Die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft Mibrag hat 2007 einen Gedenkstein zu Ehren von Novalis aufgestellt. Südlich von Leipzig, am Rand des Tagebaus Profen, wird Novalis, bürgerlich Friedrich von Hardenberg (1772 bis 1801), als „kursächsischer Berg- und Salinenbeamter“ gewürdigt. Denn ja, für den romantischen Dichter der „Hymnen an die Nacht“ war Schriftstellerei nur „eine Nebensache“. Im Hauptberuf läutete er den Einstieg in den Energieträger Braunkohle mit ein.
Seit 1728 förderte Sachsen Salz aus seinen Solequellen im Gebiet der Saale. Schon August der Starke hatte das weiße Gold als kurfürstliche Einnahmequelle erkannt und seine Gewinnung forciert. Zwischen den drei Sole-Orten Artern, Kösen und Dürrenberg liegt Weißenfels, wo Novalis’ Vater seit 1786 seinen Amtssitz als Salinendirektor hatte und wo, nach dem Jurastudium in Jena, Leipzig und Wittenberg, ab 1796 auch der 24-jährige Friedrich tätig wurde. Zunächst ist „Hardenberg junior, der geübte Reiter“ (so sein Biograf Wolfgang Hädecke) eine Art Messenger-Dienst zu Pferde, und pendelt inspektormäßig zwischen den drei zentral verwalteten Salinen-Orten hin und her. Doch schon bald sattelt er ein Aufbaustudium drauf. An der sächsischen Bergakademie in Freiberg belegt er Fächer wie Chemie, Eisenhüttenkunde und Geognosie (die Lehre vom Bau der Erdkruste). Denn Hardenberg hat eine Mission: Er soll die Salzproduktion durch Braunkohle („Erdkohle“) vergünstigen.
Die Salinenschriften von Novalis
Der Hintergrund: Alle drei sächsischen Solequellen sind, was ihren Kochsalzgehalt angeht, schwachprozentig. Um das Salz zu gewinnen, wurde die aus der Erde gepumpte Sole gradiert und gesiedet. Die mächtigen Gradierwerke von einst kann man in Bad Dürrenberg und Bad Kösen bis heute bewundern. Für die Befeuerung der Siedepfannen wurden enorme Mengen Brennholz verbraucht. Um den Kahlschlag in den Wäldern der Umgebung zu reduzieren, wurde seit 1745 auch Braunkohle genutzt. Friedrich von Hardenberg hat nach Studienabschluss die Aufgabe, Braunkohlevorkommen zu erschließen. Ende Mai 1799 inspiziert er dafür mehrere Wochen lang Mitteldeutschland: „Überall stößt man auf neues, unangebautes Feld und dunkle Stellen. Besonders merklich wird die Unmöglichkeit, ein einzelnes Stück der Erdoberfläche richtig zu bestimmen.“ Im April 1800 verfasst er einen umfänglichen Abschlussbericht über die „Holzerdenlage der hiesigen Gegend“.
Der Aufsatz gehört zum Konvolut der sogenannten Salinenschriften, die Novalis’ Familie ab 1930 an die Berliner Staatsbibliothek versteigerte, wo sie nach 1945 als verloren galten, bis sie 1983 in der Krakauer Jagiellonen-Bibliothek wiederentdeckt wurden. Mit ihnen lässt sich der romantische Dichter als Braunkohlenexperte entdecken. Er schrieb Haushaltsberichte, Salinenarbeiter-Studien und physikalische Abhandlungen, etwa über die „Erdkohlenbefeuerung im Großen … zur Verminderung der Feuerholzbedürfnisse“.
Mit anderen Worten: Novalis propagierte Braunkohle als Energieträger und plante sogar Brikettherstellung. Aufgrund seiner Bestandsaufnahme der Braunkohlelager südlich von Leipzig entsteht 1802 die erste petrografische Landkarte. Im 20. Jahrhundert folgt die monströse Abbaggerung ganzer Landstriche. In Novalis’ Roman „Heinrich von Ofterdingen“ träumt der Bergmann vom Schoß der Erde, als wäre sie seine Braut. Neben dem Novalis-Stein am Tagebau Profen zeigt sich die Landschaft, die der Bergbau-Beamte einst kartierte, als Dystopie einer gefräßigen Menschheit, die ihre Schürfrechte geltend gemacht hat.
Alles Schriftstellerleben sei Papier, heißt es. In dieser Reihe treten wir den Gegenbeweis an.