Samstag, 31. Januar 2015

Don Boscos Traum von den Säulen im Meer

Don Boscos Vision von der Zukunft der Kirche
Maria-Hilf-Basilika (Basilica di Maria Ausiliatrice), Turin


Am 26. Mai versprach Don Bosco einem Jungen, am vorletzten und letzten des Monats "etwas Schönes" zu erzählen. Nach dem Abendgebet des 30. Mai erfüllte er in seiner "Gute Nacht- Ansprache" das Versprechen:

"Zu Eurem geistlichen Vorteil will ich heute einen Traum erzählen, den ich vor wenigen Tagen erlebt habe. Stellt Euch vor, wir befinden uns an der Küste des Meeres oder besser noch auf einer einsamen Klippe und sehen kein Land außer dem Boden unter unseren Füßen. Auf dem weiten Meer erkennen wir eine unzählbare Menge von Schiffen, die sich für eine Seeschlacht geordnet haben. Sie verfügen über eiserne Schiffsschnäbel und sind mit Kanonen, Gewehren, sonstigen Waffen jeglicher Art und Brandsätzen ausgerüstet. Sie nähern sich einem Schiff, das viel größer ist als das ihrige und versuchen, dieses mit ihren spitzigen Schnäbeln zu beschädigen, es anzuzünden und ihm jeden nur möglichen Schaden zuzufügen. Das große Schiff wird von vielen kleinen Booten begleitet, die von ihm Befehle empfangen und das majestätische Schiff gegen die feindliche Flotte verteidigen. Sie haben starken Gegenwind und das aufgewühlte Meer scheint die Angreifer zu begünstigen.
Mitten im weiten Meer stehen in geringem Abstand voneinander zwei mächtige Säulen. Die eine wird von einer Statue der Immaculata gekrönt, zu deren Füßen auf einer Tafel die Inschrift steht: “Auxilium christianorum” (Helferin der Christen), auf der zweiten, viel höheren und mächtigeren Säule, sehen wir eine übergroße Hostie, darunter auf einem Schild die Worte: “Salus credentium” (Heil der Gläubigen).
Der Papst als Kommandant des großen Schiffes erkennt die Wut der Feinde und damit die Gefahr, in der sich seine Getreuen befinden. Er ruft deshalb die Steuermänner der Begleitboote zur Beratung auf sein Schiff. Der Sturm wird immer heftiger; die Kommandanten müssen auf ihre Boote zurückkehren. Nach Beruhigung der See ruft der Papst die Kommandeure ein zweitesmal zu sich. Plötzlich bricht der Sturm von neuem los.
Der Papst steht am Steuer und versucht mit aller Kraft sein Schiff zwischen die beiden Säulen zu lenken, an denen viele Anker und große Haken angebracht sind. Die feindlichen Schiffe beginnen nun mit dem Angriff und wollen das päpstliche Schiff versenken. Immer wieder versuchen sie Brandmaterial an Bord des großen Schiffes zu schleudern und feuern mit ihren Bordgeschützen aus allen Rohren. Trotz des leidenschaftlichen Kampfes der feindlichen Schiffe und des Einsatzes aller Waffen scheitert jedoch der Angriff, und das päpstliche Schiff durchpflügt, obwohl auf beiden Seiten bereits schwer angeschlagen, frei und sicher das Meer, denn kaum getroffen, schließt ein sanfter Wind, der von den beiden Säulen ausgeht, sofort jedes Leck.
Auf den Schiffen der Angreifer platzen jetzt die Kanonenrohre, die Schiffsschnäbel zerbrechen, viele Schiffe bersten auseinander und versinken im Meer. Plötzlich wird jedoch der Papst von einer feindlichen Kugel getroffen. Seine Helfer stützen ihn und richten ihn wieder auf, wenig später trifft ihn erneut ein feindliches Geschoß, und er sinkt tot zu Boden.
Bei der feindlichen Flotte erhebt sich ein Freuden‑ und Siegesgeschrei. Die auf dem päpstlichen Schiff versammelten Kommandeure wählen in solcher Eile einen neuen Papst, daß die Nachricht vom Tod des Steuermanns zugleich mit der Nachricht von der Wahl des Nachfolgers bei den Feinden ankommt. Jetzt verlieren diese plötzlich allen Mut, das päpstliche Schiff aber überwindet alle Hindernisse und fährt sicher zwischen die beiden Säulen, wo es vor Anker geht. Die Feinde flüchten, rammen sich gegenseitig und gehen zugrunde. Die kleinen Begleitboote des päpstlichen Schiffes rudern mit voller Kraft ebenfalls zu den beiden Säulen und machen dort fest. Auf dem Meer tritt eine große Stille ein.
 
