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Vorwürfe gegen Jean-Claude Juncker Der nette Herr Juncker und das böse F-Wort

Als Luxemburgs Premier verlor er nach einem Geheimdienstskandal sein Amt. Jetzt gibt es neue Fragen an Jean-Claude Juncker - zu einem Fall, in dem der Name BayernLB auftaucht.
Von Hans-Martin Tillack

Er will es wirklich noch einmal wissen. Ja, sagt Jean-Claude Juncker, er werde bei einem Sieg bei der Europawahl Ende Mai auf alle Fälle Präsident der EU-Kommission werden. Und gewiss, auch Kanzlerin Angela Merkel unterstütze ihn als Spitzenkandidaten der europäischen Konservativen.

Es ist ein erstaunlicher Wiederaufstieg des Politveteranen aus der Christlich-Sozialen Volkspartei (CSV), der Luxemburger Schwesterpartei von CDU und CSU. Die meisten Deutschen kennen den 59-Jährigen aus dem Fernsehen als Europa-Erklärer mit moselfränkischem Singsang in der Stimme. Manche erinnern sich an ihn als engen Verbündeten von Helmut Kohl. Im eigenen Land galt er eher als ruchloser Machtpolitiker – bis er im Jahr 2013 nach einem Geheimdienstskandal das Amt des Premierministers verlor.

Der Skandal, über den Juncker nach 18 Jahren als Regierungschef stürzte, er bestand in Wahrheit aus einem ziemlich unübersichtlichen Konglomerat von Teil-Affären. Mal ging es um die Frage, ob der Bruder des Großherzogs an bis heute unaufgeklärten Bombenanschlägen in den 80er Jahren beteiligt war. Mal ging es um Gesinnungsschnüffelei bis hin zur Überwachung von Greenpeace, die der Mini-Geheimdienst der Mini-Monarchie unter Junckers Amtsvorgängern betrieben hatte. Dann wieder ging es um illegale Abhörpraktiken in der Amtszeit des heutigen EU-Spitzenkandidaten, zumindest einmal offenkundig mit dessen Zustimmung. Und immer wieder tauchte die Frage auf, warum Juncker als oberster Dienstherr der insgesamt 60 Luxemburger Schlapphüte zwar von allerlei möglichen Straftaten erfahren hatte, darüber aber weder Justiz noch Parlament informierte.

Schlapphüte mit Powerpoint-Präsentation

Von Januar bis Juli 2013 tagte in Luxemburg deshalb ein Untersuchungsausschuss und befragte mehrfach auch die ehemaligen Spitzen des heimischen Nachrichtendienstes SREL (Service de Renseignement de l'État du Luxembourg). Der unterstand dem Premier direkt. Doch die Abgeordneten tippten in der knappen Zeit die meisten Fragen nur an – darunter auch zwei Komplexe, die Juncker nun neue Fragen bescheren.

Es geht um heimlich mitgeschnittene Gespräche und um verdächtige Transaktionen bei einem deutschen Geldinstitut. Auf zwei Konten bei der Luxemburger Tochter der Bayerischen Landesbank soll ein afrikanischer Potentat zumindest bis vor einigen Jahren die stolze Summe von 155 Millionen US-Dollar gebunkert haben – und zwar der frühere Staatschef von Kongo-Brazzaville, Pascal Lissouba. Juncker erfuhr davon spätestens vor sieben Jahren - unternahm aber nichts.

Es war eines Tages im Jahr 2006, als drei Geheimdienstler ihren Dienstherrn Juncker in dessen Büro besuchten. Irgendwann kam auch Junckers Justizminister Luc Frieden dazu. Die Schlapphüte hatten eine Powerpoint-Präsentation vorbereitet, und um die zu zeigen, nahmen sie erstmal das Bild des Großherzogs von der Wand. Dann ging es zur Sache: Um eine mögliche Rolle der BayernLB in der Affäre um den früheren französischen Ölkonzern Elf und um verdächtige Transaktionen in dreistelliger Millionenhöhe. Doch Juncker und sein Minister Frieden schienen wenig alarmiert. Sie informierten nicht einmal die Justizbehörden über den Verdacht, obwohl das ihre Pflicht gewesen wäre. "Wenig verständlich" sei dieses Versäumnis, bemängelten die Abgeordneten in ihrem Untersuchungsbericht vom Juli 2013.

Korruptionsgelder und Waffenkäufe

Bei der BayernLB will man sich – Bankgeheimnis - offiziell nicht äußern. Inoffiziell beteuert man in München, die Lissouba-Konten habe es nie gegeben. Doch eine ganze Reihe geheimer Dokumente, die dem stern vorliegen, scheinen den Verdacht zu bestätigen.

