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Jürgen Elsässer So denkt der Chefideologe der Neuen Rechten

Jürgen Elsässer war Kommunist und verachtete den Nationalstaat. Heute leitet er das rechtspopulistische "Compact"-Magazin und berät AfD-Politiker. Wie erklärt er das?
Publizist Elsässer: "Ein bisschen Glamour"

Publizist Elsässer: "Ein bisschen Glamour"

Foto: HC Plambeck / DER SPIEGEL

16. Juni 2015, 16.20 Uhr
Sehr geehrte Frau Amann,
wir stehen weder für Interviews noch für Hintergrundgespräche zur Verfügung, sofern der Anfrager, wie in diesem Fall, die Lügenpresse ist. Hätten Sie Berufsethos und Courage, würden Sie beim Spiegel kündigen. Dann können Sie sich gerne noch mal melden.
Mit freundlichen Grüßen, Elsässer

Ein Jahr später, im Mai 2016, tritt Jürgen Elsässer in Magdeburg auf. Der Veranstaltungsort, das Halber85, liegt an einer vierspurigen Ausfallstraße. Hier fährt vorbei, wer Magdeburg schnell in Richtung Autobahn verlassen will.

Eine übermannshohe Weinflasche weist den Weg in die alte Industriehalle, vorbei an bulligen Sicherheitsmännern mit Klemmbrettern. Drinnen dann Bierzeltatmosphäre, auf den langen Tischen liegen Gratisausgaben von Elsässers Magazin "Compact" zwischen Flyern der AfD.

"Compact" hat eine Lesung von Akif Pirinçci organisiert. Gut hundert Gäste sind gekommen, um sein Buch "Umvolkung" kennenzulernen. Elsässer stellt Pirinçci vor als einen "vom Volk geliebten, aber von den Eliten gehassten Schriftsteller".

Seine Aufführung hat drei Teile. Erster Akt: ein Referat des rechten Verlegers Götz Kubitschek. Er ist der Einzige, der Pirinçcis Bücher noch veröffentlicht. Kubitschek sagt: "Es geht letztlich nur noch um die Verteidigung des Eigenen, nicht mehr um das Aus- oder Übergreifen in andere kulturelle Großräume."

Zweiter Akt: Pirinçci. Er schimpft auf die "millionenfache Moslem-Invasion" und die "Fuck-and-forget-Strategie" der Afrikaner - "alles bezahlt vom deutschen Depp". Bei Kubitschek hatten viele Zuhörer abgeschaltet, bei Pirinçci schauen sie verschämt in ihre Biergläser. Der eine ist zu intellektuell, der andere zu vulgär.

Elsässer, dritter Akt, trifft genau den richtigen Ton. "Mein Name ist Jürgen Elsässer, ich bin Deutscher, und ich will nicht zulassen, dass dieses wunderschöne Land vor die Hunde geht", ruft er.

"Jawoll!", schallt es zurück.

Elsässer spricht frei, ohne Manuskript, ohne Stocken. Er ist das große Publikum gewohnt, ein Mann für die Massen. Als Einziger trägt er Anzug und Krawatte, aber er steht so lässig am Rednerpult wie andere an der Theke. Elsässers Auftritte, eine Mischung aus evangelikalem Prediger und Teleshopping-Moderator, funktionieren unabhängig von seiner Botschaft. Die hat sich mit den Jahren stark verändert.

Der Publizist ist politisch einen weiten Weg gegangen, vom Kommunistischen Bund durch die linken Zeitungsredaktionen der Republik bis ins Milieu der Verschwörungstheoretiker, schließlich zu Pegida und auf die Bühnen der AfD. Einmal von linksradikal nach rechtsaußen.

Der alte Elsässer kämpfte gegen Kriegstreiber und Antisemiten, denen man nur mit "Baseballschlägern" beikommen könne. Die traditionelle Familie wollte er zerschlagen, und den Staat sowieso.

