Ohne „Unrechtsbewusstsein“

Therapie für kirchliche Missbrauchstäter

Seit vielen Jahren setzt die katholische Kirche in Österreich auf Missbrauchsprävention. Dazu gehört auch, Beschuldigungen von Betroffenen ernst zu nehmen. Auf Vermittlung der Kirche werden jährlich 20 bis 50 Männer in der Männerberatung Wien vorstellig, die beschuldigt worden sind, sich missbräuchlich verhalten zu haben – von vereinzelten Grenzüberschreitungen bis hin zu sexualisierter Gewalt.

Der Sexualtherapeut Jonni Brem arbeitet mit den Tätern. Sie hätten zu Beginn meist kein „Unrechtsbewusstsein“. Er treffe auf Männer, die Kinderpornografie genutzt oder in Kirchenchören Mädchen oder Buben belästigt haben, erzählt Brem. Andere hätten wiederum Jugendlager veranstaltet und seien „bei diesen dann in der Nacht in die Zelte der Jugendlichen gekommen“. Es gebe auch immer wieder leichtere Vorwürfe.

„Therapie machen wir nur mit denen, die tatsächlich übergriffig geworden sind. Und da ist es nicht wichtig, ob er jetzt bereits eine Verurteilung hat oder erst eine bekommen wird“, sagt Brem. Bei vielen komme es im Laufe der Therapie zu einer Verhandlung und einer Strafe. Mitunter sind die Männer – Priester, Ordensleute und auch Laien – wegen verbaler und körperlicher Grenzüberschreitungen aufgefallen, und die Beschuldigungen wurden der kirchlichen Ombudsstelle für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch gemeldet.

Sexualtherapeut und Leiter der Männerberatung Wien Jonni Brem
ORF/Metafilm
Der Sexualtherapeut Jonni Brem arbeitet auch mit kirchlichen Missbrauchstätern

„Nichts Schlimmes getan“

Die kirchlichen Stellen würden eine Abklärung von den Therapeuten wollen, in fünf bis zehn Sitzungen zeige sich, inwieweit es sich etwa um problematische Haltungen handle, „die bearbeitbar“ sind, sagt Brem. Wenn jemand mehrere Jahre Missbrauch begangen habe, brauche es in der Regel schon lange Therapie, „weil er ganz viele Situationen, die für jeden anderen Mann als übergriffig gesehen werden, selber rechtfertigt als etwas, das ganz normal ist“. Die Klienten würden zu Beginn einfach hören wollen, dass sie im Grunde „unschuldig“ sind.

„Die Männer, die zu uns kommen“, erzählt der Therapeut, „sind zunächst der Überzeugung, dass sie eigentlich gar nichts Schlimmes getan haben. Sie wollen bei uns eine Bestätigung, vielleicht sogar eine Testung, um zu sagen, dass eigentlich alles normal ist mit ihnen.“ Das trifft zumindest auf die meisten zu, wenn auch nicht auf alle. „Manche haben sogar ein leises Unrechtsbewusstsein.“

Täterarbeit als Opferschutz

Zu erkennen, dass sie Unrecht begangen haben, und zu lernen, die Grenzen anderer zu respektieren, statt ihre Macht zu missbrauchen, sei ein Ziel der Therapie. Es seien auch viel weniger Männer, die Kinder missbrauchen, pädophil als häufig angenommen.

Dass die Täter Kinder missbrauchen, liege oftmals daran, dass sie gegenüber Kindern in einer Machtposition sind, die sie leichter ausnützen können. Auch wenn die Kirche den Täter entlässt, ihn aus seiner Funktion abzieht oder ihn in eine Position versetzt, in der er etwa keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen hat, sei Therapie notwendig. In der Therapie gehe es schließlich auch darum zu erreichen, dass der Täter auch außerhalb der Kirche „nicht übergriffig wird“, sagt Brem.

„War Kampf gegen Bischofskonferenz“

Jahrzehntelang wurden in der römisch-katholischen Kirche, auch in Österreich, kirchliche Missbrauchstäter von führenden Klerikern oftmals nur in eine andere Gemeinde versetzt – mitunter wurden sie vorher für eine Auszeit in ein Kloster oder zur Therapie geschickt. Die Gemeindemitglieder wurden im Unklaren gelassen, und die Täter konnten wieder missbrauchen.

„Es war viele Jahre eher ein Kampf gegen die Bischofskonferenz“, den Menschen, die in der katholischen Kirche etwas ändern wollten, ausfechten mussten, sagt Brem. Er setzt sich schon seit den 1980er Jahren für Missbrauchsprävention ein. Damals sei die katholische Kirche, was Missbrauch in den eigenen Reihen betrifft, noch in „einem ziemlichen Dämmerschlaf“ gewesen.