Pascal Lissouba, der Mann mit den Konten in Luxemburg, ist heute 82 Jahre alt. Angeblich lebt er zurückgezogen im südfranzösischen Perpignan. Nach einem Bürgerkrieg im Jahr 1997 musste er sein Land verlassen.

Bereits vor gut elf Jahren zitierte ein französischer Untersuchungsrichter mehrfach Lissoubas Name in einem ausführlichen Untersuchungsbericht zur Elf-Affäre. Es gab vielfältige Indizien, dass der Konzern den Machthaber schmierte, um die eigene Ölproduktion im Kongo abzusichern. Lissouba bestritt das, bestätigte aber, dass ihm 1997 ein Elf-Manager Geld für Waffenkäufe angeboten habe.

Landete zumindest ein Teil dieser Korruptionsgelder bei der BayernLB in Luxemburg? Dem stern liegt eine von Lissouba selbst unterzeichnete und notariell beglaubigte Vollmacht vom 2. Juli 2001 vor. Darin ermächtigt der Kongolese einen belgischen Geschäftsmann, "alle notwendigen Maßnahmen" zu treffen, um für ihn seine Konten bei der Bayerischen Landesbank zu verwalten. Im Anhang dazu: eine Kopie von Lissoubas Diplomatenpass. Das Büro des belgischen Notars, der die Echtheit der Unterschrift beglaubigte, hat die Authentizität der Dokumente mehrfach bestätigt.

Vorwürfe, die sich in Luft auflösen

In einem weiteren Dokument ist die Rede davon, wie man "mindestens 140 Millionen US-Dollar" von den BayernLB-Konten zur Arab Tunisian Bank schaffen könne – gegen 15 Millionen Euro Provision für einen dubiosen französischen Mittelsmann.

Viele der Unterlagen zu dem Konto ergatterte der Geheimdienst des Großherzogtums aus dem Fundus einem ehemals hohen luxemburgischen Amtsträgers. Der heute 76-jährige Gérard Reuter war sogar Rechnungshofpräsident des Landes, bis ihn Juncker im Mai 1999 wegen verschiedener Vorwürfe Knall auf Fall absetzen ließ.

Doch im vergangenen Jahr, am 29. August 2013, stellte Reuter in einer eidesstattlichen Erklärung eine erstaunlich klingende Behauptung auf: Bereits "in meiner Eigenschaft als Präsident des Rechnungshofs und in Ausübung meiner Funktionen" habe er "im Lauf der 90er Jahre" etwas über ein Lissouba-Konto bei der Bayerischen Landesbank in Luxemburg erfahren. Damals sei die Luxemburger Regierung von "französischen wie deutschen Amtskollegen" um Unterstützung gebeten worden, damit der Kongolese Geld bei dem bayerischen Institut unterbringen könne. Aus "Staatsräson" habe man diese Konten dann eröffnen lassen. Und ja, es sei davon die Rede gewesen, dass die Gelder von Elf Aquitaine stammten.

300 Kilogramm Mohrenköpfe

Wenn es solche Verstrickungen gab - was wusste Juncker davon und seit wann? Der Ex-Premier ließ Fragen des stern zu dem Lissouba-Konto unbeantwortet. Mehr Aufschluss könnte vielleicht eine Bandaufnahme bringen, die einer der Luxemburger Geheimdienstler machte, als man den Premier 2006 über die Bayern-Connection briefte. Jawohl, eine solche heimliche Aufnahme sei gemacht worden, aber nur "aus Versehen", räumte einer der Nachrichtendienstler später ein. Der damalige SREL-Chef Marco Mille beteuerte im vergangenen Jahr, er habe die Datei und alle Kopien löschen lassen.

Das wiederum wollen viele in Luxemburg nicht so recht glauben. Denn auch das gehört zum Affären-Biotop in dem gelegentlich als Operettenstaat verspotteten Land: In Junckers letzten Regierungsjahren regierte das Misstrauen zwischen den Mächtigen. Es kam zu heimlichen Lauschaktionen in Serie.

Es fing an mit einem Gespräch, zu dem der Premier im Jahr 2005 den Großherzog in dessen Palais getroffen haben soll. Nicht lange nach dem Treffen meldete sich ein landesbekannter Wanzenspezialist bei einem ihm gut bekannten SREL-Agenten namens André Kemmer: Er sei im Besitz einer verschlüsselten Tonaufnahme der Begegnung zwischen Premier und Großherzog. Kemmer brachte später zu Papier, was ihm seine Quelle über den Wortwechsel zwischen Staats- und Regierungschef erzählt habe. Der habe sich nicht nur um die Bombenlegeraffäre und eine mögliche Verwicklung des Bruders des Großherzogs gedreht. Der Monarch habe auch Juncker auf Vorfälle bei dessen Partei CSV angesprochen – und zwar auf eine Affäre, die "300 Kilogramm Mohrenköpfe gekostet habe". Kemmer spekulierte über einen Zusammenhang mit dem Fall Lissouba und Elf.