Der neue Elsässer ist Patriot, ein deutscher Stephen Bannon. Er vergöttert Wladimir Putin und verabscheut Angela Merkel. In seinem "Compact"-Magazin schreibt er Sätze wie: "Wir leben in einer Bananenrepublik. Die Mutti an unserer Spitze leckt die Stiefel - oder Schlimmeres - fremder Despoten."

Warum dieser Wandel? Welcher Elsässer ist der echte? Oder hat er sich vielleicht gar nicht so sehr verändert? War der Weg nach rechts für ihn nur ein kleiner Schritt?

17. Juli 2017, 11.19 Uhr
Liebe Frau Amann,
nachdem ich via XXX und YYY jetzt Gutes über Sie erfahren habe... will ich mich gerne mit Ihnen treffen, wenn mal wieder was anliegt.
Herzlich, Elsässer

Das Treffen klappt vier Wochen später, wieder in Magdeburg, wieder im Halber85, wieder vorbei an der Riesenweinflasche und den Sicherheitsleuten. An diesem Wochenende richten Elsässer und die AfD-Fraktion Sachsen-Anhalt hier einen "Russlandkongress" aus. Mindestens 200 Gäste sind dieses Mal gekommen, wieder viele junge Leute und viel AfD-Prominenz.

Elsässer steht in einem schattigen Innenhof und raucht. Ein großer Mann mit silbergrauer Mähne, er reckt das Kinn vor und taxiert sein Gegenüber. "Ich weiß gar nicht, was Sie eigentlich von mir wollen. Über mich ist doch alles bekannt. Ich bin ein offenes Buch." Er grinst. Elsässer lässt sich gern bitten, aber er erzählt auch gern.

Schließlich geht es um die größte denkbare Geschichte: sein Leben.

Aber erst muss er seine Rede halten. "Wir Deutschen sind ein großes Volk", sagt Elsässer, aber: "Wir sind leider oft mit unserer politischen Führung, und damit meine ich nicht nur den Adolf, sondern auch andere, zu mildtätig, zu schafsköpfig verfahren. So konnten die uns und andere ins Verderben führen." Er stellt Hitler in eine Reihe mit den Kanzlern der Bundesrepublik. Den Namen Merkel muss er gar nicht mehr aussprechen.

Jürgen Elsässer wurde 1957 als Sohn eines Uhrmachers und einer Sekretärin geboren. Seine zwei Schwestern und er seien typisch linke Spät-68er gewesen, erzählt er, der Vater ein konservativer CDU-Wähler. "Sobald es politisch wurde, haben wir uns gestritten. Aber als Familie haben wir zusammengehalten. Die Eltern haben die Kinder geliebt, und wir haben die Eltern geliebt."

Zu den Linken findet Elsässer auf dem Gymnasium in Pforzheim. Hier trifft er, der bisher nur die braven Volksschüler in seinem Heimatdorf kannte, plötzlich langhaarige Typen mit Jeans. Was für ein Lebensgefühl! Und Mädchen, die bei Partys mit wehenden Haaren auf den Tischen tanzen. Wahnsinn, wie entfesselt!

Bald teilt er ihr Weltbild, den Zorn auf den Vietnamkrieg und den US-Imperialismus, die Angst vor dem Atomkrieg, die Solidarität mit Arbeitern und Hausfrauen. Aber wichtig ist ihm auch, dass es Action gibt und "ein bisschen Glamour". Als seine Mitstreiter später die Parole "Nie wieder Deutschland!" ausgeben, klebt Elsässer dazu ein Bild von Marlene Dietrich. "Die war auch gegen die Nazis, aber kam nicht so verbiestert rüber."

