Deutschland und seine Soldaten: zwischen Vertrauen und Unverständnis

Die Bundeswehr geniesst in Deutschland hohe Zustimmung, wenn sie Brunnen baut oder Katastrophenhilfe im Inneren leistet. Mit dem militärischen Kern der Armee tut sich das Land auch nach zwanzig Jahren Afghanistan-Einsatz schwer.

Oliver Maksan, Berlin
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So sehen die Deutschen ihre Armee am liebsten: Soldaten helfen in den gegenwärtigen Überschwemmungsgebieten.

So sehen die Deutschen ihre Armee am liebsten: Soldaten helfen in den gegenwärtigen Überschwemmungsgebieten.

Christoph Hardt / Imago

Sandsäcke stapeln, Behelfsbrücken bauen, Menschen mit Helikoptern bergen: Mit vollen Kräften packen Soldaten derzeit in den westdeutschen Überschwemmungsgebieten an, seit die Bundeswehr in militärischen Katastrophenalarm versetzt wurde. Schaufel statt Gewehr: Es sind Bilder wie diese, die die Deutschen von ihrer Armee am liebsten sehen und die zu ihrer Akzeptanz beitragen. 2020 hatten immerhin vier von fünf Deutschen ein mehr oder weniger positives Bild von der Bundeswehr.

Politik und Bevölkerung tun sich vor allem dann schwer, wenn es um den militärischen Kern der Armee geht. Jüngstes Beispiel: das unwürdige Gezerre um die rechte Art des Danks an die Bundeswehr für zwanzig Jahre Afghanistan-Einsatz. Immerhin knapp 160 000 Soldaten hatte das Parlament nach Afghanistan entsandt. 59 von ihnen kamen in Särgen zurück. Es dauerte, bis sie als Gefallene bezeichnet werden durften. Die Lernkurve, dass deutsche Soldaten in ein Kriegsgebiet geschickt wurden und kämpfen mussten, war lang. Die ersten Soldaten patrouillierten noch ohne Helm und Waffe im Anschlag durch Kabul.

Nun doch ein Grosser Zapfenstreich vor dem Reichstag

Als kürzlich die letzten Soldaten wieder in Deutschland landeten, war trotz dem langen Einsatz kein einziges Mitglied der Bundesregierung zur Stelle, um sie zu begrüssen. Der stille Empfang sei so vereinbart gewesen, um eine schnelle Heimkehr zu den Familien zu ermöglichen, hiess es aus dem nervösen Verteidigungsministerium. Offenbar sah man dort aber ein, dass man symbolisch nicht weiter untertreiben durfte.

Wenig später jedenfalls verwarf man die ursprüngliche Planung, den offiziellen Dank der Bundesrepublik am Sitz des Ministeriums abzuhalten. Am 31. August wird es nun einen Grossen Zapfenstreich vor dem Berliner Reichstagsgebäude geben – also im Herzen der parlamentarischen Demokratie, in deren Auftrag die Bundeswehr in den Einsatz geht.

Die Verrenkungen sind typisch für die deutsche Politik. Aber haben es im individualistischen, postheroischen Westen Streitkräfte nicht überall schwer? Michael Wolffsohn, ehemaliger Historiker an der Universität der Bundeswehr in München, differenziert: «Sie haben es gleich schwer, aber die Bundeswehr hat es noch ein bisschen schwerer», meint er. «Aus gutem historischen Grund ist das Verhältnis ‹der› Deutschen zu ihren Streitkräften gebrochener als woanders.» Denn historisch – nicht organisatorisch und schon gar nicht ideologisch – stünden sie in der Tradition der Wehrmacht.

Saubere Trennung von NS-Terror und Wehrmacht

Dabei war gerade die saubere Trennung von Wehrmacht und NS-Terror die mentale Bedingung, um nach dem Krieg überhaupt an eine Wiederbewaffnung des westdeutschen Teilstaates denken zu können und Millionen ehemaliger Wehrmachtssoldaten nicht gegen den neuen Staat aufzubringen. Mit der umstrittenen Wehrmachtsausstellung 1995 brach diese Fiktion freilich endgültig zusammen. Kanzler Adenauer und mit ihm die Bonner Republik nutzten sie aber. Sie waren dabei Vernunft-, keine Herzensmilitärs, als sie 1955 eine deutsche Nachkriegsarmee gründeten.

«Bei der Vereidigung der ersten Rekruten war man sehr darauf bedacht, jeden emotionalen Überschwang zu vermeiden. Es sollte dadurch das Ausland beruhigt werden, aber auch Rücksicht auf den Protest gegen die Wiederbewaffnung in Deutschland selbst genommen werden», meint Professor Jörg Echternkamp. Er ist Wissenschaftlicher Direktor am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam.

Viele laufen Sturm gegen die Wiederbewaffnung

Tatsächlich stiess der Wehrbeitrag der jungen Bundesrepublik auf heftigen Widerstand. SPD, Kirchen und Gewerkschaften liefen Sturm. Viele Menschen hatten genug von allem Militärischen. Andere fürchteten, dass mit der militärischen Westintegration die Wiedervereinigung des geteilten Landes in grosse Ferne rücken würde. Doch mit ihrer organisatorischen Konsolidierung, vor allem aber durch den mit dem Bau der Berliner Mauer schärfer werdenden Ost-West-Konflikt, gewann die junge Armee schnell an Zustimmung.

Ende eines langen Einsatzes: Die letzten deutschen Afghanistan-Soldaten nach ihrer Rückkehr am 30. Juni auf dem Luftwaffenstützpunkt Wunstorf.