"Ich ficke wo, wen, und wann ich will"

Glaubt man dem, was der – inzwischen suspendierte - Geheimdienstler von dem Wanzenspezialisten erfahren haben will, dann sprach der Großherzog eine weitere Sache an, die "Junckers Glaubwürdigkeit und sein Mandat definitiv beenden würde, sollte sie jemals an die Öffentlichkeit gelangen".

Was könnte das sein? Die angebliche Bandaufnahme liegt bis heute angeblich unlesbar bei der Luxemburger Staatsanwaltschaft. Bis heute habe sie trotz drei oder vier Versuchen in Luxemburg und dem Ausland keiner entschlüsselt, heißt es im Luxemburger Justizpalast – außer natürlich damals der Wanzenspezialist selbst.

Juncker erfuhr Ende 2005 oder Anfang 2006 von dem möglichen Mitschnitt. Geheimdienstchef Mille informierte ihn erst vorab und trat dann zusammen mit Kemmer und einem weiteren SREL-Mann eines Abends zum Rapport im Büro des Premiers an. Kemmer hat die Szene, wie er sie erlebte, Ende 2013 so beschrieben. Juncker sei "stockbetrunken" gewesen: "Halb torkelnd trat er hinter seinem von Akten und Zeitungen überladenen Schreibtisch hervor", notierte der Ex-Agent. Ohne viel "einleitende Worte" habe er angefangen, Mille zu beleidigen: "Ich ficke wo, wen, und wann ich will, hast Du mich verstanden. Auch du könntest ficken, aber du kannst es ja gar nicht, deine deutsche Genauigkeit... verbietet es dir."

Juncker bestreitet diese Schilderung. Er habe auch das F-Wort nicht gebraucht. Doch Mille gab vor dem Untersuchungsausschuss an, der Ministerpräsident sei bei dem besagten Treffen extrem negativ, ja fast gewalttätig aufgetreten.

Der Geheimdienstler, der mit einer Deutschen verheiratet ist, entschied sich zum Gegenschlag. Mit Hilfe einer präparierten Armbanduhr ließ er spätere Treffen mit Juncker aufzeichnen – zuletzt eins im Januar 2007.

Karrieresprung statt Disziplinarverfahren

Doch merkwürdig: Obwohl Juncker schon Ende 2008 von den Lauschoperationen erfuhr, reagierte er erstaunlich gnädig. Statt ein Disziplinarverfahren gegen Mille anzustrengen, gewährte er ihm ab Ende 2009 unbezahlten Urlaub und ließ ihn Anfang 2010 in Abwesenheit sogar noch befördern. Seitdem arbeitet der tatkräftige Geheimdienstler ausgerechnet in der bayerischen Landeshauptstadt München, als "Corporate Vice President" und Sicherheitschef des Siemens-Konzerns – "ein beachtlicher Karrieresprung", bemerkte später ein Ex-Kollege spitz.

Ein Disziplinarverfahren gegen den heutigen Siemens-Mann hätte nur für Probleme in der Zusammenarbeit mit ausländischen Partnerdiensten gesorgt, rechtfertigte sich Juncker. Doch einige in Luxemburg stellen sich eine andere Frage: Fühlt sich der Ex-Premier möglicherweise erpressbar? Er selbst wischt den Verdacht vom Tisch. Doch er sprach selbst einmal in einer internen Runde von einem "Erpressungsversuch" - als es um die angebliche Aufnahme seines Treffens mit dem Großherzog ging.

Immerhin: Auch ein weiterer leitender SREL-Mann namens Frank Schneider, der bei dem 2006 heimlich mitgeschnitten Briefing zur BayernLB mit dabei war, kam gut davon. Schneider verließ den Dienst bereits 2008 und startete kurz darauf mit der Sicherheitsfirma "Sandstone" eine Karriere als Unternehmer. Der Ex-Chef blieb aber auch für ihn in Sichtweite. Juncker ist bis heute Ehrenvorsitzender und Ehrenmitglied eines von Sandstone im April 2009 mitgegründeten und finanzierten Vereins. "The Institute for Global Financial Integrity" hat sich übrigens zum Ziel gesetzt, nach der Bankenkrise die "ethische Kultur" in der Finanzwelt zu fördern.

Der Artikel über den schweigsamen Herrn Juncker ...

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