Antideutscher Elsässer 1998 in Berlin: Die Familie zerschlagen

Antideutscher Elsässer 1998 in Berlin: Die Familie zerschlagen

Foto: imago / Christian Ditsch

Elsässer wird Lehrer. Er entgeht knapp dem Radikalenerlass, der Extremisten aus dem öffentlichen Dienst ausschließt, leugnet seine Verbindungen zum Kommunistischen Bund und schwört auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung. "Als Kommunist darf man den Staat ja anlügen, das war damals unsere Einstellung."

Der Berufsschullehrer schreibt für linke Blätter, 1994 gibt er die Sicherheit des Berufsbeamtentums auf und zieht nach Berlin. Er heuert bei der "Jungen Welt" an, einer linksradikalen Tageszeitung, die zu DDR-Zeiten eine Millionenauflage hatte. Ihr Slogan heute: "Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie lügen."

Der Verlag sitzt jetzt an der Torstraße in Berlin-Mitte, gegenüber von einem Prachtbau der Zwanzigerjahre, zeitweise Sitz des SED-Zentralkomitees, jetzt das SoHo House, ein edler Privatklub mit 1500 Euro Jahresbeitrag.

Dietmar Koschmieder, 62, Marxist und Geschäftsführer der "Jungen Welt", hat zweimal versucht, mit Elsässer zusammenzuarbeiten. Er selbst kam als erster Wessi in den Verlag, 1991, als die Auflage schon abstürzte. Elsässer kam drei Jahre später.

Es war eine Zeit der Sinnsuche für Linke. Ihre DDR, das gute, antifaschistische Deutschland, war zusammengebrochen. Aus linker Sicht hatten die Ostdeutschen dem Sozialismus viel zu schnell abgeschworen und sich den westdeutschen Kapitalisten an die Brust geworfen. Wofür, wogegen sollten Linke noch kämpfen, fragten sie sich? Viele sahen den Zug der Revolution abgefahren, wollten nur noch das Schlimmste verhindern, das System notdürftig mitgestalten - und sei es in der PDS.

Elsässer gehörte zu denen, die ihr Weltbild mit einer neuen Kampfansage retteten. Dieses Mal eben gegen den wiedervereinigten Staat: "Deutschland, halt's Maul!" Der neue Elsässer wertet solche Antifa-Slogans als Volksverrat.

Um solche Grundfragen geht es aber nur vordergründig, als sich Koschmieder und Elsässer 1997 überwerfen. Sie verkeilen sich im Streit über die Blattlinie der "Jungen Welt" und um die Machtstrukturen der Redaktion.

"Elsässer wollte aus uns eine massentaugliche, linke ,Bild'-Zeitung machen", sagt Koschmieder. Kein Aufklärungs-, sondern ein Unterhaltungsblatt, eine "Quick" für das Volk, linker Populismus der feinsten Sorte. Koschmieder will lieber einfach weitermachen wie immer, die Redaktion mit einer neuen Führung auf kommunistisch-orthodoxen Kurs zwingen.

Der Streit wächst sich zum Krieg aus, wochenlang wird die "Junge Welt" von Streiks erschüttert. Eine Kampfabstimmung des Belegschaftskollektivs, die Koschmieder klar gewinnt, bringt keinen Frieden. Denn Elsässers Leute hatten das Votum boykottiert. Sie gehen schließlich mit einem Knall von Bord und gründen eine neue Zeitung.

Von da an beginnen Elsässers Wanderjahre nach rechts. Jede politische Kehrtwende führt zum Bruch mit einer anderen Redaktion: Von der "Jungle World" geht er zu "konkret", wieder zurück zur "Jungen Welt" und dann zum "Neuen Deutschland". 2010 gründete er schließlich "Compact".

Elsässer selbst teilt sein Leben in Phasen ein und kann jede ausführlich und eindringlich erklären. Wer ihm zu lange zuhört, dem erscheint es irgendwann geradezu zwingend, dass jemand vom Kommunisten zum Rechtsideologen mutieren muss.

