“, die freie Bürger drangsalierten.

Einige Wochen später lieferte sich Ursache bei der Zwangsräumung seines Hauses, gewissermaßen seines Staates Ur, eine Schießerei mit der Polizei. Das verschaffte ihm einige Prominenz, von „Bild“ bis „FAZ“ berichteten fast alle Medien über den ehemaligen Mister Germany, der sich selbst zwar nicht als Reichsbürger sieht, mit seinen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Bundesrepublik jener Ideologie jedoch sehr nahesteht.

Wie groß der Einfluss Coldwells auf Ursache war, ob das Öl, das er ins Feuer goss, für die Schießerei vielleicht sogar mitverantwortlich ist, ist nicht zu beantworten. Unzweifelhaft ist dagegen, dass Coldwells Wort in der Szene Gewicht hat. Nur wenige Tage nach dem Vorfall trat Sandra Ursache, deren Mann schwer verletzt im Gefängniskrankenhaus lag, in Coldwells Radiosendung auf.

Dass sich der angebliche Krebsheiler für Ursache engagierte, ist kein Zufall. Denn nach vielen Jahren im selbst gewählten Exil, kommt Coldwell zunehmend häufiger nach Deutschland zurück. Am 1. April etwa wird er in Hannover auftreten, am 9. April in Dießen am Ammersee. Die Gemeinschaft, die er in seiner Wahlheimat USA gegründet hat, findet auch hierzulande immer mehr Anhänger. Coldwell nennt sie IBMS-Masters-Society (IBMS: Instinct Based Medicine System), für die er mit dem Versprechen wirbt: „IBMS Coaching ist der Weg zur individuellen persönlichen Perfektion in jedem Lebensbereich.“

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Die deutsche „IBMS-Masters-Society“ trifft sich zweimal im Jahr mit ihrem Guru. Zuletzt im August. Wer damals von Coldwell zum IBMS-Coach ausgebildet werden wollte, musste 5000 Euro berappen – für den ersten von insgesamt vier Ausbildungsteilen. Es gibt ein Gruppenbild mit 42 IBMS-Coach-Anwärtern.

Der Mann, der „geheimes Wissen“ verkauft

Szenekenner erinnert IBMS an das „Global Information Network“, eine Sekte des Amerikaners Kevin Trudeau, zu dem Coldwell viele Jahre eine enge Beziehung pflegte. Die Parallelen zwischen beiden Männern sind augenscheinlich: Auch Trudeau trat als Autor sowie in Radio- und Fernsehsendungen auf, warb für alternative Heilmethoden und scharrte Anhänger um sich, die für viel Geld angeblich geheimes Wissen erwerben konnte. 2014 wurde er in den USA wegen Betrugs zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Auf Nachfrage zu Coldwells Beziehungen zu Trudeau, zu seinen fragwürdigen Heilmethoden und Doktortiteln sowie seinen antisemitischen Aussagen, reagierte das IBMS-Team mit nur einem (orthografisch einmal mehr fehlerhaften) Satz: „Viel Erfolg hoffentlich haben Sie einen Guten Strafverteidiger und Zivilanwalt.“

Coldwells Unterstützung für Adrian Ursache und dessen Anhänger im Kampf gegen die illegale Bundesrepublik hat mitlerweile nachgelassen. Es geht auf Coldwells Kanälen wieder weniger um Politik als vielmehr um tödliche Strahlungen, Impfreaktionen und Heilpflanzen. Vielleicht ergeht es dem falschen Doktor ja wie der geächteten Pharmaindustrie. Mit Gesundheit lässt sich einfach mehr Geld verdienen.

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