Die Lage zwischen China und Amerika spitzt sich zu – gar bis zum grossen Krieg?

Die USA und China steuern auf eine Phase erhöhter Kriegsgefahr zu. Ein militärischer Konflikt ist zwar keineswegs unausweichlich, doch mit dieser Möglichkeit wird man sich ernsthafter als bisher auseinandersetzen müssen.

Michael Haas, Niklas Masuhr 39 Kommentare
Drucken
Machtdemonstration auf See: U-Boote und Überwasserschiffe der chinesischen Marine bei einer Flottenparade zum 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik im April 2009.

Machtdemonstration auf See: U-Boote und Überwasserschiffe der chinesischen Marine bei einer Flottenparade zum 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik im April 2009.

Guang Niu / Reuters

Der asiatisch-pazifische Raum steht vor einem entscheidenden Jahrzehnt. Bereits heute prallen in dieser Region ein amerikanisch dominiertes und ein chinesisches Ordnungsmodell aufeinander. An die Stelle eines prekären Balanceakts zum Wohl der Weltwirtschaft ist eine von beiden Seiten angetriebene, konfrontative Abwärtsspirale getreten. Die Corona-Krise hat diese Tendenz noch verstärkt. Ein unmittelbarer Auftakt zu einem hegemonialen Ausscheidungskampf im globalen Massstab ist das zwar noch nicht. Doch die Entwicklungen im asiatisch-pazifischen Raum werden in den kommenden Jahren weit über die Region hinaus den Charakter der internationalen Beziehungen prägen. Auch Europa wird davon betroffen sein.

Ob es in Ostasien zu einem amerikanischen Hegemonieverlust mit China als neuer Ordnungsmacht kommen wird oder ob die USA ihre hervorgehobene Position weiter werden halten können, lässt sich aus heutiger Sicht nicht verlässlich prognostizieren. Zwar könnten die durch die Corona-Pandemie verursachten ökonomischen Verwerfungen den Spielraum der USA zusätzlich einschränken und ihren Abstieg beschleunigen. Dass der chinesische Präsident Xi Jinping als «Gewinner» aus der Krise hervorgehen wird, ist indes keineswegs gesichert.

Angst vor der «Thukydides-Falle»

In Frage steht nicht nur der Ausgang der amerikanisch-chinesischen Konfrontation. Fraglich ist auch, in welcher Form diese strategische Rivalität ausgetragen wird. Viele Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft halten einen militärischen Konflikt für ausgeschlossen. Ob jedoch der amerikanisch-chinesische Konflikt dauerhaft unterhalb der Kriegsschwelle verbleibt, muss in Wirklichkeit offenbleiben.

Die Erkenntnis, dass ein möglicher hegemonialer Übergang zur Kriegsursache werden kann, ist uralt und zugleich von ungebrochener Aktualität. Sie findet sich bereits in Thukydides’ Geschichte des Peloponnesischen Krieges (431–404 vor Christus). In ihr wird als «wahrster Grund» für diese weltkriegsartige Zäsur der Aufstieg Athens und die Furcht der Spartaner vor einem immer weiter erstarkenden Herausforderer genannt. Der Harvard-Professor Graham Allison hat sich diese These von der «Thukydides-Falle» im vergangenen Jahrzehnt zu eigen gemacht und sie ausführlich auf die USA und China angewandt.

Dieser historischen Analogiebildung schlug teilweise berechtigte Kritik entgegen. Doch man muss sich nicht auf den griechischen Historiker und seine modernen Mittler verlassen, um zu ähnlichen Schlüssen zu gelangen. Dass die Wahrscheinlichkeit eines Konfliktes zwischen Staaten, die sich als strategische Rivalen begreifen, stark ansteigt und solche Konstellationen für den überwiegenden Anteil aller zwischenstaatlichen Kriege verantwortlich sind, ist ein belastbarer Befund der modernen Konfliktforschung. Klar ist indes auch, dass solche Rivalitäten nicht zwangsläufig in den Krieg führen. Militärische Zwischenfälle und Krisen dürften aber auch im Verhältnis zwischen den USA und China wahrscheinlicher werden.