Mitte der Neunzigerjahre beginnt Elsässers "serbische Phase", wie er sie nennt. Der Antideutsche erkennt plötzlich, dass Nationalstolz nichts Böses sein muss. In Serbien regiert Slobodan Milosevic, von dessen Herrschaft die Deutschen im Fernsehen Massengräber sehen, geschändete Leichen, zerstörte Städte.

Die deutsche Linke ist wieder gespalten. Die einen wollen ein "zweites Auschwitz" auf dem Balkan verhindern, notfalls mit Nato-Bombern. Die anderen, darunter Elsässer, wollen lieber Frieden mit dem Kriegsverbrecher. In Milosevic sieht Elsässer einen Staatenlenker, der den USA die Stirn bietet und zum Wohl seines Volkes sogar mit politischen Todfeinden koaliert - in einer "Querfront"-Regierung, über alle Lagergrenzen hinweg.

"Compact"-Titelbilder: Auf Betriebstemperatur für den Kampf ums Abendland

"Compact"-Titelbilder: Auf Betriebstemperatur für den Kampf ums Abendland

Foto: HC Plambeck / DER SPIEGEL

Elsässer bewundert Milosevic, wird ein Sprachrohr des Despoten in Deutschland. In den serbischen Lokalen von Berlin küssen ihm Mütterchen mit Kopftuch gerührt die Hand: "Sie sind der einzige Freund unseres Volkes."

Elsässer badet in der Wärme dieser Menschen, so wie später im Strom der "herzensguten" Pegida-Demonstranten: "Ich mag diese einfachen Leute, die mehr fühlen als argumentieren. Die vor harter Arbeit gar keine Zeit haben zu denken, die aber jede Bedrohung sofort instinktiv spüren."

Sein Heft ermutigt diese Leute, ihren Instinkten zu trauen, die Bedrohung ernst zu nehmen. "Compact" bringt die Volksseele auf Betriebstemperatur für den "Kampf ums Abendland".

Elsässers nächste "Phase" bricht mit den Anschlägen vom 11. September 2001 an. Sie bringen das Weltbild des Antiamerikaners ins Wanken: Sollten die USA Opfer sein? Die islamistischen Mudschahidin kennt der Journalist nur zu gut aus seiner Balkanzeit, schlimme Typen, findet er.

Aber dann entdeckt er Leute, die ihm den Weg zurück auf antiamerikanischen Kurs weisen. Propagandisten, deren Strahlkraft sogar Elsässer imponiert: die Verschwörungstheoretiker. Sie erreichen ihr Publikum ohne Journalisten, im Internet.

Damals muss Elsässer begriffen haben, dass es Zehntausende Menschen da draußen gibt, vielleicht Hunderttausende, die nach alternativen Fakten dürsten. Um sie zu erreichen, braucht es nur ein Modem.

Bis heute propagiert Elsässer, dass 9/11 ein "Inside-Job" war, eingefädelt nicht zuletzt von der "Israel-Lobby". Deshalb erklärte er damals auch den Irakkrieg für ein Verbrechen und für Verrat an der linken Idee des Pazifismus. Sein Chef bei "konkret", Hermann L. Gremliza, sah das völlig anders und feuerte ihn schließlich.

13. Dezember 2017, 11.15 Uhr
Werte Frau Amann,
Herr Gremliza hat uns gebeten, Ihnen für Ihre freundliche Anfrage zu danken und Sie um Verständnis zu bitten, dass er Vertreterinnen oder Vertretern des rechten Milieus, kämen sie nun von Focus, Compact oder Spiegel, nicht erklären will, wie einer oder eine Nazi wird. Sie kämen, meint er, noch ganz von selber drauf.

