«Nieder mit Xi Jinping»: Proteste gegen Chinas Covid-Politik weiten sich aus - Chinesische Polizei geht gegen BBC- und SRF-Reporter vor

Während die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten weiter stark steigt, tragen immer mehr Menschen ihren Unmut über die harschen Massnahmen der Regierung auf die Strasse.

Matthias Kamp, Peking, Matthias Sander, Shenzhen
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Ein Demonstrant macht seiner Wut Luft. Der unmittelbare Auslöser für die Kundgebung war ein Feuer in einem Wohnhochhaus in Urumqi am Donnerstag. Weil das Gebäude unter Lockdown stand, konnten viele Bewohner nicht flüchten. Zehn Menschen starben.

Ein Demonstrant macht seiner Wut Luft. Der unmittelbare Auslöser für die Kundgebung war ein Feuer in einem Wohnhochhaus in Urumqi am Donnerstag. Weil das Gebäude unter Lockdown stand, konnten viele Bewohner nicht flüchten. Zehn Menschen starben.

Mark R. Cristino / EPA

Die Wut vieler Chinesinnen und Chinesen über die Zero-Covid-Strategie der Regierung bricht sich immer öfter Bahn. Am Samstag und am Sonntagmorgen kam es in zahlreichen Städten des Landes zu Protesten gegen die Politik der Regierung. Diese versucht derzeit, die grösste Corona-Welle seit Beginn der Pandemie mit Massentests, Lockdowns, Zwangsquarantäne und digitaler Überwachung zu bekämpfen.

In Schanghai versammelten sich am späten Samstagabend Hunderte von Menschen in der Urumqi-Strasse in der Innenstadt. Sie entzündeten zunächst Kerzen, um der zehn Opfer zu gedenken, die am Donnerstag bei einem Feuer in Urumqi, der Provinzhauptstadt Xinjiangs, ums Leben gekommen waren. Später weitete sich die Gedenkfeier zu einem offenen Protest gegen die Pekinger Machthaber aus. Auf Videos, die in Chinas sozialen Netzwerken zirkulierten, sind Demonstranten zu sehen, die «Nieder mit Xi Jinping, nieder mit der Kommunistischen Partei» skandieren. Einen derart offenen Protest gegen die politische Führung hat es seit dem Amtsantritt Xis vor zehn Jahren noch nie gegeben. Am Sonntagvormittag versammelten sich erneut Menschen in der Urumqi-Strasse.

Auch in zahlreichen anderen Städten trafen sich Chinesinnen und Chinesen zu grösstenteils friedlichen Protesten. Auf dem Gelände der University of Communications in Nanjing versammelten sich am Samstagabend Studenten zu einer Gedenkfeier für die Opfer von Urumqi. Sie hielten ihre Handy-Taschenlampen in die Höhe und riefen: «Wir wollen Licht, keine Dunkelheit.»

Am Sonntagvormittag kam es auf dem Campus der renommierten Tsinghua-Universität in Peking zu einer grösseren Kundgebung. Auf Videos ist zu sehen, wie die Protestler die Nationalhymne singen und unbeschriebene weisse Zettel in die Höhe halten – ein Zeichen des Protests gegen die Zensur. Einige der Demonstranten skandierten: «Freiheit, Rechtsstaat». Laut unbestätigten Berichten kam es bis Sonntagvormittag Ortszeit an insgesamt 51 chinesischen Hochschulen zu Protestaktionen.

Unmittelbarer Auslöser für die Kundgebungen war das Feuer in einem Wohnhochhaus in Urumqi am Donnerstag. Weil das Gebäude unter Lockdown stand, konnten viele Bewohner nicht flüchten und konnte die Feuerwehr nicht wirksam löschen. Vor dem Gebäude versperrten zahlreiche Autos die Zufahrt. Sie waren seit drei Monaten abgestellt und konnten wegen nicht mehr funktionierender Batterien nicht bewegt werden. Die Behörden der Stadt bestreiten die Darstellung. Urumqi mit seinen vier Millionen Einwohnern befindet sich seit Mitte August in einem harten Lockdown.

Gewaltsame Proteste

An einigen Orten Chinas gab es am Wochenende allerdings auch gewaltsame Proteste. In Lanzhou, der Provinzhauptstadt von Gansu im Nordwesten Chinas, zerstörten aufgebrachte Bürger Teststationen und die Zelte von Wachpersonal, das die Einhaltung der Covid-Restriktionen kontrolliert.

Auch in Peking durchbrachen an einigen Orten in ihren Wohnquartieren eingesperrte Bürger die Absperrungen, um dem Lockdown zu entkommen. In vielen anderen Wohnanlagen der Hauptstadt versuchten entnervte Bewohner das Wachpersonal zur Aufhebung der Lockdowns zu bewegen, oftmals mit Erfolg: Die Wachleute gaben in vielen Fällen dem Drängen der Bewohner nach.

In Chinas sozialen Netzwerken verbreiteten sich am Freitag und am Samstag bis spät in die Nacht rasend schnell Videos von Protesten in Xinjiang, in der Inneren Mongolei und an vielen Universitäten. Viele Internetnutzer zeigten sich solidarisch, indem sie etwa im Gedenken an die Brandopfer in Urumqi Bilder leerer weisser Blätter posteten, wie sie bei den physischen Protesten hochgehalten wurden. Zuweilen trugen die Beiträge den Untertitel «Ich liebe dich, China! Ich liebe euch, junge Leute!».

