Gesundheitsminister Rauch (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP)
APA/Robert Jaeger
„Nicht verhältnismäßig“

Regierung setzt Impfpflicht aus

Die Impfpflicht gegen das Coronavirus wird ausgesetzt. Das hat die Regierung am Mittwoch im Ministerrat entschieden. Wie Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sagte, sei die Pflicht bei der vorherrschenden Omikron-Variante „nicht verhältnismäßig“. In drei Monaten soll neu entschieden werden, sagte der neue Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne). Eigentlich hätte bei Verstößen gegen die Pflicht ab Mitte März gestraft werden sollen. Basis für die Entscheidung ist der Bericht einer Fachleutekommission, der vor einer neuen Welle im Herbst warnt.

Die darin enthaltenen Empfehlungen würden „selbstverständlich“ umgesetzt, so Edtstadler. Sie unterstrich, dass am Mittwoch wohl „nicht das letzte Kapitel in Sachen Impfpflicht“ geschrieben worden sei: „Genau wie das Virus sehr beweglich ist, müssen wir flexibel und anpassungsfähig sein.“ Das Gesetz zur Impfpflicht bleibt daher quasi im Hintergrund bestehen. „Verfassungsmäßigkeit“ und „wissenschaftliche Evidenz“ seien Grundlagen der Entscheidung, so Rauch.

Der Stufenplan der Regierung hätte vorgesehen, dass Ungeimpfte ab dem 15. März gestraft werden sollen. Die Polizei sollte in der Phase zwei im Rahmen ihrer Kontrollen den Impfnachweis überprüfen und einen Verstoß bei den Bezirksverwaltungsbehörden anzeigen. In Phase drei (ohne konkretes Datum) könnte es dann zu einem automationsunterstützten Datenabgleich kommen, um die Ungeimpften grundsätzlich zu eruieren.

Appell zu Impfung

Gesundheitsminister Rauch appellierte, sich jedenfalls impfen zu lassen. „Holen Sie sich die Impfung“, sagte er. Im Herbst könne wieder eine neue Variante kommen, man wisse nicht, wie sich das Virus weiter verhalte. Es brauche weiterhin eine breites „System an Anreizen“, meinte der Gesundheitsminister.

Gesundheitsminister Rauch (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP)
APA/Robert Jaeger
Der neue Gesundheitsminister Rauch und Verfassungsministerin Edtstadler

Die vierköpfige, im Bundeskanzleramt angesiedelte Kommission soll laufend evaluieren, ob die Umsetzung der Impfpflicht aus rechtlicher sowie medizinischer Sicht zielführend und gerechtfertigt ist. Dem Gremium gehören die Epidemiologin Eva Schernhammer, der Infektiologe Herwig Kollaritsch, der Staats- und Medizinrechtler Karl Stöger und die Rechtswissenschaftlerin Christiane Wendehorst an. Mit der weiteren Bewertung werde „heute“ begonnen, so Rauch.

Bericht warnt vor neuer Welle im Herbst

In ihrem 25-seitigen Bericht warnt die Kommisson davor, dass im Herbst „sehr wahrscheinlich“ eine neue, möglicherweise massive Welle zu erwarten ist. Ist man auf diese nicht entsprechend vorbereitet, könnte es wieder zu einschneidenden Maßnahmen bis hin zu Lockdowns kommen. Eine sofortige Impfpflicht sei dennoch „nicht erforderlich“ bzw. „nicht angemessen“.

Nach Meinung der Fachleute wäre deren aktuelle Umsetzung rechtlich nur bei Personen, die weder geimpft noch genesen sind, möglich. Allerdings gebe es auch bei dieser Gruppe medizinische und rechtliche Argumente für ein Hinausschieben der Umsetzung der Impfpflicht, schreiben die Fachleute.

Impfpflicht „prinzipiell weiterhin sinnvoll“

Festgehalten wird jedoch auch, dass die Impfung ein zentrales Element zur Bewältigung der Pandemie sei: „Die grundsätzliche Impfpflicht als probates Mittel zur Sicherstellung einer hohen Durchimpfungsrate ist prinzipiell weiterhin sinnvoll, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden“, heißt es in dem Bericht.

Allerdings hingen das Ob und Wann von mehreren Faktoren ab, etwa von der epidemiologischen Entwicklung, inwieweit die Immunität durch Impfung oder Erkrankung abnehme, der Wertigkeit von Therapien als möglichem Ersatz zur Impfung und der weiteren Entwicklung der Impfakzeptanz.