Gremliza, eine Ikone der Linksintellektuellen, ist seit 1974 Herausgeber von "konkret". Das Zerwürfnis mit ihm kostete Elsässer mehr als den Job, die beiden Männer waren Verbündete, Weggefährten, Freunde. "Damals gab es den Ausspruch: Gremliza ist der Prophet und Elsässer sein scharfes Schwert. Auf Hermann lasse ich auch nichts kommen", sagt Elsässer. Aber er leide nicht unter dem Verlust. "Innerhalb der Linken wird ja ständig miteinander gebrochen."

Die letzten linken Freunde verliert Elsässer in seiner dritten, der "souveränistischen Phase": Diether Dehm, Andrej Hunko, Oskar Lafontaine. Nun will Elsässer den deutschen Staat gegen die Heuschrecken der Wall Street verteidigen, und wenn auf seinen Demos auch die NPD mitläuft, stört es ihn nicht mehr.

Am 21. April 2014 hält er eine Rede am Potsdamer Platz in Berlin. Er prangert die globale Finanzelite an, "die nur dem einen Götzen huldigen, dem kalten Mammon". Und zwar: "die Herren Rockefeller, Rothschild, Soros, Chodorkowski". Das englische und das saudische Königshaus nennt er auch noch, sicher ist sicher.

"Warum soll es Antisemitismus sein", fragt Elsässer die Menge, diese Raffkes anzuprangern? Der alte, linke Elsässer, der hinter jeder Straßenecke Antisemiten witterte, hätte ihm das erklären können.

In dieser Phase entdeckt der Ex-Kommunist auch die Religion wieder für sich, tritt einer evangelischen Gemeinde in Kreuzberg bei, die heute Yoga und Deutschkurse für Flüchtlinge anbietet. Genau die Sorte Kirche also, die "Compact" als "linksversifft" geißeln würde. Aber der Chefredakteur liebt die christlichen Rituale, die Lieder. Er träumt von einer kirchlichen Hochzeit, seiner dritten. Noch ist er nicht wieder aus der Kirche ausgetreten.

"Wenn Sie mich fragen, hat der Elsässer gar keine Überzeugungen", sagt Dietmar Koschmieder. "Er ist ein Experte für Emotionalisierung, der seine Botschaft dem jeweiligen Ziel und Publikum anpasst."

Elsässer nennt Koschmieder einen "DKP-Betonkopf" und sich selbst prinzipientreu: "Ich war früher gegen das System und bin es noch immer." Nicht er habe sich geändert, sondern die Machthaber. "Da sind neue Torwächter aufgezogen, die wollen die Diskurshoheit mit Sprachverboten an sich reißen. Aber das Volk sagt trotzdem ,Neger', ohne es bös zu meinen."

Elsässer wohnt in einer hellblau getünchten Villa im brandenburgischen Falkensee. Nur eine Hecke trennt das Haus von der friedlichen, baumgesäumten Straße, es ist mit Kameras ausgerüstet, aber es gibt keinen Zaun und keine Alarmanlage.

Elsässers Haus ist auch der Redaktionssitz von "Compact", im Erdgeschoss und im Keller wird gearbeitet und gefeiert, im Obergeschoss wohnt er mit seiner Freundin. Deshalb bemüht er sich lange, die Adresse geheim zu halten, legt falsche Fährten, vereinbart Treffen am anderen Ende von Falkensee.

18. Dezember 2017, 8.41 Uhr
Liebe Frau Amann,
nachdem gestern die erste Antifa-Demo vor unserem Haus war, ist die Konspiration eh für die Katz. Sie können also gerne kommen und mich am Schreibtisch fotografieren, oder an der nahen Pferdekoppel.
Herzlich, J.E.

Der Hausherr öffnet die Tür, im Mundwinkel eine brennende Zigarette. Seine Parfumwolke - "Aramis" von Estée Lauder - vermischt sich mit dem Geruch von kaltem Zigarettenrauch im Haus.