Dass die Kriegswahrscheinlichkeit im asiatisch-pazifischen Raum weiter steigen wird, ist dabei nicht nur durch die strukturellen Machtverschiebungen bedingt, sondern auch durch konkrete politische Entscheidungen. Während Erstere vor allem der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung Chinas in den letzten drei Jahrzehnten geschuldet sind, sind Letztere von den Entscheidungsträgern, ihren Interessen und innenpolitischen Faktoren mitgeprägt. Erst eine gemeinsame Betrachtung dieser Faktoren zeigt, warum sich die USA und China derzeit auf eine noch konfliktträchtigere Phase in ihren Beziehungen zubewegen.

China will siegen können

In China wächst das Militärbudget seit Jahren schneller als das Bruttoinlandprodukt. Das allein muss nicht bedrohlich sein. Besorgniserregend ist vielmehr die Kombination militärischer Modernisierungs- und Aufrüstungsbestrebungen mit der territorialen Komponente von Xi Jinpings «Chinesischem Traum». Sie sieht für die kommenden Jahrzehnte die Wiederangliederung «verlorener» Gebiete vor. Dieser Ansatz steht zu den Ordnungsvorstellungen der USA, aber auch der meisten pazifischen Anrainerstaaten in unauflösbarem Gegensatz.

Dass sowohl in Washington als auch in Peking derzeit nationalistische Strömungen Oberwasser haben und – wenn auch bisher überwiegend auf der handelspolitischen Ebene – ihre Eskalationsbereitschaft demonstrieren, trägt ein Übriges zur Verschärfung der Lage bei. Diese Entwicklung lediglich als Zwischenspiel zu verstehen, dürfte sich als Fehleinschätzung erweisen. Zum einen hat Xi die Voraussetzungen für einen Machterhalt auf Lebenszeit geschaffen, zum andern verfolgen die USA in ihrem Verhältnis zu China Interessen, die auch eine mögliche Abwahl Donald Trumps im kommenden November überdauern werden.

Problematisch im Hinblick auf die Konfliktwahrscheinlichkeit sind auch die Entwicklungen in der militärischen Dimension. Auf chinesischer Seite geht es dabei nicht mehr nur um die wachsenden Fähigkeiten der Volksbefreiungsarmee. Ebenso bedeutsam ist der fortschreitende Wandel im militärischen Denken. Die selbstbewusste bis aggressive Vertretung chinesischer Gebietsansprüche schlägt sich hier in dem Anliegen nieder, nicht länger nur die Kosten einer amerikanischen Intervention in die Höhe treiben, sondern die Streitkräfte der USA in der Region früh und möglichst entscheidend besiegen zu können. Die Volksbefreiungsarmee soll vor allem mit ihren Luft- und Marinekomponenten Fakten schaffen können, bevor die Gegenseite ihr militärisches Potenzial voll entfalten kann.

Die entsprechende militärische Modernisierung soll im Wesentlichen bis 2035 abgeschlossen werden. Spätestens 2050 soll das chinesische Militär sich dann quer über alle Teilstreitkräfte und Operationssphären hinweg auf «Weltklasseniveau» bewegen und damit neben den amerikanischen Streitkräften auch qualitativ einzigartig sein.

Gequälte Strategiedebatte im Westen

Wie diesen chinesischen Ambitionen am besten entgegenzutreten ist, bleibt in den USA nach einer jahrelangen Fachdebatte weiter heftig umstritten. Ansätze, die auf militärische Schläge gegen Ziele im chinesischen Landesinneren setzen müssten, sind wegen ihrer grossen Eskalationsgefahr problembehaftet. Letzteres gilt aber auch für die Vorstellung, einer chinesischen Aggression notfalls mit einer Seeblockade beikommen zu können. In jüngster Zeit hat ein Ansatz an Argumentationskraft gewonnen, der stärker auf die Defensive entlang der «ersten Inselkette» (von Japan über Taiwan und die Philippinen bis Borneo) ausgerichtet ist. Doch wie sich diese Debatten im Verlauf des kommenden Jahrzehnts in der Streitkräfteentwicklung niederschlagen werden, bleibt in weiten Teilen unklar.