Auf WeChat posteten so viele Nutzer in ihrem Feed – den sogenannten Momenten – Beiträge über die Proteste und die Covid-Massnahmen, dass manche Beobachter von einer «WeChat-Moments-Revolution» sprachen, wie es sie dieses Jahr etwa während des chaotischen Lockdowns in Schanghai gegeben hatte. Weit verbreitet waren lange Artikel, die nur aus ein oder zwei Schriftzeichen bestanden: «unterstützen unterstützen unterstützen», stand da etwa, oder «okay okay okay». So sollte Zensur verhindert werden, was auch im Fall dieser Artikel nur teilweise klappte.

Bei einer Gedenkveranstaltung in Peking für die mindestens zehn Opfer, die in Urumqi bei einem Brand ums Leben gekommen sind, kritisieren Demonstranten die Corona-Einschränkungen der Regierung.
12 Bilder
Bei einer Gedenkveranstaltung kritisieren mehrere hundert Personen in Peking mit Lichtern und weissen Zetteln die chinesische Corona-Politik.
Die Demonstranten in Peking erhalten Zuspruch von einer Frau, die in einem Auto an der Kundgebung vorbeifährt.
Hunderte von Chinesinnen und Chinesen nehmen am Sonntagabend in Peking an einem Protestmarsch gegen die Null-Covid-Strategie der Regierung teil.
Die Anti-Lockdown-Proteste in Peking führen zu Verkehrsbehinderungen.
Die Nationalhymne singend und weisse Zettel in die Höhe haltend setzen die Demonstranten ein Zeichen gegen die Zensur.
Passanten beobachten Polizisten, die bei einer Kundgebung in Schanghai Wache stehen.
Die Bilder von Demonstranten, die einfach weisse Blätter in den Händen halten, verbreiteten sich in den sozialen Netzwerken rasant.
Die Polizei dämmt die Proteste in Peking mit Abschrankungen ein.
In den meisten Städten blieben die Proteste gegen die Null-Covid-Politik friedlich. (Bild: Polizisten in Peking.)
Polizisten und Demonstranten stehen sich in Peking gegenüber.
Mit Kerzen und Blumen gedenken die Demonstranten in Peking der Menschen, die beim Brand in Urumqi ums Leben gekommen sind.

Bei einer Gedenkveranstaltung in Peking für die mindestens zehn Opfer, die in Urumqi bei einem Brand ums Leben gekommen sind, kritisieren Demonstranten die Corona-Einschränkungen der Regierung.

Thomas Peter / Reuters

Videos von Protesten und von wütenden Bewohnern, die Lockdown-Barrieren niederreissen, wurden wie üblich rasch gelöscht. Selbst der verstorbene Vater von Xi Jinping, ein Weggefährte Maos und Held der Kommunistischen Partei, wurde Opfer der Zensur. Betroffen war ein weit verbreiteter Artikel mit dem Titel: «Xi Zhongxun: Den Leuten sollte es erlaubt sein zu sprechen!»

Immer mehr Infizierte

Während Chinas Bürger immer lauter gegen die Pandemiepolitik ihrer Regierung protestieren, steigt die Zahl der Infizierten unaufhörlich. Für den Samstag meldeten die Behörden für das gesamte Land fast 40 000 Neuansteckungen – ein neuer Höchststand. In der Hauptstadt registrierten die Behörden mehr als 4300 Neuinfektionen. Bei einem Stand von 4000 hatten die Behörden Ende März die 25-Millionen-Einwohner-Stadt Schanghai in den Lockdown geschickt. In Peking können sich viele Menschen noch frei bewegen. Allerdings sind Schulen, Restaurants und alle Geschäfte bis auf Lebensmittelläden geschlossen.

Chinas Regierung ist trotz dem Widerstand der Bevölkerung offenbar fest entschlossen, an ihrer Zero-Covid-Strategie festzuhalten. Diese, so lautet die Argumentation, schütze das Leben der Menschen und bewahre das Gesundheitssystem vor einem Zusammenbruch. Derzeit gelten lediglich für drei der einhundert grössten chinesischen Städte keine Beschränkungen.

BBC-Reporter in China verhaftet und von Polizei misshandelt – Schweizer Korrespondent nach Sendung festgenommen

(dpa)/mda. In Schanghai wurde ein Reporter des BBC, der über die regierungskritischen Proteste berichtete, festgenommen. Journalist Ed Lawrence sei bei seiner Festnahme von Polizisten geschlagen und getreten worden, teilte der britische Sender mit. Erst nach Stunden sei er wieder freigelassen worden, obwohl er als Journalist akkreditiert gewesen sei.  «Die BBC ist extrem besorgt über die Behandlung unseres Journalisten Ed Lawrence, der festgenommen und in Handschellen gelegt wurde, während er über die Proteste in Schanghai berichtete.»

Seitens der chinesischen Behörden habe es keine offizielle Erklärung oder Entschuldigung für den Vorfall gegeben, sagte der Sprecher weiter. Dass die Polizei bei der Freilassung behauptet habe, Lawrence sei lediglich in Gewahrsam genommen worden, um ihn vor einer Corona-Infektion in der Menschenmenge zu schützen, sei «keine glaubwürdige Erklärung».

Auch der Korrespondent des Schweizer Fernsehens RTS, Michael Peuker, wurde von Sicherheitskräften behindert. Nachdem er in den Abendnachrichten live aus Schanghai über die Proteste berichtet hatte, wurde er von den chinesischen Behörden kurzzeitig festgenommen und seine Ausrüstung beschlagnahmt, wie er noch während der Sendung ankündigte: «Die Spannung hier ist auf dem Höhepunkt. Beweis dafür ist, dass ich jetzt von drei Polizeibeamten umgeben bin, ich werde nach dieser Schaltung auf die Polizeistation abgeführt.» Wie RTS mitteilte, sei Peuker im Anschluss nach mehrere Minuten langen Verhandlungen wieder freigelassen und die Ausrüstung von der Polizei wieder zurückgegeben worden.