***
 
An dieser Stelle fragte Don Bosco seinen späteren Nachfolger als Generaloberer, Don Michael Rua: “Was hältst Du von dieser Erzählung?” Don Rua antwortete: “Mir scheint, das Schiff des Papstes ist die Kirche, deren Oberhaupt er ist. Die anderen Schiffe sind die Menschen, das Meer ist die Welt. Jene, die das große Schiff verteidigen, sind die treuen Anhänger des Papstes, die anderen seine Feinde, die mit allen Mitteln die Kirche zu vernichten suchen. Die beiden Säulen bedeuten, wie mir scheint, die Verehrung Mariens und der hl. Eucharistie.” Don Bosco sagte: “Du hast gut gesprochen. Nur ein Ausdruck muß richtiggestellt werden: Die feindlichen Schiffe bedeuten die Verfolgungen der Kirche. Sie bereiten schwerste Qualen für die Kirche vor. Das, was bisher war, ist beinahe nichts im Vergleich zu dem, was noch kommen wird. Die Schiffe symbolisieren die Feinde der Kirche, die das Hauptschiff zu versenken suchten, wenn es ihnen gelänge.

Nur zwei Mittel verbleiben uns zur Rettung in dieser Verwirrung:

Die Verehrung der Gottesmutter und die häufige hl. Kommunion.

(Quelle

Mittwoch, 28. Januar 2015

Thomas von Aquin und die heilige Eucharistie

Thomas von Aquin, Dominikaner und Kirchenlehrer. Der Aquinate wurde um 1225 auf dem Schloss Roccasecca bei Neapel geboren und war von vornehmer Herkunft. Seit 1239 Student zu Neapel, lernte er dort den Dominikanerorden kennen, dem er gegen den Willen seiner Eltern um 1243 beitrat. Daraufhin überfielen ihn seine Angehörigen und hielten ihn zwei Jahre gefangen. Wieder in Freiheit sandte der Orden ihn zum Studium nach Paris oder Köln. In Köln war Thomas jedenfalls von 1248 bis 1252 Schüler des Albertus Magnus.
Nun wechselten längere Aufenthalte in Paris und und Italien einander ab. Seine wissenschaftlichen
Erkenntnisse legte er in zahlreichen Werken nieder. Auf den Schriften seines Lehrers Albert aufbauend, vollzog er als größte geistesgeschichtliche Tat des Mittelalters die Synthese zwischen den Lehren von Augustinus und von Aristoteles in Philosophie und Theologie in seinem Hauptwerk, der Summa theologica. Mit der arabischen Philosophie setzte er sich in der Summa contra gentiles auseinander.
Thomas schrieb die liturgischen Texte für das Fronleichnamsfest, – das „Adoro te devote“ und das „Lauda Sion Salvatorem“. Er erweist sich hierin auch als mystisch-spekulativer Dichter. Auf dem Weg zum 2. Konzil von Lyon starb Thomas an einer plötzlich aufgetretenen Krankheit in der Zisterzienserabtei Fossanuova am 7. März 1274. Thomas ist ohne Zweifel der größte Theologe der
Kirchengeschichte.
Er wird dargestellt im Dominikanerhabit mit Buch und Schreibfeder, mit Sonne, Stern oder Edelstein auf der Brust.
(Martyrologium Sancrucense)
  
der hl. Thomas wird durch Engel über die Wahrheit der Eucharistie belehrt, San Domenico, Bologna


Auf jeden Fall schreibt der gleiche Wilhelm von Tocco im 28. Kapitel seines Lebens des heiligen Thomas v. A. ausdrücklich: "Hauptsächlich verehrte Thomas das Allerheiligste Sakrament des Altares. Weil ihm vergönnt war, tiefsinniger (als andere) darüber zu schreiben, so wurde ihm gewährt, es auch frömmer zu feiern. Täglich las er nämlich eine Messe, wenn ihn nicht Krankheit daran hinderte, und als zweite hörte er die seines Gefährten oder eines anderen, wobei er sehr häufig ministrierte." Fast alle Zeugen, die im Heiligsprechungsprozess über Thomas v. A. aussagten, erwähnten u. a. dies, dass er jeden Tag mit größter Andacht vor allem anderen die heilige Messe feierte und dann noch eine weitere oder zwei gehört habe.
Daraus allein schon ersieht man, dass dem heiligen Thomas die Eucharistiefeier ganz besonders viel bedeutet haben muss. 