Dies gilt umso mehr, als die wirtschaftlichen Kosten der Corona-Krise selbst den üppigen Verteidigungshaushalt der USA nicht gänzlich unberührt lassen werden. Dass die Pandemie zugleich auch den chinesischen Ambitionen einen vorübergehenden Dämpfer versetzen wird, ist zwar nicht gänzlich auszuschliessen. Momentan scheint sich die Lage im Westpazifik jedoch eher in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen. So nützt China derzeit die Ablenkung des Westens durch die Pandemie, um Taiwan verstärkt militärisch unter Druck zu setzen. Noch häufiger als sonst waren die Streitkräfte Taiwans in den vergangenen Monaten mit Provokationen der Volksbefreiungsarmee konfrontiert.

Vorerst dürfte zwar weiter die Gefahr eines Krieges durch Fehlwahrnehmung, Fehlkalkulation, Versehen oder Unfall im Vordergrund stehen. Dass die USA Ende der 2020er Jahre immer noch in der Lage sein werden, einen militärischen Konflikt zwischen der Volksrepublik China und Taiwan zugunsten der bedrohten Inseldemokratie zu entscheiden, ist allerdings höchst zweifelhaft. In den Augen der Elite der Kommunistischen Partei Chinas dürfte der Reiz einer gewaltsamen Wiedervereinigung dementsprechend eher zunehmen. Denn Entscheidungsträger greifen bevorzugt dann zum militärischen Instrument, wenn ein Konflikt vermeintlich schnell und mit akzeptablen Kosten gewonnen werden kann.

Gefährliche Illusionen

Damit ein Krieg im pazifischen Raum verhindert werden kann, bedarf es nicht zuletzt einer Neubewertung fragwürdiger Grundannahmen. Dazu gehört, vielen respektablen Stimmen in der Politik- und Militärwissenschaft zum Trotz, auch der liebgewonnene Denkansatz einer «nuklearen Friedensgarantie». Die oft vernommene Behauptung, schon das Vorhandensein von Nuklearwaffen würde kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Grossmächten wirksam vorbeugen, ist nicht erst seit dem Kargil-Krieg zwischen den Atommächten Indien und Pakistan im Jahr 1999 als höchst zweifelhaft anzusehen. Schon zuvor bestanden berechtigte theoretische Zweifel an der zwangsläufig kriegsverhütenden Wirkung der nuklearen Abschreckung.

Gerade im Verhältnis zwischen den USA und China greift diese Vorstellung in ihrer trügerischen Einfachheit zu kurz. Zwar bleiben Nuklearwaffen ein hochwirksames Abschreckungsmittel. Sie können den Krieg aber nur verhindern, wenn beide Seiten davon überzeugt sind, dass auch konventionelle militärische Aktionen mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die nukleare Ebene eskalieren können.

Von einer solchen Überzeugung ist im militärischen Denken der Volksbefreiungsarmee wenig zu bemerken. Eher ist das Gegenteil der Fall: Die chinesischen Militärtheoretiker legen im Bereich der Eskalationskontrolle einen für westliche Beobachter geradezu befremdlichen Optimismus an den Tag. An der Führbarkeit begrenzter, regionaler Konflikte unterhalb der Nuklearschwelle scheinen sie nicht ernsthaft zu zweifeln. Zugleich ist auch im Rahmen der amerikanischen Debatten über militärische Doktrinen eine Marginalisierung des nuklearen Faktors festzustellen. Angesichts vielfältiger «Einstiegsszenarien» unterhalb der klassischen Kriegsschwelle ist keinesfalls ausgeschlossen, dass die beiden Mächte dereinst in einen Krieg stolpern, ohne den nuklearen Faktor im Detail bedacht zu haben.