Ende eines langen Einsatzes: Die letzten deutschen Afghanistan-Soldaten nach ihrer Rückkehr am 30. Juni auf dem Luftwaffenstützpunkt Wunstorf.

Hauke-Christian Dittrich / EPA

Auch die 1956 eingeführte allgemeine Wehrpflicht wurde bald mehr und mehr akzeptiert. Ein ernsthafter Bruch trat erst später ein. «Mit der achtundsechziger Bewegung gerieten die Werte von grossen Teilen der Bevölkerung in Widerspruch zu denen der Bundeswehr», so Echternkamp. «Die vor allem von jungen Menschen postulierte Selbstentfaltung stand im Gegensatz zu militärischen Tugenden wie Gehorsam und Unterordnung.» Dementsprechend stieg die Zahl der Wehrdienstverweigerer von etwa 19 000 Personen 1970 sprunghaft auf über 70 000 im Jahre 1977.

Wehrdienstverweigerung aus Bequemlichkeit?

Die Berufung auf hehre Gewissensgründe hält der Historiker Wolffsohn derweil für überwiegend vorgeschoben. Die jungen Männer hätten meist aus Bequemlichkeit den Dienst an der Waffe verweigert. Hinzu komme, dass in Deutschland – historisch verständlich, aber längst unrealistisch und politisch falsch – Gewalt als Mittel der Politik kategorisch als illegitim gelte. «Dabei vergessen gerade diese Deutschen, dass ihre Demokratie erst durch Gegengewalt möglich wurde: durch die Gegengewalt zur Gewalt Hitlerdeutschlands. Diese Haltung der Mehrheitsdeutschen ist daher ahistorisch, antihistorisch und naiv.»

Besonders deutlich wurde dieser pazifistische Zug mit den Protesten gegen den sogenannten Nato-Doppelbeschluss und die damit verbundene atomare Raketenaufstellung. Nie hatte Westdeutschland bis dahin solche Protestmassen wie in den frühen achtziger Jahren gesehen. Abschreckungsbefürworter standen radikalen Pazifisten gegenüber.

Mit dem Ende des Kalten Krieges wandelte sich die Bedrohungslage in Europa und der Welt. Vom Ende der Geschichte sprachen manche. Doch schon mit dem Jugoslawienkrieg in den frühen Neunzigern war klar, dass das voreilig war. Der Balkan hielt Westeuropa auch nach dem Massaker von Srebrenica in Atem. Nach gewaltigen inneren Auseinandersetzungen stimmte deshalb ausgerechnet Rot-Grün 1999 dem Kosovo-Einsatz zu. Die Transformation der Bundeswehr vom Werkzeug klassischer Landes- und Bündnisverteidigung hin zum Instrument weltweiter Verantwortungsübernahme war damit in vollem Gang.

Ausgerechnet die Union schafft die Wehrpflicht ab

Dem gegenüber stand, dass es ausgerechnet eine Unions-geführte Bundesregierung war, die 2011 faktisch die Wehrpflicht abschaffte. Dass die emotionalen Bande zwischen Armee und Bevölkerung dadurch noch einmal brüchiger wurden, liegt für Professor Wolffsohn auf der Hand. Es sei ein Faktum, dass die Selbstisolierung von der allgemeinen, zivilen Gesellschaft durch die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht zugunsten einer Berufsarmee strukturell programmiert sei. «Jede Berufsarmee wird zum Staat im Staate.»

«Dank der Nation für Afghanistan fehlt»

Sönke Neitzel, Militärhistoriker an der Universität Potsdam, hat diese zunehmende Entfremdung zwischen Armee und Gesellschaft untersucht. Er hat kürzlich mit «Deutsche Krieger» eine Militärgeschichte vom Kaiserreich zur Berliner Republik vorgelegt. Er meint: «Es fehlte bisher der Dank der Nation für den Afghanistan-Einsatz. Und es fehlen schon lange die ikonischen Bilder, die für die Verbundenheit von deutscher Gesellschaft und Bundeswehr stehen.» Die Soldaten wünschten sich aber nichts mehr, als dass auch das denkbar «scharfe Ende» ihres Berufs – der Tod im Einsatz – gesellschaftlich anerkannt werde, so Neitzel.

Ohne Androhung von Gewalt geht es nicht

Doch wie geht es weiter zwischen den Deutschen und ihrer Armee? Insgesamt bescheinigt Neitzel den Deutschen ein gestörtes Verhältnis zu einer Armee, die Gewalt anwendet. «Je ziviler das Militär bei uns agiert, desto besser. Dabei gehört die glaubwürdige Androhung von Gewalt und im Ernstfall auch ihre Anwendung zur Essenz der Streitkräfte – und nicht das Brunnenbauen.» Im Hinblick auf eine nicht zwangsläufig sicherer werdende Welt meint er: «Deutschland, Politik wie Gesellschaft, müssen sich fragen: Wollen wir militärisch interventionsfähig sein? Wollen wir von vorn führen?»

Falls diese Fragen mit Ja beantwortet würden, müsse man auch eine Kultur des Kämpfens akzeptieren, so Neitzel. «Das klingt für viele skandalös und nach Männlichkeitskult. Aber es ist die Voraussetzung, um etwa ein zweites Srebrenica aktiv verhindern zu können.» Optimistisch ist der Historiker nicht. «Die deutsche Gesellschaft mit ihrer militärskeptischen Neigung ist ein denkbar schlechter Humus, aus dem eine demokratische, einsatzfähige Armee erwachsen könnte.»