Etwas verquollen sieht Elsässer aus. Die Partys der Redaktion gehen lang. Im Flur, wie für den Besuch aufgebaut, ein kitschiges Stillleben: ein Weihnachtsschlitten mit Stapeln goldener Geschenkboxen und Teddybären. Dahinter ein Plakat, auf dem der islamische Halbmond über dem nächtlichen Reichstag prangt: "Fremd im eigenen Land. Wie wir unsere Heimat verlieren".

Wenn die "Compact"-Redakteure sich in der Küche Kaffee kochen, sehen sie durch das Fenster eine Fahne der Europäischen Union, die ein Nachbar demonstrativ in seinem Vorgarten gehisst hat. "Das war höchstwahrscheinlich der, der uns der Antifa verraten hat", knurrt Elsässer.

Das Wohnzimmer dominiert eine rote Ledersitzgruppe unter einer Weltkarte von "National Geographic". Von der Wand gegenüber lächelt milde der russische Präsident von einem "Compact"-Poster.

Mit einem gekachelten Fußboden wirkt der Raum kalt und ungemütlich, die Schreibtische an den Stirnseiten wie eine Bühnenkulisse. Doch, hier arbeite er, beteuert Elsässer, unter dem Bild des preußischen Generalfeldmarschalls Blücher auf dem Weg in die Schlacht gegen Napoleon.

Kaum ein "Compact"-Leser weiß wohl, dass Elsässer sein Magazin gemeinsam mit einem Muslim gründete: Andreas Abu Bakr Rieger, Jurist, überzeugter Europäer, Herausgeber der "Islamischen Zeitung".

Die Partner hätten "Compact" als Medium der Verständigung konzipiert, sagt Rieger, das Rechte und Linke, religiös oder nicht, zusammenführt. Es war eine Querfront-Ideologie, nur ideologiefrei und tolerant. Doch von Anfang an stritten die Partner, fühlte Rieger sich ständig übergangen. "Fraglos wollte Elsässer das Magazin schlussendlich vollständig unter seine Kontrolle bringen."

Als nach einem Relaunch plötzlich das Motto "Magazin für Souveränität" auftauchte, warf Rieger endgültig hin.

"Elsässer hat mir gegenüber nie angedeutet, dass er ein Problem mit Ausländern, Flüchtlingen oder Muslimen habe." Die Anti-Islam-Propaganda von "Compact" hält Rieger deshalb für Opportunismus, für ein Mittel, die Auflage zu steigern.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise verkauften sich die "Compact"-Hefte 85.000 Mal. Heute seien es rund 40.000, so Elsässer. Und 2016 sei mit zwei Millionen Euro Umsatz das bisher stärkste Jahr des Verlags gewesen. "Die Auflage vom Gremliza habe ich locker überholt", sagt er zufrieden. Tatsächlich meldete "konkret" zuletzt eine verkaufte Auflage von 42.000.

Elsässer behält die alten Freunde im Auge, aber er braucht sie nicht mehr. Er hat jetzt neue. Und feuern kann ihn niemand mehr. Wie in den Siebzigerjahren sieht sich Elsässer ganz vorn dabei, an der Spitze einer neuen Bewegung. Wieder geht es gegen das Establishment. Wieder im Namen des Volkes. Auf dem rechten Marktplatz gibt es Wachstum und Bewegung, nur der Glamour fehlt vielleicht noch.

Dafür entfaltet der Publizist echte politische Wirkmacht. AfD-Leute suchen seinen Rat, er schulte mehrere Bundestagskandidaten. Im Gegensatz zu den Kommunisten von einst sitzen seine neuen Freunde im Bundestag.

Zum Abschied begleitet Elsässer seine Gäste an die Straße. Er will zum Briefkasten. "Wollen wir doch mal sehen, ob da eine Bombe drinsteckt", sagt er. Aber es ist nur die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".


Im Video: "Rassistische Ich-AG" - SPIEGEL-Redakteurin Melanie Amann über ihren Besuch zu Hause beim Rechtspopulisten Jürgen Elsässer

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