Wilhelm von Tocco aber weiß noch weiter zu berichten: "Thomas pflegte auch öfters in der Messe von einem so starken Gefühl der Hingabe ergriffen zu werden, dass er ganz in Tränen zerfloss, weil er von den heiligen Geheimnissen eines so großen Sakramentes verzehrt und aus den Gaben dieses Sakramentes erquickt wurde. Als er daher einmal im Kloster von Neapel am Passionssonntag in Anwesenheit vieler Ritter die Messe fromm feierte, sah man ihn während des Ablaufs des bereits begonnenen heiligen Mysteriums so von der Tiefe des Sakramentes ergriffen, dass er gleichsam den göttlichen Geheimnissen beizuwohnen schien und, wie man glauben darf, von den Leiden des Gottmenschen Jesus Christus bewegt war. Das schien die lange Geistesabwesenheit und die überquellende Tränenflut anzuzeigen. Als er länger so verharrte, kamen die bestürzten Brüder herbei und berührten ihn, damit er die heiligen Geheimnisse fortsetze, sie rüttelten ihn aus der Tiefe, in der die Entrückung ihn anscheinend an den heiligen Geheimnissen hatte teilnehmen lassen, auf. Nach der Feier des heiligen Mysteriums baten ihn einige Brüder und ihm vertraute Ritter, er möge ihnen doch sagen, was ihm in jener Entrückung zugestoßen sei, er möge ihnen das offenbaren, von dem er glaube, dass es ihnen zur Erbauung diene. Er aber weigerte sich, es zu sagen, und verbarg das ihm Geoffenbarte, damit er es nicht vergeude."



Wilhelm von Tocco berichtet in seinem Leben des heiligen Thomas von Aquin im 58. Kapitel: "Als der Lehrer Thomas v. A. (auf seinem Krankenlager in der Zisterzienserabtei Fossanuova) allzu schwach zu werden und er seinen Tod vorauszuahnen begann, da erbat er mit großer Frömmigkeit, man möge ihm die Wegzehrung für die christliche Pilgerreise reichen, das hochheilige Sakrament des Leibes Christi. Als es ihm ehrfurchtsvoll vom Abt und den Mönchen gebracht wurde, warf er sich zu Boden; zwar gebrechlich im Leib, aber tapfer im Geist, eilte er seinem Herrn unter Tränen entgegen. Als ihm das Sakrament des Herrenleibes gereicht und er zuvor noch gefragt wurde, wie der Sitte gemäß jeder Christ in seiner letzten Stunde über seinen Glauben besonders an dieses Sakrament geprüft wird, ob er glaube, dass jene konsekrierte Hostie der wahre Sohn Gottes sei, der aus dem Leibe der Jungfrau hervorgegangen ist und am Pfahl des Kreuzes gehangen hat, der für uns gestorben und am dritten Tage wieder auferstanden ist, da antwortete er mit klarer Stimme, aufmerksamer Frömmigkeit und unter Tränen: ´Wenn die Wissenschaft von diesem Sakrament in diesem Leben größer sein kann als der Glaube, so antworte ich mit ihr, dass ich wahrhaft glaube und als sicher weiß: Dieser ist wahrer Gott und Mensch, Sohn Gottes des Vaters und der Jungfrau Mutter, und so glaube ich mit meiner Seele und bekenne es im Worte, wie es der Priester über dieses heiligste Sakrament gelehrt hat.' Und nachdem er einige weitere fromme Worte vorausgeschickt hatte, empfing er das heiligste Sakrament und sagte: ´Ich empfange Dich als Lösepreis meiner Seele, ich empfange Dich als Wegzehrung für meine Pilgerfahrt; aus Liebe zu Dir habe ich studiert, gewacht und mich abgemüht, Dich habe ich gepredigt und gelehrt. Gegen Dich habe ich niemals etwas gesagt; sollte ich aber etwas gesagt haben, so habe ich es unwissend gesagt, und ich beharre nicht hartnäckig auf meiner Meinung, sondern wenn ich über dieses Sakrament oder über anderes schlecht gelehrt habe, so überlasse ich es ganz der Verbesserung durch die heilige römische Kirche, in deren Gehorsam ich nun aus diesem Leben scheide.' Es sagte aber der Lehrer Thomas bis zu seinem Ende mit größter Frömmigkeit und unter Tränen, was er bei der Erhebung des Leibes unseres Herrn zu sagen pflegte: ´Du König der Herrlichkeit, Christus, Du bist der ewige Sohn des Vaters!' Nachdem er in frommer Weise, sich selbst zum Verdienst, für andere zum Vorbild, das Sakrament empfangen hatte, begehrte er für den folgenden Tag noch die heilige Krankensalbung, damit ihn jener Geist der Salbung, der ihn mehr als jene, die seiner teilhaftig sind, gesalbt hatte, zum Himmel führe, nach dem er strebte."
Er erreichte dieses Ziel am 7. März 1274. Da ging in Erfüllung, wonach er sich so sehr gesehnt hatte: dass er enthüllt Gott anschaue von Angesicht und ewig selig sei in seiner Glorie Licht.
(F. Holböck, Das Allerheiligste und die Heiligen, 114ff)