Hilfe für Betroffene

  • Opferschutzeinrichtung Weißer Ring: Anonyme und kostenlose Beratung und Unterstützung, 01/712 14 05, office@weisser-ring.at
  • Opferschutzanwaltschaft (von der Kirche beauftragt), 0664/980 78 17, office@opfer-schutz.at

„Die Schwierigkeit war, dass nicht nur die Priester, sondern bis hinauf zur Bischofskonferenz niemand mit diesem Thema etwas zu tun haben wollte. Sie haben sich abgeschottet“, sagt Brem. Vorschläge wonach jeder, der in der Kirche arbeitet, einen Strafregisterauszug vorweisen und in Missbrauchsprävention geschult werden sollte, vor allem in der Jugendarbeit und in der Seelsorge, wurden mit dem Argument, man dürfe Priester nicht unter Generalverdacht stellen, abgeschmettert.

Prävention zentral

Erst in den 1990er Jahren habe die Kirche mit der Einrichtung von Ombudsstellen langsam Schritte gesetzt. Es habe seitdem eine Veränderung „in einem sehr großen Stil“ gegeben – auch in Hinblick auf die Entschädigung von Betroffenen. So sind etwa Schulungen in Missbrauchsprävention für alle kirchlichen Mitarbeitenden mittlerweile verpflichtend. Wie der Feldkircher Bischof Benno Elbs im Gespräch mit dem ORF sagte, plane man, eine Präventionsstudie und „eine wissenschaftliche Begleitung der gesetzten Präventionsmaßnahmen“ in Auftrag zu geben, „damit wir wirklich alles tun, um Missbrauch in der Kirche zu verhindern.“

Wie wichtig Präventions- und Schutzkonzepte und ihre Einhaltung sind, zeigt auch der kürzlich bekanntgewordene Missbrauchsfall in einem Wiener Kindergarten, in dem Kinder missbraucht worden sein sollen und der Verdacht dann auch noch mehr als ein Jahr von den Behörden vertuscht worden war. Eltern wurden im Unklaren gelassen, und zeitnahe Aufklärung wurde so verhindert.

„Über Sexualität redet man nicht“

Dass Missbrauch also ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, ist klar. Das weiß Sexualtherapeut Brem, der sich auf die Arbeit mit Sexualstraftätern spezialisiert hat, sehr genau. Doch der Psychologe sieht in der römisch-katholischen Kirche ein grundlegendes Problem, das Missbrauch begünstigen kann: den rigiden Umgang mit Sexualität.

Die Männer, die aus dem kirchlichen Umfeld in die Therapie kommen, hätten oft nicht nur eine „recht frauenfeindliche Haltung“, sondern kämen mit der Haltung: „Über Sexualität redet man nicht, damit beschäftigt man sich nicht, vor allem nicht innerhalb der Kirche“, sagt Brem. „Das ist ein ganz problematischer Umgang, den sie haben.“

„Drei Ave Maria beten“

Über die eigene Sexualität zu reden, sei bei Geistlichen ein Tabu. „Und das ist eines der größten Probleme, die die katholische Kirche hat, weil sie keine Sprache entwickeln dafür: Wie gehe ich mit meinem Körper um, mit meiner Sexualität? Was passiert, wenn ich in der Nähe eines Kindes, einer jungen Frau ganz plötzlich sexuelle Gefühle bekomme? Wie reagiere ich darauf? Wem kann ich es mitteilen? Das ist sprachlos“, sagt Brem.

Er habe von einigen Klienten, die in die Beichte gegangen sind, gehört, der Priester, „der auf der anderen Seite war, um sich anzuhören, welche Kämpfe er hat“, habe gesagt: „Und jetzt drei Ave Maria beten.“ In der Therapie müssten sich die Männer damit auseinandersetzen, welche Motive hinter dem Missbrauch stehen und wie sie wieder zu einem Umgang mit anderen Menschen kommen, der „nicht übergriffig“ ist, sagt Brem.

Täter „begreifen im Laufe der Zeit“

Viele der Männer, die zu Beginn ohne Unrechtsbewusstsein und mit dem Ziel, attestiert zu bekommen, normal zu sein, in die Männerberatung kommen, würden erst im Laufe der Zeit begreifen: „Damit habe ich nicht nur diesem Kind geschadet. Damit habe ich nicht nur mir geschadet. Damit habe ich ganz vielen Menschen, die an mich geglaubt haben, die mir vertraut haben, geschadet.“