Vor diesem Hintergrund gilt es auch in Europa, eine andere gefährliche Illusion abzulegen: die Idee nämlich, dass Kriege zwischen Grossmächten grundsätzlich und unwiderruflich der Vergangenheit angehören. Der «Krieg aus Versehen» ist dabei nur eine Möglichkeit. Auch vor jenen Grossmachtkriegen, die politische Entscheidungsträger als unausweichlich, notwendig oder gewinnbringend ansehen und deshalb gezielt herbeiführen, sollten wir uns nicht allzu sicher wähnen. Im pazifischen Raum pocht einerseits Washington auf den Anspruch, auch weiterhin die eigenen Ordnungsvorstellungen durchsetzen und militärisch untermauern zu können. Zugleich hat die chinesische Führung in den letzten Jahrzehnten konsequent darauf hingearbeitet, sich umstrittene Gebiete eines Tages militärisch einverleiben zu können.

Risiken unterschätzt

Überwiegend haben westliche Politiker die daraus erwachsenden Konsequenzen bis jetzt wenig ernst genommen oder haben sie wirtschaftlichen Interessen nachgelagert. Die Souveränität des demokratischen Taiwan dürfte vielen von ihnen längst weniger am Herzen liegen als die guten Wirtschaftsbeziehungen mit der Volksrepublik. Auch als Peking erklärte, das Südchinesische Meer sei als «blauer Boden» integraler Bestandteil chinesischen Territoriums, und im Ostchinesischen Meer an japanischen Souveränitätsansprüchen zu rütteln begann, bezogen westliche Wirtschaftsführer und Politiker militärische Konfliktszenarien lediglich als theoretisches Restrisiko in ihre Kalkulationen ein.

«Bloss nicht den Teufel an die Wand malen», war über lange Jahre die Devise. Doch derlei fragwürdige Metaphysik tangiert die Realitäten der internationalen Sicherheitspolitik kaum. Am Boden wird ein militärischer Konflikt angesichts einer «Strategie der verschlossenen Augen und Ohren» nur wahrscheinlicher. Dessen sollte man sich auch in Europa mehr denn je bewusst sein.

Michael Haas (Senior Researcher) und Niklas Masuhr (Forscher) arbeiten im Think-Tank des Center for Security Studies an der ETH Zürich.

39 Kommentare
Werner Moser

Seit Beginn 2017 befindet sich die US-Administration auf dem MAGA-Weg (Make America great again!), was auf geo-strategisch globaler Ebene eine Lücke / ein Vakuum entstehen lässt, die es zu füllen / auszugleichen gilt. Russland macht das auf seine Weise im Raume Nahe/Mittleren Osten. Und auch China breitet sich umso mehr aus im Süd-Chinesischen Raum, in Afrika und wirtschaftlich auch in Europa. Was den US-Rückzug nicht beruhigt, sondern im Gegenteil "belebt". Man kann dieses Beleben = Konfrontationskurs nennen. Woraus sich das eine oder andere Scharmützel (wirtschaftlich, militärisch, diplomatisch) entwickeln könnte. Für den sog. grossen Krieg hingegen fehlt hüben und drüben noch vieles. Nicht zuletzt in Bereichen der militärischen Macht. Auch wenn das WH in Washington D.C. zurzeit "vertrottelt", sind die USA immer noch mit Abstand die stärkste Macht weltweit. Da bräuchte es noch Jahrzehnte bis sich auch nur annähernd eine equivalente Konkurrenz-Macht den USA militärsch nahe kommen könnte. Mit / ohne Atom-Waffen, nota bene. Ein militärischer Konflikt zwischen den USA u/o China u/o Russland ist nie unausweichlich, aber b.a.w. höchst unwahrscheinlich. Alle diese Mächte sind zwar geo-strategisch rücksichtslos, nicht aber suizidal. Es ist Europa, das sich ernsthafter geo-strategisch auseinander zu setzen hat. Auch um sich selbst im besten eigenen Interesse schützen zu können. Im Windsschatten der USA ist Europa geo-strategisch kraftlos und nachlässig geworden. Leider!

Engelbert Gartner

Albert Einstein hat einmal gesagt : Der 3. Weltkrieg wird mit Waffen ausgetragen, die man sich nicht vorstellen kann. Der 4. Weltkrieg wird danach mit Äxten und Keulen ausgetragen.