Engel belehren Thomas über die hl. Eucharistie, San Domenico, Bolgona

Dienstag, 27. Januar 2015

Auschwitz-Birkenau - zum Erinnerungsgedenktag (2)




aus dem Museumsführer


















Bei ihrer Gefangennahme sagte Edith Stein tröstend zu ihrer Schwester: "Komm, wir gehen für unser Volk."

(vgl. Waltraud Herbstrith, Edith Stein, 108f)


Es ist also keine bloße pietätvolle Erinnerung an das Leiden des Herrn, wenn jemand nach Leiden verlangt. Das freiwillige Sühneleiden ist das, was wahrhaft und wirklich am tiefsten mit dem Herrn verbindet. (...) Nach Sühneleiden verlangen kann nur jemand, dessen Geistesauge geöffnet ist für die übernatürlichen Zusammenhänge des Weltgeschehens; das ist aber nur möglich bei Menschen, in denen der Geist Christi lebt, die als Glieder vom Haupt ihr Leben, seine Kraft, seinen Sinn und seine Richtung empfangen.
Andererseits verbindet die Sühneleistung näher mit Christus, wie jede Gemeinschaft zum Zusammenwirken an einem Werk immer inniger wird und wie die Glieder eines Leibes in ihrem organischen Zusammenspiel immer stärker eins werden.
Weil aber das Einssein mit Christus unsere Seligkeit ist und das fortschreitende Einswerden mit ihm unsere Beseligung auf Erden, darum steht Kreuzesliebe zu froher Gotteskindschaft keineswegs im Gegensatz.
Christi Kreuz tragen helfen, das gibt eine starke und reinige Freudigkeit, und die es dürfen und können, die Bauleute an Gottes Reich, sind die echtesten Gotteskinder.
(A. Neyer, H.-B. Gerl-Falkovitz, Edith Stein, 108f)










Sechzig Jahre sind nunmehr seit der Befreiung der Gefangenen des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vergangen. Aus diesem Anlaß kann man nicht umhin, in Gedanken an jenes Drama zurückzukehren, das dort als tragische Folge organisierten Hasses stattgefunden hat. In diesen Tagen heißt es der vielen Millionen Menschen zu gedenken, die ohne jede Schuld unmenschliche Qualen ertrugen und in den Gaskammern und Krematorien vernichtet wurden. Ich neige mein Haupt vor all denen, die diese Manifestation des mysterium iniquitatis erfahren haben.
Als ich im Jahre 1979 als Papst und Pilger das Lager von Auschwitz-Birkenau besuchte, verweilte ich vor den Gedenktafeln der Opfer. In verschiedenen Sprachen waren die Inschriften gehalten: Polnisch, Englisch, Bulgarisch, Roma-Sprache, Tschechisch, Dänisch, Französisch, Griechisch, Hebräisch, Jiddisch, Spanisch, Flämisch, Serbokroatisch, Deutsch, Norwegisch, Russisch, Rumänisch, Ungarisch und Italienisch. In all diesen Sprachen war die Erinnerung an die Opfer von Auschwitz niedergeschrieben, die Erinnerung an konkrete Menschen, obschon oft völlig unbekannt, an Männer, Frauen und Kinder. Ein wenig länger verweilte ich dann bei der Gedenktafel in hebräischer Schrift. Ich sagte: „Diese Inschrift weckt die Erinnerung an das Volk, dessen Söhne und Töchter zur völligen Vernichtung bestimmt sein sollten. Dieses Volk hat seinen Ursprung in Abraham, der auch unser Vater im Glauben ist (vgl. Röm 4, 11-12), wie es Paulus von Tarsus ausgedrückt hat. Gerade dieses Volk, das von Gott das Gebot empfangen hat: »Du sollst nicht töten«, hat an sich selbst in besonderer Weise erfahren, was das Töten bedeutet. An dieser Gedenktafel mit Gleichgültigkeit vorbeizugehen ist niemandem erlaubt.“