Entscheidend sei daher eine laufende Beobachtung und eine Reevaluierung der Situation in spätestens drei Monaten unter Beachtung des dann aktuellen Standes der Wissenschaft. Zu diesem Zeitpunkt sollte über die medizinischen Faktoren mehr Klarheit bestehen und gleichzeitig noch ausreichend Zeit verbleiben, bei Erforderlichkeit eine Umsetzung der Impfpflicht zum medizinisch optimalen Zeitpunkt in die Wege zu leiten.

Kickl: „Verschoben ist nicht aufgehoben“

Von der Opposition kamen kritische Töne: So reicht etwa der FPÖ das Aussetzen der Impfpflicht nicht. Parteichef Herbert Kickl ortete zwar einen Erfolg für die Freiheitlichen, fürchtet aber, dass die Pflicht nun eben später umgesetzt werde, wie er in einer Aussendung erklärte. Die Entscheidung zur Aussetzung sei „ein Erfolg der Politik der FPÖ und ein Ergebnis des Drucks auf der Straße gegen diesen Impfzwang“, so Kickl. "Aber eines ist auch klar: Verschoben ist nicht aufgehoben.

Kickl hält das Impfpflichtgesetz weiterhin für „verfassungswidrig“ – und daran ändere sich „auch in ein paar Wochen oder Monaten nichts“. Auch betonte er, dass „in keinem anderen europäischen Land“ über eine allgemeine Impfpflicht „auch nur nachgedacht“ werde. Der politische Kampf der FPÖ gegen das Impfpflichtgesetz gehe jedenfalls konsequent „auf allen Ebenen weiter“.

NEOS für Anreize, Warnung vor Untätigkeit im Sommer

NEOS-Pandemiesprecher Gerald Loacker will nun vor allem Klarheit von der Regierung hinsichtlich der Ziele im Pandemiemanagement. „Die Menschen müssen alle Maßnahmen verstehen und weiterhin mit Anreizen zur Impfung gebracht werden, denn momentan ist die Zahl der Erstimpfungen unterirdisch.“ Es fehle darüber hinaus immer noch das gemeinsame Ziel: „Wie hoch muss die Impfquote sein? Bis wann muss das Ziel erreicht sein, und wie will man es erreichen?“ All das bleibe unklar.

Er erwarte vom neuen Gesundheitsminister, „dass er all diese Fragen rasch beantwortet“. Es dürfe nicht wieder passieren, „dass die Regierung und die Landeshauptleute jetzt wieder monatelang die Hände in den Schoß legen und in der warmen Jahreszeit nichts tun, sonst haben wir im Herbst wieder den Salat“.

Infektions- und Spitalszahlen steigen

Die Infektionszahlen in Österreich bleiben indes hoch. Gesundheits- und Innenministerium meldeten am Dienstag fast 31.000 neue Fälle binnen 24 Stunden. Die von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) erhobene 7-Tage-Inzidenz ist in den vergangenen Tagen gestiegen und liegt aktuell bei über 2.470 pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern.

Auch in den Spitälern stiegen die Zahlen signifikant: Am Dienstag wurden insgesamt 2.760 CoV-Patientinnen und -Patienten in den Krankenhäusern versorgt, 168 mehr als am Vortag. Auf den Intensivstationen blieb die Zahl der Behandelten gleich. Sie liegt aktuell bei 195.

Weiterhin hohe Todeszahlen

In Österreich verstarben nach Angaben der Ministerien seit Pandemiebeginn bereits über 15.000 Menschen an den Folgen einer Coronavirus-Infektion. Die Zahl der täglich gemeldeten Todeszahlen steigt seit Mitte Jänner konstant und bewegt sich in einer ähnlichen Größenordnung wie während der Alpha-Welle Anfang 2021, als die Impfkampagne in Österreich gerade anlief.

Besonders betroffen sind nach Angaben des Lungenfacharztes Bernd Lamprecht vom Kepler Uniklinikum in Linz „Ungeschützte“. Gemeint sind Menschen, die nicht geimpft sind und auch noch keine Infektion durchgemacht haben. „Wir sehen bei Ungeschützten durchaus auch sehr ähnliche Krankheitsverläufe, wie wir sie bei Delta gesehen haben, mit einer Beteiligung der Lunge und dementsprechend heftigeren Folgen“, sagte Lamprecht dem „Kurier“.