Heute wiederhole ich diese Worte. Niemandem ist es erlaubt, an der Tragödie der Schoah vorbeizugehen. Dieser Versuch, ein ganzes Volk planmäßig zu vernichten, liegt wie ein Schatten über Europa und der ganzen Welt; es ist ein Verbrechen, das für immer die Geschichte der Menschheit befleckt. Heute zumindest und für die Zukunft gelte dies als Mahnung: Man darf nicht nachgeben gegenüber den Ideologien, die die Möglichkeit rechtfertigen, die Menschenwürde aufgrund der Verschiedenheit von Rasse, Hautfarbe, Sprache oder Religion mit Füßen zu treten. Diesen Appell richte ich an alle, insbesondere an diejenigen, die im Namen der Religion zu Unterdrückung und Terrorismus greifen.





Ich erinnere mich, daß ich 1979 auch vor zwei weiteren Gedenktafeln in Russisch und in der Sprache der Roma stehen blieb, um tief nachzudenken. Die Geschichte der Teilnahme der Sowjetunion an jenem Krieg ist komplex, doch es ist unmöglich, nicht daran zu erinnern, daß die Russen damals die höchste Zahl an Menschen hatten, die auf tragische Weise ihr Leben verloren haben. Nach Hitlers Plänen waren auch die Roma zur völligen Vernichtung bestimmt. Man darf das Lebensopfer, das von diesen unseren Brüdern im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verlangt wurde, nicht unterbewerten. Das ist der Grund, warum ich neuerlich dazu ermahne, an jenen Gedenktafeln nicht mit Gleichgültigkeit vorbeizugehen.
Schließlich blieb ich vor der Gedenktafel in polnischer Sprache stehen. Damals sagte ich, daß die Erfahrung von Auschwitz eine weitere „Etappe im jahrhundertelangen Kampf dieser Nation, meiner Nation, zur Verteidigung seiner Grundrechte unter den Völkern Europas“ darstellte. „Es war ein weiterer Ruf, der erhoben wurde, um das Recht auf einen eigenen Platz auf der Karte Europas zu verteidigen; eine weitere schmerzliche Rechnung im Bewußtsein der Menschheit.“ Die Feststellung dieser Wahrheit war nichts anderes als ein Anruf an die Gerechtigkeit der Geschichte für diese Nation, die bei der Befreiung des europäischen Kontinents von der unheilvollen Nazi-Ideologie des Bösen viele Opfer auf sich genommen hatte und die in Knechtschaft an eine andere zerstörerische Ideologie verkauft wurde: den Sowjetkommunismus. Heute komme ich auf diese Worte zurück – ich will sie nicht leugnen! –, um Gott Dank zu sagen, denn durch die beharrlichen Anstrengungen meiner Landsleute hat Polen den rechten Platz auf der Karte Europas gefunden. Es ist mein Wunsch, daß dieses geschichtliche Faktum für alle Europäer Frucht bringe in einer gegenseitigen geistigen Bereicherung.
Bei meinem Besuch in Auschwitz-Birkenau sagte ich auch, daß man vor jeder Gedenktafel stehen bleiben müsse. Ich selbst tat es, als ich betend und meditierend von einer Gedenktafel zur anderen schritt und alle Opfer, Angehörige der von den Greueltaten des Krieges heimgesuchten Nationen, der Göttlichen Barmherzigkeit anempfahl. Ich betete auch, um auf ihre Fürsprache die Gabe des Friedens für die Welt zu erhalten. Unablässig bete ich weiter im Vertrauen, daß, wie die Umstände auch immer sein mögen, die Achtung vor der Würde der menschlichen Person siegen wird, die Achtung vor dem Recht eines jeden Menschen auf eine freie Suche nach Wahrheit, vor der Befolgung der moralischen Normen, vor der Erfüllung der Gerechtigkeit und der Einhaltung des Rechts jedes einzelnen auf menschenwürdige Lebensbedingungen (vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris: AAS 55 [1963], 295-296).
aus der BOTSCHAFT VON JOHANNES PAUL II.ZUM 60. JAHRESTAG DER BEFREIUNG DER GEFANGENEN DES VERNICHTUNGSLAGERS AUSCHWITZ-BIRKENA, 15. Jänner 2005